VG München

Merkliste
Zitieren als:
VG München, Urteil vom 19.12.2006 - M 21 K 05.2136 - asyl.net: M11482
https://www.asyl.net/rsdb/M11482
Leitsatz:

Zur Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem.

 

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Ermessensausweisung, illegale Einreise, unerlaubter Aufenthalt, Abschiebung, Sperrwirkung, Wirkungen der Abschiebung, Wirkungen der Ausweisung, Schengener Informationssystem, SIS, Schengener Durchführungsübereinkommen, Schengener Grenzkodex, Einreiseverweigerung, Ausschreibung, Ermessen
Normen: AufenthG § 55 Abs. 2; AufenthG § 11 Abs. 1; SDÜ Art. 96 Abs. 3; VO (EG ) Nr. 562/2006 Art. 5 Abs. 1; VO (EG) Nr. 562/2006 Art. 13 Nr. Abs. 1; SDÜ Art. 110; SDÜ Art. 111 Abs. 1; AufenthG § 50 Abs. 7
Auszüge:

Zur Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig, bleibt jedoch erfolglos, soweit sie sich gegen die Ausweisung und Abschiebung des Klägers richtet. Der angefochtene Bescheid vom 6. Juni 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Klage hat aber Erfolg, soweit sie sich gegen die Ausschreibung des Klägers im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung gemäß Art. 96 Abs. 3 SDÜ richtet.

Für die Zulässigkeit der Klage ist es insoweit unbeachtlich, dass die Beklagte hierüber keinen förmlichen Bescheid gegenüber dem Kläger erlassen hat. Die Speicherung im Schengener Informationssystem ist (wie auch die Speicherung im INPOL) kein Verwaltungsakt. Ein Löschungsanspruch ist daher im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen, deren Zulässigkeit die vorherige Durchführung eines Verwaltungsverfahrens nicht voraussetzt.

Gemäß Art. 110 SDÜ hat jeder im Schengener Informationssystem ausgeschriebene Drittausländer (Nicht-EU-Bürger) das Recht, auf seine Person bezogene unrichtige oder unrechtmäßig gespeicherte Daten löschen zu lassen. Dieser Anspruch kann gemäß Art. 111 Abs. 1 SDÜ auch durch Klage vor dem nach nationalem Recht zuständigen Gericht verfolgt werden.

Anspruchsgegner ist die ausschreibende Stelle, da diese auch für die Löschung und Berichtigung von Daten zuständig ist.

Materielle Grundlage für die Speicherung von Daten im Schengener Informationssystem und damit für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Datenspeicherung ist Art. 96 SDÜ.

Nach Abs. 1 dieser Bestimmung werden die Daten bezüglich Drittausländern, die zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sind, aufgrund einer nationalen Ausschreibung gespeichert, die auf Entscheidungen der zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichte beruht, wobei die Verfahrensregeln des nationalen Rechts zu beachten sind.

Die Ausschreibung im Schengener Informationssystem setzt also auch eine Befugnis zur Ausschreibung im nationalen Recht voraus. Als solche kommt hier § 50 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Betracht, der bestimmt, dass ausgewiesene oder abgeschobene Ausländer unter anderem zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückschiebung ausgeschrieben werden können.

Welche Sachverhalte eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem rechtfertigen, ist in Art. 96 Abs. 2 und 3 SDÜ geregelt. Nach dem hier einschlägigen Abs. 3 der Bestimmung kann eine Ausschreibung erfolgen, wenn der Drittausländer ausgewiesen, zurückgewiesen oder abgeschoben worden ist, wobei die Maßnahme nicht aufgeschoben oder aufgehoben sein darf, ein Verbot der Einreise oder des Aufenthaltes enthalten oder davon begleitet sein muss und auf der Nichtbeachtung des nationalen Rechts über die Einreise oder den Aufenthalt von Ausländern beruhen muss.

Auch diese Voraussetzungen sind hier ersichtlich erfüllt.

Art. 96 SDÜ zwingt die Schengen-Staaten jedoch nicht zur Ausschreibung, sondern stellt sie in deren Ermessen. Auch die hier einschlägige nationale Rechtsgrundlage des § 50 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sieht keine Pflicht zur Ausschreibung vor, sondern räumt der Behörde einen Ermessensspielraum ein.

Allerdings sehen die allgemeinen Anwendungshinweise zum Schengener Durchführungsübereinkommen vom 28. Januar 1998 (AAH-SDÜ), auf die sich die Beklagte zur Stützung ihrer Rechtsauffassung beruft, im Falle der Ausweisung und Abschiebung eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem verpflichtend vor (Nrn. 2.2.1.1, 4.1.4.3 und 4.2.2 AAH-SDÜ).

Wollte man die Anwendungshinweise in dem Sinne interpretieren, dass sie ein Absehen von einer Ausschreibung ausnahmslos auch bei Vorliegen besonderer Umstände ausschließen, wären sie offenkundig rechtswidrig und unwirksam, weil sie die gesetzlichen Vorgaben des § 50 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die der Behörde ein Ermessen bei der Entscheidung über eine Ausschreibung einräumen, nicht beachten. Hinzuweisen ist aber auch darauf, dass Ermessensrichtlinien, auch wenn sie strikt und vorbehaltlos formuliert sind, regelmäßig so anzuwenden sind, dass sie ein Abweichen von den dort getroffenen Vorgaben nicht ausschließen, wenn ein atypischer Fall vorliegt.

