VG Ansbach

Merkliste
Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 13.08.2007 - AN 11 K 07.30353 - asyl.net: M11650
https://www.asyl.net/rsdb/M11650
Leitsatz:

Beachtliche Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifischer Verfolgung von Frauen in Afghanistan nur, wenn konkrete Anhaltspunkte für unsittliches oder sonstiges Verhalten vorliegen, das Anlass für Übergriffe wäre.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Frauen, Flüchtlingsfrauen, alleinstehende Frauen, geschlechtsspezifische Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Situation bei Rückkehr, westliche Orientierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. d
Auszüge:

Beachtliche Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifischer Verfolgung von Frauen in Afghanistan nur, wenn konkrete Anhaltspunkte für unsittliches oder sonstiges Verhalten vorliegen, das Anlass für Übergriffe wäre.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die nunmehr erhobene Verpflichtungsklage auf Feststellung des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG unter Aufhebung der entgegenstehenden Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids des Bundesamtes vom 13. April 2007, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß §§ 77 Abs. 2 AsylVfG, 117 Abs. 5 VwGO verwiesen wird, und über die mit Einverständnis der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zwar zulässig, aber als unbegründet abzuweisen.

Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass stets eine Anknüpfung der Verfolgung an asylerhebliche Merkmale vorliegen muss, wie sich aus der Bezugnahme "Verfolgung im Sinne des Satzes 1" in § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG ausdrücklich ergibt. Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung kann also nur gewährt werden, wenn diese auch an asylerhebliche Merkmale anknüpft. Diese spezifische Zielrichtung beurteilt sich nach der objektiv erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden. In § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist in diesem Zusammenhang – insoweit über Art. 10 Abs. 1 d) der Qualifikationsrichtlinie hinausgehend – klargestellt (BT-Drks. 15/420, Seite 91), dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft. Diese genannten Verfolgungsmaßnahmen müssen daher allein an das Geschlecht anknüpfen (BVerwG vom 25.7. 2000, Hess VGH vom 1.3.2006, zitiert jeweils nach juris; VG Frankfurt/Main und VG Gelsenkirchen aaO; VG München vom 24.11.2005 und 19.3.2007, zitiert nach Asylmagazin; Leitfaden BAMF Seite 14; Pelzer/Pennington Asylmagazin 05/2006 Seite 4) und dürfen nicht auch auf anderen Umständen beruhen. Dies kann bei entsprechender Sachlage im Fall drohender Genitalverstümmelungen, Übergriffen wegen unsittlichen Verhaltens oder Zwangsheirat vorliegen und soll als Ausnahmefall auch im Fall der Rückkehr einer allein stehenden ledigen Frau nach Afghanistan gelten (VG München vom 24.11.2005). Dagegen knüpfen drohende Einschränkungen und durchaus massive Einschnitte in die in Deutschland erlernte Lebensweise (sog. verwestlichte Frauen) nicht allein an das Geschlecht an, sondern bestehen nur dann und insoweit sich die betroffene Frau bei einer Rückkehr nicht den dortigen Umgangsformen und Sittlichkeiten anpasst, wobei eine derartige Anpassung bzw. Unterordnung den betroffenen Frauen grundsätzlich zuzumuten ist (VG München aaO).

Bei Bewertung und Würdigung dieser Auskunftslage unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze und der zitierten Rechtsprechung ist hier eine allein geschlechtsspezifisch anknüpfende nichtstaatliche Verfolgung im vorgenannten Sinn weder substantiiert behauptet worden noch ersichtlich. Allein die im Hinblick auf den international üblichen Menschenrechtsstandard (vgl. etwa Art. 2 und 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN, das Übereinkommen der UN zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und die UN-Resolution über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen) auf Grund der dortigen Traditionen allgemein schlechte gesellschaftliche und rechtliche Stellung von Frauen in Afghanistan reicht hierzu ebenso wenig aus wie die mögliche Annahme, auf Grund längeren Aufenthalts im westlichen Ausland müsste einer Frau zwangsläufig ein moralischer Makel anhaften. Hier fehlt es schon an einer besonders geschlechtsspezifischen Anknüpfung von eventuell befürchteten Maßnahmen. Hinzu kommt, dass diese befürchteten Maßnahmen nach der Auskunftslage und Rechtsprechung auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach Auffassung des Gerichts könnte in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung eine geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen in Afghanistan (allen- oder jedenfalls) dann angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für unsittliches oder sonstiges Verhalten vorliegen, das wiederum Anlass für Übergriffe deswegen wäre oder wenn insbesondere eine Zwangsheirat drohen würde. Solches ist hier aber nicht gegeben, zumal die Klägerin auch nicht (mehr) allein stehend ist, sondern vielmehr in Deutschland einen Landsmann geheiratet hat, was aus afghanischer Sicht durchaus sogar den Schluss zuließe, dass sie auch im Ausland sittlich beschützt werde.