VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 05.06.2007 - 9 E 1554/07 - asyl.net: M11812
https://www.asyl.net/rsdb/M11812
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Erwerbstätigkeit, Aufenthaltserlaubnis, Antrag, Ablehnung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit, Vorwegnahme der Hauptsache, Rechtsweggarantie, Beschäftigung, Arbeitsplatzangebot, Zustimmung, Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktprüfung, Arbeitsbedingungen, Tarifvertrag
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 123 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; AufenthG § 18 Abs. 2; AufenthG § 18 Abs. 3; AufenthG § 18 Abs. 5; AufenthG § 39 Abs. 2
Auszüge:

Der auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtete Eilantrag bedarf zunächst der Auslegung im Hinblick auf das von der Antragstellerin erstrebte Rechtsschutzziel (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO). Diese möchte, da ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vollziehbar (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) abgelehnt worden ist, zunächst die nunmehr bestehende Vollziehbarkeit (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) ihrer Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) beseitigt wissen, um der ihr andernfalls drohenden Abschiebung (§ 58 Abs. 1 AufenthG) zu entgehen. Dieses Rechtsschutzziel erreicht sie mit Hilfe eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eingelegten Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, weil dann – im Falle des Erfolgs des Eilantrages – die wegen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sofort vollziehbare Ablehnung suspendiert wäre und die Ausreisepflicht nicht vollzogen werden könnte. Hiermit wäre der Antragstellerin jedoch noch nicht hinreichend geholfen. Diese erstrebt einen legalen Aufenthalt zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Dieses Recht wäre ihr im Falle der Suspendierung des Ablehnungsbescheides indes noch nicht eingeräumt, vielmehr benötigte die Antragstellerin zusätzlich die vorläufige Gestattung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Das kann sie nicht in dem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erreichen. Zur Gewährleistung des in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten effektiven Rechtsschutzes hält es die Kammer daher für angezeigt, dass ein Ausländer, der erstmalig einen zur Erwerbstätigkeitsaufnahme berechtigenden Aufenthaltstitel anstrebt, neben dem nach Ablehnung seines Antrags – nur – seinen einstweiligen Verbleib im Bundesgebiet sichernden Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zur einstweiligen Gestattung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zusätzlich auch noch den vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 VwGO für sich in Anspruch nehmen können muss. Denn die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu Erwerbstätigkeitszwecken ablehnenden Bescheid der Ausländerbehörde bewirkt für den Betroffenen bis zur Entscheidung in der Hauptsache keinen ausreichenden effektiven Rechtsschutz i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG. Es muss daher in diesen Fällen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO und nach § 123 VwGO gewährt werden (vgl. hierzu – mit eingehender Begründung – VGH Mannheim, Beschluss vom 23. Oktober 2006 – 13 S 1943/06 –, NVwZ-RR 2007, 277).

Der so verstandene Eilantrag hat Erfolg. Dies gilt zunächst für den gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaften Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Widerspruchs.

Nach diesen Maßgaben überwiegt vorliegend das private Interesse der Antragstellerin an einer vorübergehenden Suspendierung der Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit, weil bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafür spricht, dass die Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin – gemessen an der gegenwärtig zugrunde zu legenden Sachlage (hierzu unten) – rechtswidrig ist, da die Antragstellerin voraussichtlich auf der Grundlage von § 18 Abs. 2 und 3 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, jedenfalls einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat.

Bei der Beschäftigung, die die Antragstellerin bei der Firma "xxx" ausüben möchte und für die ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegt (§ 18 Abs. 5 AufenthG), handelt es sich um eine Beschäftigung i.S.d. § 18 Abs. 3 AufenthG, für die eine qualifizierte Berufsausbildung nicht vorausgesetzt wird.

