SG Reutlingen

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Zitieren als:
SG Reutlingen, Beschluss vom 03.08.2007 - S 2 AS 2936/07 ER - asyl.net: M11673
https://www.asyl.net/rsdb/M11673
Leitsatz:

§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB II schließt den Bezug von Arbeitslosengeld II für Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, auch dann aus, wenn diese nicht erstmals eingereist sind und unmittelbar Sozialleistungen in Anspruch nehmen.

 

Schlagwörter: D (A), Grundsicherung für Arbeitssuchende, Unionsbürger, Arbeitssuche, Gleichheitsgrundsatz, Unionsbürgerrichtlinie, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1; RL 2004/38/EG Art. 24 Abs. 2; EG Art. 12; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB II schließt den Bezug von Arbeitslosengeld II für Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, auch dann aus, wenn diese nicht erstmals eingereist sind und unmittelbar Sozialleistungen in Anspruch nehmen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Der zulässige Antrag ist unbegründet.

b) Es kann dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt. Jedenfalls fehlt es am Anordnungsanspruch. Der Antragsteller hat nämlich keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.

aa) Diesem Anspruch steht § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der seit dem 1. April 2006 geltenden Fassung entgegen. Nach dieser Vorschrift erhalten keine Leistungen nach dem SGB II unter anderem Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

(1) Diese Voraussetzungen des Anspruchsausschlusses liegen hier vor, da der Antragsteller sein Aufenthaltsrecht nur auf den Zweck der Arbeitssuche stützen kann. Für nichtdeutsche Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger), wie es beim Antragsteller der Fall ist, besteht ein Aufenthaltsrecht jedenfalls nach Ablauf von drei Monaten – der Antragsteller hat sich am Tag der Antragstellung bei Gericht drei Monate in Deutschland aufgehalten – nur nach Maßgabe von § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU).

Beim Antragsteller kommt nach seinem eigenen Vortrag lediglich der Aufenthaltstitel "zur Arbeitssuche" gemäß § 2 Abs. 2 Ziffer 1 2. Var. Freizügigkeitsgesetz/EU in Betracht.

(2) Vor diesem Hintergrund und angesichts des klaren Wortlauts von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II besteht für eine Auslegung der Norm dahingehend, dass von der Regelung nur diejenigen Ausländer betroffen sein sollen, die erstmals in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und dort unmittelbar mit dem Zuzug Sozialleistungen in Anspruch nehmen (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.07.2007, Az.: L 6 AS 444/07 ER, Juris, im Anschluss an SG Osnabrück, Beschluss vom 27.04.2006, Az.: S 22 AS 263/06 ER, Juris; offen gelassen von SG Speyer, Beschluss vom 13.07.2006, Az.: S 1 ER 211/06 AS, Juris) weder Anlass noch Raum. Selbst wenn man den nicht glaubhaft gemachten Vortrag des Antragstellers, dass er sich vom Jahr 1990 bis zum Jahr 2003 dauerhaft in Deutschland aufgehalten hat, als wahr unterstellt, so stellt doch die Abwesenheit zwischen dem Jahr 2003 und der erneuten Einreise im Jahre 2007 eine derartige Zäsur dar, die eine Ausnahme vom Anspruchsausschluss nicht rechtfertigt.

Abgesehen davon hat der Gesetzgeber den Anspruchsausschluss gerade nicht davon abhängig gemacht, dass der Betroffene erstmals nach Deutschland einreist, sondern allein von der Grundlage seines Aufenthaltsrechtes. Die gegenteilige Auffassung kann sich nicht auf den Willen des Gesetzgebers, der im Übrigen dann keinen hinreichenden Niederschlag im Normtext gefunden hätte, berufen (so aber LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.07.2007, Az.: L 6 AS 444/07 ER, Juris).

(2) Auch sieht die Kammer keine Notwendigkeit zu einer von Gemeinschaftsrecht wegen vorzunehmenden Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II dahingehend, dass der Anspruchsausschluss jedenfalls nicht nach Ablauf eines dreimonatigen Aufenthaltes im Bundesgebiet greift (so aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.04.2007, Az.: L 19 B 116/07 AS ER, Juris). Die insofern herangezogene Richtlinie 2004/38/EG gibt hierzu keine Veranlassung. Zwar genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des EG-Vertrages die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie). Dies gilt aber ausdrücklich nur vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im EG-Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen. Eine solche Ausnahmebestimmung enthält Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie, nach der abweichend von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie der Aufnahmemitgliedstaat unter anderem nicht verpflichtet ist, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status verbleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthaltes oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 lit. b der Richtlinie einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Art. 14 Abs. 4 lit. b der Richtlinie erfasst den Fall, dass der Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, um Arbeit zu suchen. Damit erlaubt die Richtlinie ausdrücklich den Ausschluss von EU-Bürgern vom Leistungsanspruch auf Sozialhilfe über den Zeitraum von drei Monaten hinaus auch dann, wenn der Unionsbürger – wie der Antragsteller – in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, um Arbeit zu suchen (siehe auch Hailbronner, JZ 2005, 1138 [1142]).

(3) Schließlich lässt sich auch aus Art. 12 EG kein Leistungsanspruch des Antragstellers bzw. die Unanwendbarkeit des Anspruchsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ableiten (a. A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.04.2007, Az.: L 19 B 116/07 AS ER, Juris).

Der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 12 EG gilt nicht uneingeschränkt (dazu Sachs, in: Tettinger/Stern [Hrsg.], Europäische Grundrechte-Charta, 2006, Art. 20 Rdnr. 23, m.w.N.; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union, Art. 12 EGV [2005] Rdnr. 23, m.w. N.), sondern kann durch ausdrücklich vorgesehene Ausnahmen eingeschränkt werden (EuGH, Urteil vom 23.03.2004, Az.: C-138/02, AP Nr. 14 zu Art. 39 EG; Strick, NJW 2005, 2182 [2185]), namentlich aus Gründen des Allgemeinwohls (Schöbener, in: Tettinger/Stern [Hrsg.], Europäische Grundrechte-Charta, 2006, Art. 45 Rdnr. 35, m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH), gilt also letztlich nach Maßgabe der sekundärrechtlichen Ausgestaltung (Bode, EuZW 2003, 552 [556]). So sind insbesondere Regelungen zulässig, die der Verhinderung eines Missbrauch des Freizügigkeitsrechts allein zu dem Zweck, in den Genuss der Sozialleistungen des anderen Mitgliedsstaates zu kommen, dienen sollen (Schöbener, in: Tettinger/Stern [Hrsg.], Europäische Grundrechte-Charta, 2006, Art. 45 Rdnr. 35, m.w.N.).

Eine solche Regelung stellt die Richtlinie 2004/38/EG dar.