VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 25.06.2007 - 3 K 1328/06.KO - asyl.net: M11808
https://www.asyl.net/rsdb/M11808
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Sperrwirkung, Wirkungen der Ausweisung, Wirkungen der Abschiebung, Befristung, atypischer Ausnahmefall, Ermessen, Strafhaft, Haft, Schutz von Ehe und Familie, Abschiebungskosten, Wiederholungsgefahr, Erlasslage, Verwertungsverbot
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8
Auszüge:

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung vom 24. November 1998 durch den Beklagten noch auf erneute Entscheidung über seinen Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

Anzuwenden ist im Fall des Klägers das Aufenthaltsgesetz, wonach die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung auf Antrag gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel befristet werden. Ob die Voraussetzungen der Regelbefristung im Einzelfall erfüllt sind, unterliegt als gesetzliches Tatbestandsmerkmal des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG der vollen gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. August 2000 – 1 C 5.00 -, BVerwGE 111, 369).

Bei der Abgrenzung von Regel- und Ausnahmefall ist zunächst das Gewicht des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen. Weiter sind die mit der Ausweisung verfolgten spezial- und/oder generalpräventiven Zwecke mit einzubeziehen. Die Sperrwirkung muss so lange bestehen, wie es diese Zwecke im Einzelnen erfordern. Eine Befristung scheidet daher aus, wenn die von der Ausländerbehörde zu stellende Prognose ergibt, dass der Ausweisungszweck auch am Ende einer dem Ausländer zu setzenden längeren Frist voraussichtlich, etwa wegen seiner besonderen Gefährlichkeit, nicht erreicht werden kann. Bei der Entscheidung über die Befristung ist auch das Verhalten des Ausländers nach der Ausweisung zu würdigen. Eine Ausnahme von der Regel kann in Betracht kommen, wenn ein Ausländer nicht freiwillig ausgereist ist oder sich gar erfolgreich der Abschiebung widersetzt hat. Eine Ausnahme von der Regel ist hingegen zu verneinen, wenn der Versagung der Befristung höherrangiges Recht entgegensteht, insbesondere die Versagung mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen, namentlich dem Schutz von Ehe und Familie unvereinbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 02. Mai 1996, - 1 B 194.95 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr.5). Auch andere gesetzliche Schutzbestimmungen, etwa Normen des Europarechts, können der Bejahung eines Ausnahmefalles entgegenstehen. In Betracht kommt hier Art. 8 Abs. 1 EMRK.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt in Übereinstimmung mit den Beteiligten zunächst, dass vorliegend von einem Regelfall auszugehen ist.

Dem Beklagten war damit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist der Ausweisung und der Abschiebung eröffnet. Zu den für diese Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen ist folgendes auszuführen: Die Ausweisung verfolgt den Zweck, die Allgemeinheit vor dem Ausländer wegen der Gefahr einer Wiederholung bzw. Fortdauer der Ausweisungsgründe zu schützen (Spezialprävention) und – wo zulässig – andere Ausländer von der Verwirklichung der Ausweisungsgründe abzuschrecken (Generalprävention). Die Dauer der Sperrwirkung ist daher danach zu bestimmen, wann der oder die Ausweisungszwecke voraussichtlich erreicht sein werden, wobei nicht auf die abstrakt möglichen, sondern auf die in der zugrunde liegenden Ausweisungsverfügung konkret festgelegten Zwecke abgestellt wird. Bei dieser Prognose sind alle – vor allem auch nachträglich eintretende – Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, soweit sie geltend gemacht oder erkennbar sind. In diesem Kontext ist auch das Gewicht des Ausweisungsgrundes im Rahmen des Systems der §§ 53 ff. AufenthG maßgeblich zu berücksichtigen. Die Sperrwirkung darf dabei aber nur so lange fortbestehen, wie es die ordnungsrechtlichen Zwecke im Einzelfall erfordern. Sind diese Zwecke andererseits – sämtlich – erreicht, ist es nicht länger gerechtfertigt, die Sperrwirkung aufrecht zu erhalten (Zweckerreichung als Fristobergrenze). Ferner sind die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen höherrangigen Rechts, vornehmlich die Wertentscheidung des Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK zu berücksichtigen.

