VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 05.10.2007 - Au 7 K 04.30686 - asyl.net: M11866
https://www.asyl.net/rsdb/M11866
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Volksmudjaheddin, Sympathisanten, Unterstützung, Flugblätter, Glaubwürdigkeit, Inhaftierung, Todesstrafe
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger hat jedoch Anspruch auf die begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylVfG und § 60 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950).

1. Die zentrale Behauptung im Sachvortrag des Klägers, wonach er als Sympathisant der Volksmudjaheddin in Teheran regelmäßig Handzettel bzw. Flugblätter dieser Organisation verteilt habe, indem er des nachts jeweils fünf bis sechs Exemplare an Wände oder Telefonzellen geklebt habe, ist für das Gericht durchaus nachvollziehbar und auch glaubhaft.

2. Das Gericht folgt nicht der Einschätzung des Auswärtigen Amts, welches in seiner Stellungnahme vom 10. November 2006 angegeben hatte, dass die vom Kläger geschilderten Flugblattaktionen in der politischen Auseinandersetzung im Iran nicht üblich seien. Denn die vom Kläger vorgelegten Exemplare der Zeitung "Mojahed" vom 13. November 2006 belegen in mehreren darin abgedruckten Fotografien, dass Handzettel mit dem Bild der Führerin der Volksmudjaheddin und einem Hinweis auf den Jahrestag ihrer Ausrufung zur "Präsidentin des Iran" in der Öffentlichkeit in Teheran unter anderem an Wände, Straßenschilder und Autos geklebt worden sind. Daraus kann zwar nicht entgegen den Ausführungen des Auswärtigen Amts geschlossen werden, dass diese Art der politischen Werbung im Iran üblich sei; die Dokumente zeigen aber, dass derartige Aktionen dort offensichtlich vorkommen und die Angaben des Klägers hierzu jedenfalls nicht als "absurd" oder mit der Bemerkung, dieses Verhalten sei "schlichtweg Selbstmord" (Bundesamtsbescheid S. 5) abgetan werden können.

4. Der Sachvortrag des Klägers kann schließlich auch nicht auf die Weise als unglaubhaft qualifiziert werden, indem ihm vorgehalten wird, über zu geringe Kenntnisse zur Ideologie und zu den Jahrestagen der Volksmudjaheddin zu verfügen (Bundesamtsbescheid S. 5). Der Kläger hat, soweit ersichtlich, hierüber beim Bundesamt im Wesentlichen durchaus zutreffende Angaben gemacht. Tiefer gehende Kenntnisse über die Organisation der Volksmudjaheddin dürften von einem Sympathisanten, der lediglich zum Verteilen von Handzetteln eingesetzt wird, nicht ohne Weiteres erwartet werden können. Dabei ist auch zu bedenken, dass nähere Informationen über verbotene Gruppierungen wie die Volksmudjaheddin im Iran nicht einfach zu beschaffen sein dürften und auch die Volksmudjaheddin selbst ihre Helfer, schon aus Gründen des Selbstschutzes, nicht unbedingt umfassend in Einzelheiten ihrer politischen Ziele und Aktivitäten einweihen werden.

Nachdem sowohl unter den Parteien dieses Rechtsstreits wie auch bei den Gutachtern Auswärtiges Amt und Deutsches Orient-Institut und gemäß den allgemeinen Erkenntnissen über die politische Lage im Iran (vgl. u.a. die zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 24.9.2007 eingeführten Erkenntnismaterialien: Auskunft des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 9.12.1999; Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 15.9.2004) Einigkeit darüber besteht, dass eine Betätigung für die Volksmudjaheddin eine unnachgiebige Verfolgung und Repression durch den iranischen Staat nach sich zieht, die, als strafrechtliche Sanktion verbrämt, über die Verhaftung von Verdächtigen, deren Folterung und jahrelange Einkerkerung, über die eventuelle Verhängung der körperlichen Strafen der Scharia bis hin zur Todesstrafe führen kann, bedarf es keiner näheren Ausführungen des Gerichts zu dieser Frage; es steht vielmehr fest, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran wegen seiner politischen Überzeugung bzw. seiner dem entsprechenden Betätigung an Leib, Leben und Freiheit bedroht wäre. Er darf daher wegen des Vorliegens der Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 AufenthG nicht in den Iran abgeschoben werden und ist gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylVfG als Flüchtling anzuerkennen.