OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.08.2007 - 16 A 1158/05 - asyl.net: M11521
https://www.asyl.net/rsdb/M11521
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungskürzung, Vertretenmüssen, Abschiebungshindernis, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Hinweispflicht, unabweisbar gebotene Hilfe, Anhörung
Normen: AsylbLG § 1a Nr. 2
Auszüge:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kläger haben für die Monate Februar, März, Mai, Juni, Juli, Oktober und Dezember 2003 sowie Januar bis Mai 2004 keinen Anspruch auf Barbeträge gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG.

Die Kläger sind in den maßgebenden Monaten Leistungsberechtigte im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG gewesen, denn sie haben eine Duldung besessen. Aus der Leistungsberechtigung allein ergibt sich der Umfang des Leistungsanspruchs jedoch nicht, denn Leistungsberechtigte, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist (vgl. § 1a Nr. 2 AsylbLG).

1. Der Gesetzeswortlaut gibt keinen Anhaltspunkt, der nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 1a AsylbLG Leistungsberechtigte könne einen Anspruch auf Leistungen haben, die über den unabweisbar gebotenen Umfang hinausgehen. § 1 Abs. 1 AsylbLG bestimmt den Kreis der Leistungsberechtigten, besagt über den Leistungsumfang jedoch nichts. Aus dem Kreis der Leistungsberechtigten sind diejenigen hervorgehoben, die die Voraussetzungen des § 1a AsylbLG erfüllen. Sie erhalten die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur, soweit dies im Einzelfall unabweisbar geboten ist. Damit setzt die Leistungsgewährung in den Fällen der §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 1a AsylbLG keine Kürzung eines an sich weitergehenden Anspruchs voraus. Eine Kürzungsnotwendigkeit ergibt sich auch nicht aus der von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angesprochenen Überschrift des § 1a AsylbLG. Denn auch diese spricht nicht von einer Anspruchskürzung, sondern von einer Anspruchseinschränkung, m.a.W. von einem sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden (eingeschränkten) Anspruch. Können bei einem Leistungsberechtigten - wie hier bei den Klägern - aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden, bedarf es danach lediglich der Festlegung, was im jeweiligen Einzelfall der unabweisbar gebotene Leistungsumfang ist. Der unbestimmte Rechtsbegriff des unabweisbar gebotenen Bedarfs ist im Einzelfall zu bestimmen.

Aus der Systematik des Gesetzes ergibt sich nicht, Leistungen könnten dem nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 1a AsylbLG Berechtigten über das unabweisbar gebotene Maß hinaus solange zustehen, wie der Leistungsverpflichtete nicht zu der ihm zumutbaren Mitwirkung an aufenthaltsbeendenden Maßnahmen unter konkreter Bezeichnung der Maßnahmen und unter Fristsetzung schriftlich (oder mündlich) aufgefordert wurde.

Der Sinn des § 1a Nr. 2 AsylbLG spricht ebenfalls dagegen, den bereits durch ihn dem Grunde nach auf das unabweisbar gebotene Maß bestimmten Leistungsumfang als Kürzung zu verstehen, die davon abhängig ist, dass der Leistungsträger zunächst noch Mitwirkungshandlungen des Leistungsberechtigten unter Fristsetzung einfordert. Ziel des Asylbewerberleistungsgesetzes ist es, die missbräuchliche Inanspruchnahme staatlicher Sozialhilfeleistungen zu verhindern und auf diese Weise den Einsatz öffentlicher Mittel für vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer zu begrenzen. (vgl. Deibel, Die Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber und andere Ausländer, NWVBl. 1993, 441).

Der durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 31. August 1998, BGBl. I S. 2505, in das Gesetz eingefügte § 1a dient diesem Zweck, indem er Fälle rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme (wegen missbräuchlicher Ausreiseverweigerung) von der vollen Inanspruchnahme der Asylbewerberleistungen ausschließt (vgl. BT-Drucks. 13/10155 vom 20. März 1998, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, S. 5, 7; Deibel, Leistungsausschluss und Leistungseinschränkung im Asylbewerberleistungsrecht, ZfSH/SGB 1998, 707).

2. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen konnten in den im vorliegenden Verfahren maßgebenden Monaten aus von den Klägern zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden. Die Kläger sind zur Ausreise verpflichtet gewesen, denn sie wurden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland nur geduldet. Zu den Obliegenheiten des ausreisepflichtigen Ausländers gehört es jedoch grundsätzlich (ohne das es hierzu Belehrungen durch das Ausländeramt oder gerade durch das Sozialamt bedurft hätte), alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen und damit auch die Beschaffung eines gültigen Passes oder zumindest eines Passersatzpapiers unverzüglich einzuleiten und zu betreiben (vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Februar 1999 - 18 A 5156/96 -, DVBl. 1999, 1222; Beschluss vom 8. Mai 2000 - 16 B 2033/99 -, GK-AsylbLG VII zu § 1a (OVG Nr. 12); Beschluss vom 6. Juli 2006 - 18 A 1078/06 -).

Dessen ungeachtet sind die Kläger zu 1. und 2. (und das Verhalten ihrer Eltern müssen sich die Kläger zu 3. bis 9. zurechnen lassen, vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1995 - 1 C 29.94 -, BVerwGE 99, 341; Beschluss vom 30. April 1997 - 1 B 74.97 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2000 - 16 B 2033/99 - a.a.O.; Bay.LSG, Beschluss vom 19. Juni 2006 - L 11 B 94/06 Ay PKH -, FEVS 58, 189) mit Schreiben des Ausländeramtes vom 19. August 1998 auf ihre Ausreisepflicht und insbesondere auf ihre Verpflichtung hingewiesen worden, sich zur Rückkehr berechtigende Pass- oder Passersatzpapiere zu besorgen.

Die Kläger haben über zahlreiche Jahre keinerlei Bemühungen belegt, die für ihre Ausreise benötigten Dokumente zu beschaffen.

3. Die vom Beklagten gewährten Leistungen abzüglich des Taschengeldes stellen den unabweisbar gebotenen Lebensunterhalt sicher (vgl. Bay LSG, Beschluss vom 19. Juni 2006 - L 11 B 94/06 Ay PKH -, FEVS 58, 189; VG Osnabrück, Beschluss vom 5. November 1999 - 4 B 88/99 -, GK VII zu § 1a (VG Nr. 20); GK § 1a, Rdnr. 174).

Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Kläger auf die Frage, wie das Existenzminimumgesichert werden könne, wenn das Taschengeld dem Leistungsberechtigten (zum Teil über Jahre) vorenthalten werde, geht daran vorbei, dass mit den Leistungen gemäß § 1a AsylbLG gerade kein Daueraufenthalt ermöglicht werden soll und auch nicht vorauszusetzen ist.

Eine Anhörung der Kläger war vor Leistungsbewilligung nicht erforderlich, da mit der Leistungsbewilligung nicht in eine bestehende Rechtsposition der Kläger eingegriffen worden ist, sondern ihnen auf ihren Antrag die Leistungen in dem ihnen zustehenden Umfang bewilligt worden sind.