Es gibt keine Rechtsgrundlage für die Ausschreibung im polizeilichen Informationssystem (INPOL) zur "Ausweisung, Abschiebung, Zurückweisung und Festnahme"; die Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) setzt Ermessenserwägungen voraus.
Es gibt keine Rechtsgrundlage für die Ausschreibung im polizeilichen Informationssystem (INPOL) zur "Ausweisung, Abschiebung, Zurückweisung und Festnahme"; die Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) setzt Ermessenserwägungen voraus.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Antrag, der Antragsgegnerin aufzugeben, die Ausschreibungen des Antragstellers im Schengener Informationssystem (SIS) und im polizeilichen Informationssystem (INPOL) vorläufig zu löschen, führt zum Erfolg.
Der auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gerichtete Antrag ist zunächst nach Maßgabe des § 123 Abs. 1 VwGO statthaft und zulässig.
Die in Rede stehenden Ausschreibungen des Antragstellers sind nicht als Verwaltungsakte zu qualifizieren, da sie nicht auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind. Durch die Einstellung personenbezogener Daten in die Zentrale Datenbank des Schengener Informationssystems (SIS) wird lediglich die Grundlage für anschließende grenzpolizeiliche Einreiseverweigerungsmaßnahmen auf national-rechtlicher Grundlage geschaffen. Erst die tatsächliche Verweigerung der Einreise in den Schengenraum stellt eine unmittelbar belastende Regelung gegenüber dem Betroffenen dar. Aus denselben Gründen enthält auch die Ausschreibung des Antragstellers im polizeilichen Informationssystem (INPOL) keine Regelung mit Außenwirkung, da auch diese nur die Grundlage für spätere polizeiliche Maßnahmen bildet. Aufgrund der fehlenden Verwaltungsaktqualität der Ausschreibungen kommt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mithin nur der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung in Betracht. Ein Löschungsanspruch ist in der Hauptsache im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen, deren Zulässigkeit die vorherige Durchführung eines Verwaltungsverfahrens nicht voraussetzt (vgl. zum Ganzen: OVG Rh-Pf., Urteile vom 19. April 2007 – 7 A 11437/06.OVG – und vom 20. November 1995 – 11 A 12260/95.OVG -).
I. Der Antragsteller hat zunächst einen Anordnungsanspruch im vorgenannten Sinne glaubhaft gemacht, da ihm ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Löschung seiner Ausschreibungen im Schengener Informationssystem (SIS) und dem polizeilichen Informationssystem (INPOL) zusteht. Bereits bei summarischer Prüfung spricht alles dafür, dass die in Bezug auf den Antragsteller erfolgten Ausschreibungen ohne einschlägige Rechtsgrundlage und damit rechtswidrig ergangen sind.
1. Gemäß Art. 110 des Schengener Durchführungsübereinkommens – SDÜ – hat jeder im Schengener Informationssystem ausgeschriebene Drittausländer (Nicht-EU-Bürger) das Recht, auf seine Person bezogene unrichtige oder unrechtmäßig gespeicherte Daten löschen zu lassen. Dieser Anspruch kann gemäß Art. 111 Abs. 1 SDÜ auch durch Klage vor dem nach nationalem Recht zuständigen Gericht verfolgt werden. Anspruchsgegner ist die ausschreibende Stelle, da diese auch für die Löschung und Berichtigung von Daten zuständig ist.
Materielle Grundlage für die Speicherung von Daten im Schengener Informationssystem und damit für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Datenspeicherung ist Art. 96 SDÜ.
Welche Sachverhalte eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem rechtfertigen, ergibt sich im Einzelnen aus Art. 96 Abs. 2 und 3 SDÜ.