Die Kammer ist des Weiteren der Ansicht, dass die Versagung der Zustimmung zur Beschäftigung der Antragstellerin bei der Firma "xxx" durch die Beigeladene voraussichtlich rechtswidrig war, die Beigeladene die Zustimmung vielmehr hätte erteilen müssen. Die Beigeladene hat die Versagung ihrer Zustimmung in erster Linie auf § 39 Abs. 2 Satz 1 HS 2 AufenthG gestützt, wonach für die Erteilung einer Zustimmung Voraussetzung ist, dass der Ausländer nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden soll. Die Beigeladene hat diesbezüglich auf den "Gehaltstarifvertrag Angestellte – Zeitschriften – Hamburg/Schleswig-Holstein" abgestellt, wonach für Redaktionsassistenten mit der Gehaltsgruppe 7 (selbständige Tätigkeiten, die Spezialkenntnisse erfordern, begrenzte Entscheidungsbefugnis) für Berufsanfänger ein Stundenlohn in Höhe von 17,67 EUR vorgesehen sei. Auch wenn die Firma "xxx" nicht nach Tarif bezahle, so werde deutlich, dass das von dieser Firma angebotene Gehalt gravierend unter dem üblicherweise gezahlten Gehalt liege. Die Kammer vermag diese Einschätzung nicht zu teilen. Auch wenn es grundsätzlich nicht beanstandet werden kann, zur Ermittlung dessen, was als übliche Arbeitsbedingungen i.S.v. § 39 Abs. 2 Satz 1 a.E. AufenthG angesehen werden kann, tarifvertragliche Regelungen heranzuziehen, so dürfte die Antragstellerin zu Recht darauf hingewiesen haben, dass ein Großteil von – zumeist kleineren – Verlagsunternehmen nicht nach Tarif bezahlt, diese vielmehr ihre Arbeitnehmer außertariflich bezahlen, und dass die übliche außertarifliche Bezahlung deutlich unter der tariflichen Bezahlung liegt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Heranziehung der tarifvertraglichen Regelung zur Bestimmung der üblichen Arbeitsbedingungen i.S.v. § 39 Abs. 2 Satz 1 a.E. AufenthG zumal dann wenig geeignet, wenn der Tarifvertrag die betriebliche Wirklichkeit, wie sie sich in einem Großteil der Unternehmen darstellt, nicht realitätsnah abbildet.

Die Kammer ist des Weiteren – ungeachtet der Arbeitsbedingungen, wie sie im Tarifvertrag geregelt und in anderen vergleichbaren Betrieben vorgefunden werden können – der Auffassung, dass es für die Bestimmung der üblichen Arbeitsbedingungen i.S.v. § 39 Abs. 2 Satz 1 a.E. AufenthG maßgeblich auf die Bedingungen ankommt, die in dem Unternehmen herrschen, in dem eine Beschäftigung aufgenommen werden soll. Es ist deshalb auf den einstellungsbereiten Betrieb abzustellen, weil als Vergleichsmaßstab die möglichst unmittelbar vergleichbaren, tatsächlich bestehenden Arbeitsbedingungen entscheidend sind. Es kommt demgemäß nicht darauf an, ob das in dem betreffenden Betrieb tatsächlich bestehende Niveau der Arbeitsbedingungen den geltenden arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen entspricht. Denn die Vergleichbarkeitsklausel des § 39 Abs. 2 Satz 1 a.E. AufenthG ist nicht auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ausgerichtet, sondern soll lediglich Lohndumping und Wettbewerbsverzerrungen verhindern (vgl. – selbst allerdings a.A. – Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblatt, Stand: Dezember 2006, § 39 AufenthG Rdnr. 51). Nach diesen Maßgaben ist die Vergleichbarkeit i.S.d. § 39 Abs. 2 Satz 1 a.E. AufenthG zu bejahen.

