VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 31.07.2007 - 3 K 896/05 - asyl.net: M11691
https://www.asyl.net/rsdb/M11691
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte, Verlust, Auslandsaufenthalt, Inhaftierung, Strafhaft
Normen: AufenthG § 4 Abs. 5; ARB Nr. 1/80 Art. 7
Auszüge:

Die Klage hat bereits mit dem Hauptantrag Erfolg.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer (deklaratorischen) Aufenthaltserlaubnis zum Nachweis seines Aufenthaltsrechts nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei, vgl. § 4 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Für den beantragten Zeitraum ab dem 10. Oktober 1989 steht ihm ein (konstitutives) Aufenthaltsrecht nach Maßgabe von Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei vom 19. September 1980 (künftig: ARB 1/80) zu.

Die zwischen den Beteiligten allein strittige Frage, ob dieses Aufenthaltsrecht dadurch erloschen ist, dass der Kläger in Serbien eine mehrjährige Strafhaft verbüßt hat, ist zu verneinen. Das ergibt sich aus dem Fallrecht des Europäischen Gerichtshofs:

Ein türkischer Staatsangehöriger, der – wie es beim Kläger unstreitig der Fall ist – als Kind im Wege der Familienzusammenführung in einen Mitgliedstaat einreisen durfte und das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 erworben hat, verliert das von diesem Recht auf freien Zugang abgeleitete Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat nur in zwei Fallgruppen, nämlich – in den Fällen des Art. 14 Abs. 1 diese Beschlusses oder – bei Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe, und zwar auch dann, wenn er – wie der vorliegend der Kläger – älter als 21 Jahre ist, von seinen Eltern keinen Unterhalt mehr erhält, sondern im betreffenden Mitgliedstaat ein selbständiges Leben führt, und dem Arbeitsmarkt mehrere Jahre lang wegen der Verbüßung einer gegen ihn verhängten und nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von solcher Dauer nicht zur Verfügung gestanden hat (vgl. dazu jüngst: Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 18. Juli 2007 C-325/05 (Derin), Rn. 57, m.w.N.).

Die Voraussetzungen der für den Verlust der Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 hier allein in Betracht kommenden (zweiten) Fallgruppe, nämlich "das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe", liegen in der Person des Klägers nicht vor.

Zunächst genügt zur Bejahung des Merkmals "nicht unerheblicher Zeitraum" nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht eine Abwesenheit für bestimmte Zeit, auch nicht für mehrere Jahre. Insbesondere kann der Sechs-Monats-Frist in § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG danach allenfalls Indizfunktion zukommen. Entscheidend ist vielmehr, ob der assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige den Integrationszusammenhang durch Aufgabe des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet auf Dauer beseitigt hat. Diese Frage ist nicht nur anhand der Abwesenheitsdauer, sondern unter Einbeziehung auch weiterer Kriterien zu beantworten (z.B. Ausreisezweck, Kündigung von Wohnung und/oder Arbeitsplatz, melderechtliche Abmeldung) (vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW, Beschlüsse vom 17. Januar 2007 - 19 E 990/06 - und 8. März 2006 - 18 B 130/06 -; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Beschluss vom 21. März 2006 - 24 ZB 06.233 -, Juris, Rdn. 23).

Nach diesen Vorgaben hat der Kläger seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet nicht aufgegeben.

Ferner führt ein Verlassen des Aufnahmestaates nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur dann zum Erlöschen des Status nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 wenn es "ohne berechtigte Gründe" erfolgt. Für diese Voraussetzung ist auf die Freiwilligkeit des Auslandsaufenthalts abzustellen. Diese kann auch nachträglich wegfallen, etwa wenn eine Krankheit oder eine Inhaftierung die zunächst beabsichtigte Rückkehr nach Deutschland unmöglich macht oder unzumutbar erschwert (OVG NRW, Beschluss vom 17. Januar 2007 - 19 E 990/06 - unter Hinweis auf BayVGH, Beschluss vom 21.März 2006 - 24 ZB 06.233 -, Juris, Rdn. 24).

Gemessen an diesen Maßstäben liegt es auf der Hand, dass die Inhaftierung des Klägers in Serbien seine Rückkehr nach Deutschland unmöglich gemacht hat und er sich damit gerade nicht "ohne berechtigten Grund" im Ausland aufgehalten hat. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob die serbischen Strafgerichte die Täterschaft des Klägers zu Recht angenommen haben oder nicht.