Bei Anwendung dieser Grundsätze prüft das Gericht aber nur, ob die Befristungsentscheidung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen von einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Es prüft nicht, ob auch andere, den Kläger möglicherweise weniger belastende Entscheidungen möglich gewesen wären. Das Gericht prüft im Rahmen der Ermessenskontrolle nur, ob die Entscheidung den gesetzlich zulässigen Entscheidungsspielraum eingehalten hat, indem sie von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, den Gleichbehandlungsgrundsatz beachtet hat und weder grob sachwidrig noch willkürlich erscheint.

Entgegen der Auffassung des Klägers bleibt eingangs festzustellen, dass der Umstand, dass der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung die Haftdauer des Klägers von ca. 10 Jahren letztlich unberücksichtigt gelassen hat, keinen Ermessensfehler begründet. Die Frage, welche Frist zu bestimmen ist, hängt – wie bereits ausgeführt – maßgeblich davon ab, bis wann mit dem Erreichen der konkreten Ausweisungsziele gerechnet werden kann. Auf die Zeit der verbüßten Strafhaft kommt es demgegenüber nicht an. Diese sühnt lediglich das begangene Unrecht mit dem Ziel der Resozialisierung. Allerdings kann das Verhalten des Klägers in der Straftat in seiner Gesamtheit Rückschlüsse darauf zulassen, bis wann die in Rede stehenden Ausweisungszwecke erreicht werden können.

Nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung zunächst eine typisierende Betrachtungsweise vorgenommen hat, um dann anschließend – insbesondere unter Einbeziehung des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK – auf den konkreten Fall des Klägers einzugehen.

Hiervon ausgehend hat der Beklagte dann ermessensfehlerfrei dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger nach der ergangenen Ausweisungsverfügung die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen eingegangen ist. Er hat hieraus die Konsequenz gezogen, bei der Festsetzung der Sperrfrist sich am unteren Ende des zeitlichen Rahmens zu orientieren. Der Beklagte hat hiervon ausgehend von einer Festsetzung von 13 Jahren (dies würde dem äußersten unteren Ende des Rahmens entsprechen) allerdings Abstand genommen, und zusätzlich ein weiteres Jahr zu Lasten des Klägers berücksichtigt, weil der Kläger nach wie vor mit der Zahlung der Abschiebekosten im Rückstand ist. Dass die Berücksichtigung nicht gezahlter Abschiebungskosten ein Kriterium sein kann, das bei der Befristungsentscheidung eine Rolle spielt, ist nicht zweifelhaft (vgl. nochmals Kloesel/Christ, a.a.O, § 11 Rdnr. 24).

Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Beklagte bei seiner Entscheidung Art. 6 GG nicht verkannt. Unstreitig ist, dass der Beklagte sowohl die Ehe des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen als auch den Wunsch des Klägers im Sinne seiner Privatsphäre, in der Bundesrepublik Deutschland leben zu wollen, berücksichtigt hat.

Nach Auffassung der Kammer hat der Beklagte bei der Festsetzung der konkreten Sperrfrist Art. 6 GG auch nicht unverhältnismäßig zu Lasten des Klägers gewichtet. Der Beklagte hat insoweit alle in Rede stehenden Umstände einbezogen. Dabei hat der Beklagte auch erkannt, dass ein Getrenntleben von 14 Jahren insgesamt in Bezug auf den Bestand der Ehe erhebliche Nachteile mit sich bringen kann. Gleichwohl hat sich der Beklagte ermessensfehlerfrei zu der bis zum 1. Juli 2014 verfügten Sperrfrist entschlossen, weil die Belange der Allgemeinheit aufgrund der Tat des Klägers und der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit dies rechtfertigen.

Die Befristungsentscheidung des Beklagten begegnet schließlich auch unter Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. hier u.a. Urteil vom 22. März 2007 – 1638/03 [Maslow]-) keinen Bedenken. Zwar kann nicht bestritten werden, dass die Befristungsentscheidung des Beklagten einen Eingriff in das Recht auf Schutz und Achtung des Privat- und Familienlebens des Klägers darstellt. Es ist deshalb notwendig zu prüfen, ob dieser Eingriff die Voraussetzungen des Abs. 2 des Art. 8 EMRK erfüllt, ob er also in Übereinstimmung mit dem Gesetz erfolgt, eines oder mehrere der in diesem Absatz anerkannten legitimen Ziele im Blick hat und zum Erreichen dieses Ziels in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Insbesondere letztes Merkmal ist hier nach Auffassung der Kammer auch gegeben.