Nach Auffassung des Gerichts ist eine routinemäßige Ausschreibung im Schengener Informationssystem nach Ausweisung oder Abschiebung jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, ist vielmehr eine individuellen Entscheidung darüber geboten, ob und wenn ja, wie lange eine Ausschreibung erfolgen soll, wenn der Behörde bekannt ist, dass der Ausländer beabsichtigt, in einen anderen Schengen-Staat einzureisen und dort Aufenthalt zu nehmen (weitergehend Westphal, Die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem - Voraussetzungen, Wirkungen und Rechtsschutzmöglichkeiten, InfAuslR 1999, 361).

Es bedarf dann auf der Grundlage der Umstände des konkreten Falles einer Prüfung und Entscheidung darüber, ob insbesondere zur Vermeidung weiterer unerlaubter Einreisen in das Bundesgebiet eine Ausschreibung auch im Schengener Informationssystem unabdingbar ist oder ein Absehen hiervon unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Ausländers vertretbar erscheint.

Bei dieser Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen längeren Aufenthalt durch einen anderen Schengen-Staat nur in eng begrenzten Ausnahmefällen bei Vorliegen gewichtiger Gründe zulässt, insbesondere wegen humanitärer Erwägungen oder infolge internationaler Verpflichtungen (Art. 25 Abs. 1 SDÜ, Entsprechendes gilt für die Einreise zu einem Kurzaufenthalt, vgl. Art. 5 Abs. 4 c) Verordnung (EG) Nr. 562/2006 bzw. früher Art. 5 Abs. 2 Satz 1 SDÜ). Gewichtige Gründe in diesem Sinne werden etwa angenommen werden können im Falle des Ehegatten- oder Kindernachzugs, nicht aber wenn der Ausländer wie im vorliegenden Fall einen längerfristigen Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit anstrebt (vgl. dazu auch Nr. 2.3.1.2 AAH-SDÜ).

Wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, hätte es im Falle des Klägers einer individuellen Entscheidung der Beklagten darüber bedurft, ob eine Schengen-Ausschreibung geboten war, da der Beklagten bekannt war, dass der Kläger in Spanien ein Verfahren auf Legalisierung seines Aufenthaltes betrieb und für sie auch erkennbar war, dass eine Ausschreibung zur Versagung eines Titels führen konnte. Hinsichtlich der aktuellen Ausschreibung geht das Gericht weiter davon aus, dass nicht feststeht, ob der Kläger nicht noch ein Verfahren auf erneute Einreise und Aufenthalt nach Spanien betreibt oder betreiben will (etwa für den Fall, dass er gegenüber den spanischen Behörden nachweisen kann, dass die Ausschreibung rechtswidrig war, sollte diese tatsächlich der Grund für die Einreiseverweigerung gewesen sein) und daher auch nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass nunmehr persönliche Belange des Klägers einer Ausschreibung nicht mehr entgegenstünden.

Eine solche Entscheidung hat die Beklagte aber nicht getroffen, da sie davon ausgeht, dass im Falle einer Ausweisung oder Abschiebung in jedem Falle eine Ausschreibung auch im Schengener Informationssystem zu erfolgen hat, wenn der Betroffene nicht über einen Aufenthaltstitel eines anderen Schengen-Staates verfügt.

Beide Ausschreibungen, jene vom Juni 2005, deren Löschung im Dezember 2005 veranlasst wurde, als auch die erneute Ausschreibung im September 2006 waren schon aus diesem Grunde rechtswidrig. Der Kläger kann daher die Löschung der fortbestehenden Ausschreibung im Schengener Informationssystem verlangen.

Nicht entscheidungserheblich ist, ob die Beklagte, wenn sie erkannt hätte, dass ihr vorliegend ein Ermessen eingeräumt war, aufgrund einer sachgerechten Ermessensbetätigung zu demselben Ergebnis hätte kommen können, da dies nichts daran ändert, dass die erfolgte Ausschreibung auf einer fehlerhaften Entscheidung beruht.

Eine Ausschreibung wäre also nur und erst dann zulässig, wenn die Beklagte die gebotene Entscheidung nachholen und diese zu dem Ergebnis führen würde, dass eine Ausschreibung gerechtfertigt ist, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die vorstehenden Hinweise zu einer möglichen Beeinträchtigung der Belange des Klägers durch die aktuelle Ausschreibung, vorbehaltlich einer weiteren Klärung des Sachverhalts, auch für diese Entscheidung entsprechend gelten würden.

Ergänzend sei im Hinblick auf die Erstausschreibung im Juni 2005 angemerkt, dass nach Auffassung des Gerichts damals allein ein Absehen von einer Ausschreibung nach Erlass der Ausweisungsverfügung und der Abschiebung des Klägers ermessensgerecht gewesen wäre, um dem Kläger nicht die Möglichkeit zu nehmen, das Legalisierungsverfahren in Spanien erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Es hätte sich insoweit insbesondere angeboten, dem Kläger aufzugeben, innerhalb einer bestimmten Frist nachzuweisen, dass er in Spanien tatsächlich einen Titel erhalten hat. Dass eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem seinerzeit zur Vermeidung erneuter unerlaubter Einreisen auch in Ansehung des laufenden Legalisierungsverfahrens geboten gewesen wäre, kann ersichtlich nicht angenommen werden.