VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - asyl.net: M11822
https://www.asyl.net/rsdb/M11822
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte, Türken, Erlöschen, Aufenthaltstitel, Unionsbürgerrichtlinie, Auslandsaufenthalt, Wehrdienst
Normen: ARB Nr. 1/80 Art. 7; AuslG § 44 Abs. 2; AufenthG § 51 Abs. 3; RL 2004/38/EG Art. 11 Abs. 2; 2004/38/EG Art. 16 Abs. 3
Auszüge:

Das Verwaltungsgericht hat überzeugend dargelegt, dass der Antragsteller, der bis zu seiner Ausreise am 10.04.2004 einen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Deutschland hatte, jedenfalls zum Zeitpunkt dieser Ausreise ein sich aus Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 ergebendes Aufenthaltsrecht hatte. Es spricht viel dafür, dass dieses Aufenthaltsrecht durch den Aufenthalt des Antragstellers von 10.04.2004 bis 09.02.2006 in der Türkei nicht verloren gegangen ist.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erlischt ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz. 1 ARB 1/80 nur dann, wenn es gemäß Art. 14 ARB 1/80 rechtmäßig aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit beschränkt wurde oder wenn der Rechtsinhaber das Gebiet des aufnehmenden EU-Mitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum und ohne berechtigte Gründe verlässt (so ohne weitere Präzisierung: EuGH, Urteile vom 16.03.2000, Rs. C-329/97 - Ergat <Rn. 48> -, vom 11.11.2004, Rs. C-467/02 - Cetinkaya <Rn. 36> -, vom 07.06.2005, Rs. C-373/03 - Aydinli <Rn. 27> -, und vom 16.02.2006, Rs. C-502/04 - Torun <Rn. 21> -). Die Regelungen des deutschen Ausländerrechtes sind für das eigenständige und Anwendungsvorrang genießende ARB-Aufenthaltsrecht ohne Belang, weswegen ein solches - entgegen den Erwägungen des Verwaltungsgerichts - auch nicht durch (sinngemäße) Anwendung der Dreimonatsregel des § 44 Abs. 2 AuslG bzw. § 51 Abs. 3 AufenthG erloschen sein dürfte. Wie das Verwaltungsgericht hingegen zutreffend ausgeführt hat, können insoweit möglicherweise die Rechtsgedanken der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG, selbst wenn diese Richtlinie auf assoziationsberechtigte Türken nicht anwendbar sein sollte, fruchtbar gemacht werden. Nach Art. 11 Abs. 2 bzw. Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie muss etwa Berücksichtigung finden, wenn die Abwesenheit im Mitgliedstaat wegen der Erfüllung militärischer Pflichten erfolgte. Auch wenn der Antragsteller möglicherweise primär aufgrund seiner (berechtigten) Angst vor einem Gefängnisaufenthalt in die Türkei ausreiste, hat er sich dort offenbar umgehend bei der Armee gemeldet, um vom 24.05.2004 bis 24.08.2005 seinen Wehrdienst zu absolvieren. Seine insoweit im Sinne der EuGH-Rechtsprechung "mit berechtigtem Grund" erfolgte Abwesenheit vom Bundesgebiet bis 24.08.2005 kann mithin wohl nicht zum Erlöschen des ARB-Aufenthaltsrechtes geführt haben.

Nach den zitierten Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie ist im Übrigen hinsichtlich des Aufenthaltsrechtsverlustes ein vorübergehender Auslandsaufenthalt von bis zu sechs Monaten im Jahr generell unschädlich. Der Antragsteller verblieb nach seinem Militärdienst bis 09.02.2006 in der Türkei, also nur rund 5 ½ Monate, weshalb auch aus diesem Grund sein ARB-Aufenthaltsrecht kaum erloschen sein kann. Dass er in dieser Zeit teilweise in Antalya als Übersetzer gearbeitet und versucht hat, sich eine Existenz aufzubauen, dürfte für Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ohne entscheidungserhebliche Relevanz bleiben. Jedenfalls die Sechsmonatsregelung der Unionsbürgerrichtlinie gilt offenbar unabhängig von der jeweiligen subjektiven Vorstellung des Rechtsinhabers bezüglich der Dauer seines Auslandsaufenthaltes. Im Übrigen ist das Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, anders als dasjenige aus Art. 6 ARB 1/80, nicht von einer aktuellen Zugehörigkeit des Rechtsträgers zum inländischen Arbeitsmarkt abhängig.