Auch die Verweigerung der Zustimmung durch die Beigeladenen auf der Grundlage von § 39 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 1b) AufenthG, auf den sich die Beigeladene hilfsweise gestützt hat, hält einer rechtlichen Überprüfung in diesem Eilverfahren nicht stand. Dies gilt bereits deshalb, weil auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen die Prämisse der Beigeladenen, dass das Stellenangebot an die Antragstellerin weit unter der üblichen Bezahlung liegen würde und deshalb eine Weiterleitung des Vermittlungsauftrages nicht in Frage gekommen sei, nicht aufrecht erhalten bleiben kann. Dass die Beigeladene den Vermittlungsauftrag nicht weiter bearbeitet hat, kann freilich nicht zu Lasten der Antragstellerin gehen, die selbst keine Möglichkeiten hat, das Nichtvorhandensein von bevorrechtigten Arbeitnehmern nachzuweisen. Im Übrigen erscheint es nicht sonderlich naheliegend, dass – wie die Beigeladene in dem Schriftsatz vom 23. Mai 2007 dargelegt hat – "ausreichend Bewerber mit einem akademischen Abschluss und dem Wunsch, als Redaktionsassistent zu arbeiten, zur Verfügung" stehen. Es dürfte insoweit nicht sachgerecht sein, abstrakt auf die Stellenbezeichnung – "Redaktionsassistent" – abzustellen. Zwar begegnet es einerseits Bedenken, eine Stellenbeschreibung derartig eng zu fassen, dass hierfür nur noch eine Person – nämlich der einzustellende Ausländer – in Frage kommt (vgl. Hailbronner a.a.O. § 39 AufenthG Rdnr. 39). Es ist andererseits jedoch zu beachten, dass die vorrangige Einstellung eines ausländischen Arbeitnehmers dann zulässig ist, wenn der zu vergebende Arbeitsplatz Fertigkeiten und Kenntnisse erfordert, die bevorrechtigte Arbeitnehmer in der Regel nicht besitzen, z.B. besondere Kenntnisse im Umgang mit der ausländischen Bevölkerung oder besondere im Ausland erworbene Fachkenntnisse (Hailbronner a.a.O. § 39 AufenthG Rdnr. 41), und es ist des Weiteren zu sehen, dass eine Verfügbarkeit i.S.v. § 39 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 1b) AufenthG voraussetzt, dass der konkrete Arbeitsplatz mit bevorrechtigten Arbeitnehmern angemessen und unverzüglich besetzt werden könnte, wobei Besonderheiten in Bezug auf besondere Qualifikationen den Kreis der vermittelbaren bevorrechtigten Arbeitnehmer verkleinern können mit der Folge, dass eine zügige Besetzung vernünftigerweise nicht zu erwarten ist (Hailbronner a.a.O. § 39 AufenthG Rdnr. 41).

Gründe, die eine anderslautende Ermessensentscheidung durch die Antragsgegnerin wahrscheinlich machen würden, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Es kann dahin stehen, ob deshalb – im Falle einer (ggf. durch das Gericht zu ersetzenden) Zustimmung durch die Beigeladene – von einer Ermessensreduzierung auf Null bei der Antragsgegnerin auszugehen ist. Denn für die in diesem Eilverfahren zu beantwortende Frage, ob die aufschiebende Wirkung des gegen die Ablehnungsentscheidung eingelegten Widerspruchs anzuordnen ist, kommt es nur darauf an, ob die Ablehnungsentscheidung rechtswidrig gewesen ist. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob ein Anspruch auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels besteht, oder ob lediglich ein Anspruch auf Vornahme einer – bislang noch nicht erfolgten – ermessensfehlerfreien Entscheidung über den Antrag besteht.

Zusätzlich ist die einstweilige Anordnung in dem tenorierten Umfang auszusprechen. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dabei die Glaubhaftmachung (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO) einerseits eines Anordnungsanspruchs und andererseits eines Anordnungsgrundes, wobei sich der Anordnungsanspruch auf den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, bezieht (vgl. Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblatt, Stand: 13. Ergänzungslieferung 2006, § 123 Rdnr. 64, 69). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Ein Anordnungsanspruch ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin voraussichtlich die Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw. zumindest die ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber auf der Grundlage von § 18 Abs. 2 und 3 AufenthG und dabei – inzident – auch die Zustimmung der Beigeladenen nach § 39 AufenthG beanspruchen kann, weil sich die bisherige ablehnende Haltung der Antragsgegnerin bzw. der Beigeladenen nicht weiter aufrecht erhalten lassen wird. Ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, weil nach den glaubhaften Angaben der Antragstellerin die Firma "xxx" das an sie gerichtete Arbeitsplatzangebot nur noch kurzzeitig aufrecht erhalten will. In dem Erlass einer einstweiligen Anordnung liegt keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Denn die Antragstellerin erhält nicht die in der Hauptsache erstrebte Aufenthaltserlaubnis, sondern es wird lediglich durch Suspendierung der Ablehnungsentscheidung der weitere Aufenthalt vorübergehend gesichert, und es wird im Übrigen – auch wenn ein Aufenthaltstitel noch nicht erteilt ist – sichergestellt, dass die Antragstellerin die angebotene Stelle einstweilen antreten kann, damit das Stellenangebot sich nicht erledigt. Dabei ist die in diesem Eilverfahren getroffene Regelung zeitlich in dem tenorierten Umfang eingeschränkt, um der von der Antragsgegnerin zu treffenden Ermessensentscheidung – sofern die Beigeladene nicht an ihrer ablehnenden Haltung festhält – nicht vorzugreifen.