Gemäß Abs. 3 der vorgenannten Bestimmung kann eine Ausschreibung zunächst darauf beruhen, dass der Drittausländer ausgewiesen, zurückgewiesen oder abgeschoben worden ist, wobei die entsprechende Maßnahme unter anderem ein Verbot der Einreise oder des Aufenthaltes enthalten muss. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Antragstellers ersichtlich nicht erfüllt. Art. 96 Abs. 3 SDÜ erfordert nach seinem Wortlaut eine bereits tatsächlich erfolgte Ausweisung, Zurückweisung oder Abschiebung des Drittausländers. Eine tatsächliche Ausweisung oder Abschiebung des Antragstellers aus dem Bundesgebiet ist unstreitig nicht erfolgt. Die Einreiseverweigerung des Antragstellers am Flughafen S. in den Niederlanden ist ebenfalls nicht geeignet, eine Ausschreibung auf der Grundlage des Art. 96 Abs. 3 SDÜ zu rechtfertigen. Dies ergibt sich aus dreierlei Erwägungen: Zunächst ist zu berücksichtigen, dass diese Einreiseverweigerung in den Schengenraum (Dezember 2006) zeitlich erst nach der Ausschreibung (November 2006) des Antragstellers im SIS erfolgte. Auch handelte es sich dabei nicht um eine Zurückweisung nach § 15 Abs. 1 AufenthG durch eine zuständige deutsche Behörde. Schließlich führt die Zurückweisung eines Ausländers an der Grenze gemäß § 15 Abs. 1 AufenthG auch nicht zu dem von Art. 16 Abs. 3 SDÜ geforderten Einreise- und Aufenthaltsverbot, da die Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nur im Falle einer Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, nicht jedoch bei einer bloßen Zurückweisung eintritt. Somit käme auch im Falle einer tatsächlich erfolgten Zurückweisung des Antragstellers eine Ausschreibung auf Grundlage des Art. 96 Abs. 3 SDÜ nicht in Betracht, da die Zurückweisung nach deutschem Recht keine Dauerwirkung entfaltet. Sie erledigt sich mit ihrer Befolgung oder Vollziehung und hindert den Ausländer nicht an einer erneuten Einreise (vgl. hierzu: Westphal, Die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem – Voraussetzungen, Wirkungen und Rechtsschutzmöglichkeiten, InfAuslR 1999, 361 ff. (362)).
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin liegen aber auch die Voraussetzungen für eine Ausschreibung nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ nicht vor. Nach dieser Vorschrift können die Entscheidungen über die Ausschreibung im SIS auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit, die die Anwesenheit eines Drittausländers auf dem Hoheitsgebiet der jeweiligen Vertragspartei bedeutet, gestützt werden. Gemäß Art. 96 Abs. 2 Satz 2 lit. a) SDÜ kann dies insbesondere der Fall sein bei einem Drittausländer, der wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist. Als weiteres Beispiel geht Art. 96 Abs. 2 Satz 2 lit. b) SDÜ von der Möglichkeit einer Ausschreibung bei einem Drittausländer aus, gegen den der begründete Verdacht besteht, dass er schwere Straftaten begangen hat, oder gegen den konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Taten in dem Hoheitsgebiet einer Vertragspartei plant.
Eingangs bleibt zu sehen, dass eine Entscheidung nach Maßgabe des Art. 96 Abs. 2 SDÜ immer einer individuellen Gefahrenprognose bedarf, d.h. es müssen konkrete Anhaltspunkte für die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der nationalen Sicherheit vorliegen. Zudem ist nicht jede Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit für eine Ausschreibung ausreichend, denn Art. 96 Abs. 2 Satz 2 lit. a und b SDÜ geben den Maßstab für die notwendige Schwere der Gefahr vor.
Hiervon ausgehend bleibt zunächst festzustellen, dass die Voraussetzungen gemäß Art. 96 Abs. 2 Satz 2 lit. a) SDÜ nicht gegeben sind. Dies liegt auf der Hand, da es im Falle des Antragstellers an einer tatsächlichen Verurteilung wegen einer Straftat unstreitig fehlt.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin gibt aber auch Art. 96 Abs. 2 Satz 1 lit. b) SDÜ keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für seine Ausschreibung im SIS her. Gegen den Antragsteller besteht kein begründeter Verdacht, schwere Straftaten im Sinne dieser Vorschrift begangen zu haben oder solche Taten zu planen.
Mit der Antragsgegnerin ist zunächst davon auszugehen, dass zur Beurteilung dieser Frage ausschließlich auf das Verhalten des Antragstellers in seinem Heimatland im Zusammenhang mit der Beschaffung eines Visums abzustellen ist. Ein strafbares Verhalten des Antragstellers kann sich daher allein dadurch ergeben, dass er in Moskau ein Reisebüro mit der Beschaffung eines Visums beauftragt hat, welches dann – mit oder ohne Wissen des Antragstellers - der Deutschen Botschaft in Moskau gefälschte Unterlagen vorgelegt hat, die zur Ausstellung eines Visums an den Antragsteller führten. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kommt es in diesem Zusammenhang nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Täuschungs- und Fälschungshandlungen des Reisebüros dem Antragsteller im strafrechtlichen Sinne zugerechnet werden können oder nicht. Denn die Begehung von Straftaten durch den Antragsteller nach den insoweit in Betracht zu ziehenden Vorschriften des § 271 Abs. 1 StGB oder § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG scheitert jedenfalls daran, dass das deutsche Strafrecht auf unrichtige Angaben eines Ausländers gegenüber einer deutschen Auslandsvertretung keine Anwendung findet. Das deutsche Strafrecht gilt gemäß § 3 StGB grundsätzlich nur für Inlandstaten.
