VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.09.2007 - 11 S 1964/07 - asyl.net: M11543
https://www.asyl.net/rsdb/M11543
Leitsatz:

§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.d.F. des AuslRÄndG 2007 ermöglicht die Erteilung einer Duldung, wenn der vorübergehende Aufenthalt zwar aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen erforderlich ist, sich der Aufenthaltszweck jedoch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis nach Abs. 2 Satz 1 verdichtet hat. Daher kann Abschiebungsschutz nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG auch unterhalb der durch Verfassungsrecht gebotenen Schwelle gewährt werden (hier im Einzelfall bejaht für den vorübergehenden Aufenthalt des werdenden nichtehelichen Vaters).

 

Schlagwörter: D (A), Duldung, Ermessensduldung, Schwangerschaft, Risikoschwangerschaft, deutsche Kinder, Eltern-Kind-Verhältnis, Schutz von Ehe und Familie, Ermessensreduzierung auf Null, einstweilige Anordnung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3; GG Art. 6 Abs. 1; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.d.F. des AuslRÄndG 2007 ermöglicht die Erteilung einer Duldung, wenn der vorübergehende Aufenthalt zwar aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen erforderlich ist, sich der Aufenthaltszweck jedoch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis nach Abs. 2 Satz 1 verdichtet hat. Daher kann Abschiebungsschutz nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG auch unterhalb der durch Verfassungsrecht gebotenen Schwelle gewährt werden (hier im Einzelfall bejaht für den vorübergehenden Aufenthalt des werdenden nichtehelichen Vaters).

(Amtliche Leitsätze)

 

Jedenfalls unter Zugrundelegung der rechtzeitig innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist beim Senat eingegangenen und daher berücksichtigungsfähigen (vgl. § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO) weiteren ärztlichen Stellungnahme vom 14.08.2007 gebieten gegenwärtig dringende persönliche Gründe des Antragstellers, ihm den erstrebten vorläufigen Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung zu gewähren. Der Antragsteller beruft sich sinngemäß und zusammengefasst darauf, dass seine Verlobte, die deutsche Staatsangehörige ..., schwanger sei und nach dem errechneten Geburtstermin im November 2007 ein gemeinsames Kind zur Welt bringen werde. Mit seiner Verlobten lebe er de facto bereits seit über einem Jahr in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Die Vaterschaft für das zu erwartende Kind habe er anerkannt und mit seiner Verlobten gegenüber dem Jugendamt eine Erklärung über die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge nach § 1626a BGB abgegeben.

Bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hatte der Antragsteller zur Glaubhaftmachung seines Anordnungsanspruchs ein ärztliches Attest des Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. ... vom 11.07.2007 vorgelegt. Zur - weiteren - Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren ein ärztliches Attest des Dr. ... vom 14.08.2007 vorgelegt, in dem es u.a. heißt:

"Die psychische Situation bei Frau ... hat sich mittlerweile in dem Maße zugespitzt, dass bei einer Abschiebung durch die massiven Aufregungen und Belastungen mit einem erheblichen Schaden für die Kindsmutter und das ungeborene Kind zu rechnen ist."

Der Senat kann offen lassen, ob und unter welchen Umständen die nichteheliche Vaterschaft eines Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen einen Umstand darstellt, der unter den Gesichtspunkten des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützend und fördernd vor den nasciturus zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfaltet. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss die dazu ergangene - divergierende - Rechtsprechung im einzelnen dargestellt.

Nach Auffassung des Senats hat der Antragsteller jedenfalls einen mit einer einstweiligen Anordnung zu sichernden Anspruch auf vorübergehende Duldung gemäß dem am 28.08.2007 - innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist - in Kraft getretenen § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (vgl. Art. 1 Nr. 49, 10 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BGBl. I 2007, 1970 ff. - AuslRÄndG 2007 -) hinreichend glaubhaft gemacht. Auf die Neuregelung hat der Senat den Antragsgegner vor seiner Entscheidung hingewiesen.

Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG, der der früheren Bestimmung des § 55 Abs. 3 AuslG entspricht, kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Ziel des neuen Satzes 3 in Absatz 2 ist es, vollziehbar ausreisepflichtigen Personen im Ermessenswege einen vorübergehenden Aufenthalt zu ermöglichen, wenn der vorübergehende Aufenthalt zwar aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder erheblichen öffentlichen Interessen erforderlich ist, sich der Aufenthaltszweck jedoch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis nach Satz 1 verdichtet hat und tatsächliche Abschiebungshindernisse nicht vorliegen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 23.04.2007, BT-Drs. 16/5065). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist daher nicht erforderlich, dass sich die Durchsetzung der Ausreisepflicht als "unmenschlich" erweisen würde; für diesen Fall ergäbe sich ein zwingender Duldungsanspruch bereits aus § 60 a Abs. 2 S. 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 GG.

Nach Auffassung des Senats hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren u.a. durch Vorlage des ärztlichen Attestes vom 14.08.2007 das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG, nämlich die Erforderlichkeit einer vorübergehenden Anwesenheit aus dringenden persönlichen Gründen, hinreichend glaubhaft gemacht; angesichts der in dem ärztlichen Attest unzweideutig angesprochenen Gefahren für Mutter und Kind ist derzeit auch davon auszugehen, dass das dem Antragsgegner bei der Erteilung einer Duldung zustehende Ermessen auf Null reduziert ist.