FG Niedersachsen

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Zitieren als:
FG Niedersachsen, Urteil vom 09.07.2007 - 16 K 427/05 - asyl.net: M11760
https://www.asyl.net/rsdb/M11760
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Kindergeld, Aufenthaltserlaubnis, Erwerbstätigkeit, Bleiberechtsregelung
Normen: EStG § 62 Abs. 2; AufenthG § 23 Abs. 1; AufenthG § 2 Abs. 2; EStG § 52 Abs. 61a
Auszüge:

Kindergeld nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG setzt nicht voraus, dass der Ausländer sowohl zu einer nichtselbstständigen, als auch zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit berechtigt ist; besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG, die nicht wegen eines Krieges in seinem Heimatland erteilt wurde (hier: Bleiberechtsregelung), ist es keine Voraussetzung für Kindergeld, dass er tatsächlich eine Erwerbstätigkeit ausübt.

 

Die Klage ist teilweise begründet.

Gem. § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2915, BStBl. I 2007, 62; im Folgenden: n. F.) erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld nur, wenn er eine Niederlassungserlaubnis besitzt (Nr. 1) oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde a) nach §§ 16, 17 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt, b) nach § 18 Abs. 2 AufenthG erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden, c) nach § 23 Abs. 1 des AufenthG wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23 a, 24, 25 Abs. 3–5 des AufenthG erteilt. Im Falle des § 62 Abs. 2 Nr. 2 c) EStG n.F. besteht ein Anspruch jedoch u.a. dann, wenn der Ausländer im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

Die Klägerin verfügte im streitbefangenen Zeitraum über eine Aufenthaltserlaubnis, die im Sinne von § 62 Abs. 2 Nr. 2 1. Halbsatz EStG n. F. zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt hat. § 2 Abs. 2 AufenthG definiert den Begriff der Erwerbstätigkeit als die selbständige Tätigkeit und die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Beschäftigung im Sinne des SGB IV ist nach § 7 Abs. 1 die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Das Gericht geht davon aus, dass der Begriff der Erwerbstätigkeit in § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG n.F. dem in § 2 Abs. 2 AufenthG entspricht, da die Ziffer 2 des § 62 Abs. 2 EStG n.F. auch im übrigen an die Begriffsdefinitionen des AufenthG anknüpft. Da – wie der Landkreis O in seiner Stellungnahme bestätigt hat – der Klägerin nur höher qualifizierte nichtselbständige Berufstätigkeiten, nicht aber einfache Arbeiten untersagt waren, war sie befugt, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

Dem Beklagten kann nicht darin gefolgt werden, dass das Tatbestandsmerkmal der Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nur dann erfüllt ist, wenn dem Ausländer sowohl eine nichtselbständige, als auch eine selbständige Erwerbstätigkeit gestattet ist. Nach dem Wortlaut des § 62 Abs. 2 Nr. 2 1. Halbsatz EStG n. F. muss die Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung "einer Erwerbstätigkeit" berechtigen. § 2 Abs. 2 AufenthG legt fest, dass sowohl die selbständige als auch die nichtselbständige Tätigkeit als "Erwerbstätigkeit" anzusehen ist. Damit ist jede dieser beiden Tätigkeiten als "eine" Erwerbstätigkeit anzusehen. Die Auslegung des Beklagten scheitert schon daran, dass auch § 2 Abs. 2 AufenthG nicht im Sinne eines kumulierten Vorliegens beider Alternativen zu verstehen ist, weil es den Fall nicht gibt, dass jemand mit der gleichen Tätigkeit sowohl selbständig als auch nichtselbständig tätig wird.

Weiterhin setzt der Kindergeldanspruch nicht voraus, dass die Klägerin auch tatsächlich erwerbstätig war oder Lohnersatzleistungen bezogen hat. Dies ist zwar dann erforderlich, wenn der Ausländer über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG "wegen eines Krieges in seinem Heimatland" verfügt. Dieser Fall liegt jedoch nicht vor, weil der Klägerin die Aufenthaltserlaubnis nicht aufgrund eines Krieges im Heimatland, sondern aufgrund einer Bleiberechtsregelung erteilt wurde. Das Gericht geht davon aus, dass der Gesetzgeber bewusst diese Fälle aus § 62 Abs. 2 Nr. 2 c), Nr. 3 EStG n.F. ausgegrenzt hat. Während sich der Gesetzgeber ansonsten in der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG an die Begriffsbestimmungen des AufenthG angelehnt hat, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 c) 1. Alt. EStG n.F. anders definiert als in § 23 Abs. 1 AufenthG. Danach kann die oberste Landesbehörde aus "völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland" anordnen, dass Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. § 23 Abs. 1 AufenthG ist insofern in seinen Voraussetzungen weiter als die Formulierung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 c) EStG n.F. "wegen eines Krieges in seinem Heimatland". Das Gericht geht deshalb davon aus, dass der Gesetzgeber bewusst zwischen den verschiedenen von § 23 Abs. 1 AufenthG erfassten Sachverhalten unterschieden hat.

§ 62 Abs. 2 EStG n. F. ist schließlich auch in dem hier maßgeblichen Zeitraum anzuwenden. Dies ergibt sich aus § 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG, wonach die Rechtsnorm in allen Fällen anzuwenden ist, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist.