SG Bremen

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Zitieren als:
SG Bremen, Gerichtsbescheid vom 25.04.2006 - S 3 SB 138/04 - asyl.net: M11793
https://www.asyl.net/rsdb/M11793
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Schwerbehindertenrecht, Duldung, gewöhnlicher Aufenthalt, Roma, Serbien, Kosovo, Abschiebungshindernis, Morbus Bechterew, Herzerkrankung
Normen: SGB IX § 2 Abs. 2; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; SGB IX § 69 Abs. 1; AufenthG § 60a
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung ihrer Behinderungen nach dem SGB IX. Bei ihr sind ein GdB von 90 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "G" und "B" festzustellen.

Gem. § 2 Abs. 2 SGB IX setzt - wie schon zuvor gem. § 1 SchwbG - die Feststellung einer Behinderung voraus, dass der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches hat. Was der gewöhnliche Aufenthalt ist, definiert das SGB IX nicht. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) aber hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt gem. § 37 SGB 1 für alle Leistungsbereiche des SGB, soweit sich nicht aus seinen übrigen Büchern etwas anderes ergibt.

Die Klägerin hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX.

Die Klägerin ist im Besitz einer befristeten Duldung und befindet sich damit nicht rechtswidrig im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Der Auffassung der Beklagten, im Gegensatz zu früherem Recht könne nach dem AufenthG eine Duldung nicht mehr zu einem rechtmäßigen Aufenthalt führen, kann nicht gefolgt werden. Eine Duldung stellte schon nach §§ 55, 56 AuslG lediglich eine zeitweise Aussetzung der Abschiebung und damit eine befristete, die grundsätzliche Ausreisepflicht unberührt lassende Maßnahme dar und konnte somit einem Ausländer keine Rechtsstellung wie einem anerkannten Asylberechtigten verschaffen (BVerwG, Beschl. v. 23.11.1994, Az.: 1 B 175/94). Nicht anders ist der Rechtscharakter der Duldung nach heute geltendem Recht gem. § 60a AufenthG. Sowohl nach altem Recht als auch heute führt aber eine Duldung nicht zu einem unerlaubten Aufenthalt i.S.d. § 92 AuslG bzw. § 95 AufenthG. Wer im Besitz einer Duldung ist, hält sich nicht illegal im Bundesgebiet auf.

Die Klägerin hat im Geltungsbereich des SGB IX ihren gewöhnlichen Aufenthalt, weil hier der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen ist und sie sich in Deutschland bis auf weiteres (nicht nur vorübergehend) im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält. Allerdings kann allein die Tatsache einer befristeten Duldung nicht zur Annahme eines nicht nur vorübergehenden Verweilens führen, da ein solches Verweilen eine Position voraussetzt, die - wie bei einem Inländer - einen Aufenthalt auf unbestimmte Zeit möglich macht (vgl. BSG, Urt.v. 01.09.1999, Az.: B 9 SB 1/99 R); die Duldung soll aber, wie bereits oben ausgeführt, gerade keinen Aufenthalt auf Dauer ermöglichen. Jedoch kann auch für Inhaber einer Duldung ein nicht nur vorübergehendes Verweilen anzunehmen sein, wenn andere Umstände ergeben, dass sie sich gleichwohl auf unbestimmte Zeit in Deutschland aufhalten werden. Einen solchen Umstand nimmt die Rechtsprechung an, wenn ein Ausländer nicht mit einer Abschiebung zu rechnen braucht (BSG a.a.O.; Bayerisches LSG, Beschl. v. 18.02.1999, Az.: L 18 B 141/98 SB PKH). Das ist hier der Fall: Die Klägerin ist eine Roma aus dem Kosovo. Sie hält sich ununterbrochen seit nunmehr seit fast 4 1/2 Jahren in der Bundesrepublik auf und hat bis heute fortlaufend befristete Kettenduldungen erhalten. Eine Rückführung von Roma in das Kosovo ist, wie zuletzt im Erlass 05-12-01 des Senators für Inneres und Sport festgestellt, nach wie vor aus tatsächlichen Gründen - die im Übrigen im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten im Bescheid vom 26. Januar 2004 nicht die Klägerin zu vertreten hat - nicht möglich. An dieser Sachlage wird sich voraussichtlich angesichts der politischen Lage im Kosovo in absehbarer Zeit auch nichts ändern. UNMIK (United Nations Interim Administration Mission In Kosovo) sieht, wie auch der Erlass des Senators zitiert, eine Rückführung von kranken oder behinderten Personen in das Kosovo als problematisch an. Die Klägerin leidet - auch nach Auffassung der Beklagten - unter einem fortgeschrittenen Morbus Bechterew und einer Herzleistungsminderung mit Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung. Sie benötigt Antiphlogistica und Tetrazepam. Auf Grund der oben geschilderten Verhältnisse im Kosovo ist davon auszugehen, dass sie dort wegen fehlender medizinischer Versorgungsmöglichkeiten eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes erleiden würde und ihr auch aus diesem Grund Abschiebungsschutz zu gewähren wäre.