Schließlich findet die Ausschreibung des Antragstellers entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin eine hinreichende Rechtsgrundlage auch nicht in Art. 96 Abs. 2 Satz 1 SDÜ in Verbindung mit §§ 15 und 55 AufenthG. Die Antragsgegnerin geht insoweit allerdings zutreffend davon aus, dass die in Art. 96 Abs. 2 Satz 2 SDÜ vorgesehenen Ausschreibungsgründe aufgrund der Formulierung "insbesondere" lediglich Beispiele für eine die Ausschreibung rechtfertigende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen. Aus diesen Beispielen, die auf begangene oder zu befürchtende Straftaten des Drittausländers Bezug nehmen, folgt jedoch zugleich, dass die mit der Anwesenheit des Ausländers verbundenen Gefahren von einer gewissen Erheblichkeit sein müssen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 2 BvR 1908/03; OVG Rh.-Pf., Urteil vom19. April 2007, a.a.O). Ob dies vorliegend der Fall ist, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung, denn im Falle des Antragstellers fehlt es bereits an der tatbestandlich geforderten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, da entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ein Ausweisungsgrund nach § 55 AufenthG, der eine Zurückweisung des Antragstellers gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen könnte, nicht vorliegt.
Ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG scheidet ersichtlich aus, da der Antragsteller von der Deutschen Botschaft in Moskau weder befragt noch über die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben belehrt wurde. Eine persönliche Vorsprache des Antragstellers bei der Deutschen Botschaft ist unstreitig nicht erfolgt.
Abschließend bleibt noch darauf hinzuweisen, dass Art. 96 SDÜ die Schengenstaaten nicht zur Ausschreibung zwingt, sondern sie vielmehr in das Ermessen stellt. Daher darf eine Ausschreibung nicht routinemäßig schon deshalb erfolgen, weil sie nach Art. 96 Abs. 2 oder 3 SDÜ zulässig wäre. Vielmehr ist eine individuelle Entscheidung zu treffen, ob und auch wie lange die Ausschreibung erfolgen soll. Unter Einbeziehung des Inhalts der vorgelegten Akten und der eingereichten Schriftsätze der Antragsgegnerin ist nicht erkennbar, dass sich die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung hierüber im Klaren war. Jedenfalls finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin insoweit das ihr obliegende Ermessen überhaupt ausgeübt hätte.
2. Die Ausschreibung des Antragstellers im polizeilichen Informationssystem (INPOL) zum Zwecke der Ausweisung, Abschiebung, Zurückweisung und Festnahme ist ebenfalls rechtswidrig, da auch für diese Maßnahme keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage gegeben ist.
Die Vorschrift des § 50 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet als Ermächtigungsgrundlage zunächst aus. Zum einen dient diese Norm der Durchsetzung der gesetzlichen Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und setzt daher eine tatsächlich erfolgte Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Ausländers voraus, woran es im Falle des Antragstellers fehlt. Zum andern stellt die Vorschrift lediglich eine Befugnisnorm für die nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zuständigen Ausländerbehörden, nicht jedoch für die Antragsgegnerin dar.
Eine Ermächtigungsgrundlage für die INPOL-Ausschreibung des Antragstellers ergibt sich auch nicht aus § 30 Abs. 5 des Bundespolizeigesetzes (BPolG), auf den sich die Antragsgegnerin, wie allerdings erst eine telefonische Rückanfrage ergeben hat, offensichtlich maßgeblich stützt. Unabhängig von den Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm sieht diese Vorschrift auf der Rechtsfolgenseite lediglich eine Ausschreibung zum Zwecke der Ingewahrsamnahme, Aufenthaltsermittlung oder Überprüfung der betreffenden Person vor. Die Ausschreibung des Antragstellers erfolgte jedoch zum Zwecke der Ausweisung, Abschiebung, Zurückweisung und Festnahme, wobei nicht ersichtlich ist, dass in Bezug auf den Antragsteller ein Haftbefehl vorläge. Dieser konkrete Ausschreibungszweck, auf den maßgeblich abzustellen ist, wird aber von § 30 Abs. 5 BPolG nicht erfasst.
Aufgrund der Rechtswidrigkeit der erfolgten Ausschreibungen sind die Voraussetzungen des § 110 SDÜ und in Bezug auf die Ausschreibung im INPOL die eines Folgenbeseitigungsanspruches des Antragstellers gegeben. Die rechtswidrigen Ausschreibungen verletzen ihn in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit, da sie seine Einreise in den Schengenraum und in das Bundesgebiet verhindern. Dadurch wird ein rechtswidriger Zustand geschaffen, der derzeit noch andauert. Nur durch eine Löschung der Ausschreibung, zu der die Antragsgegnerin auch befugt ist, kann der rechtmäßige Zustand wiederhergestellt werden.
II. Darüber hinaus hat der Antragsteller entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, der wegen der Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache im vorliegenden Fall rechtfertigt.