VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 17.09.2007 - Au 7 K 07.30201 - asyl.net: M11906
https://www.asyl.net/rsdb/M11906
Leitsatz:
Schlagwörter: Algerien, Folgeantrag, abgelehnte Asylbewerber, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Anerkennungsrichtlinie, Änderung der Rechtslage, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Sicherheitslage, ernsthafter Schaden, bewaffneter Konflikt, Terrorismus
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bzw. das Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend die Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.

Der Kläger hat in diesem (zweiten) Asylfolgeverfahren keine neuen Tatsachen vorgetragen und auch keine Beweismittel dazu vorgelegt, dass seine in den früheren Asylverfahren als unglaubwürdig erachtete Verfolgungsgeschichte doch der Wahrheit entspreche.

Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die Situation für Algerier, die nach erfolgloser Stellung eines Asylantrages in ihr Heimatland zurückkehren bzw. dorthin abgeschoben werden, seit dem rechtskräftigen Abschluss des letzten Asylverfahrens des Klägers (29. Juli 1999) verschlechtert hätte. Nach dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Algerien vom 30. Januar 2007 (IV.2. und 3.) führt allein die Stellung eines Asylantrags im Ausland bei Rückkehr nach Algerien nicht zu staatlichen Repressionen.

Auch eine für den Kläger günstige Änderung der Rechtslage ist nicht eingetreten. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen beim Kläger auch weiterhin nicht vor. Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG (in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007) sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, die Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG (so genannten Qualifikationsrichtlinie, nachfolgend: RL) ergänzend anzuwenden. Ob die Furcht vor Verfolgung im Heimatstaat begründet ist, ist unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 4 Abs. 3 RL individuell zu prüfen und richtet sich materiell-rechtlich nach den in Art. 4 bis 10 RL vorgegebenen objektiven Kriterien. Nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie ist die Tatsache, dass der Schutzsuchende in seiner Heimat bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Wer hingegen unverfolgt ausgereist ist, kann die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL nicht für sich in Anspruch nehmen. Er muss – so auch die bisherige Rechtslage – glaubhaft machen, dass beachtliche Nachfluchttatbestände gegeben sind, was bedeutet, dass ihm bei Rückkehr in seinen Heimatstaat die Gefahr der Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dies ist anzunehmen, wenn bei zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Nachdem der Kläger in diesem Asylfolgeverfahren keine Beweise dafür vorgelegt hat, dass er überhaupt in seinem Heimatland für die FIS aktiv war und damit nicht davon ausgegangen werden kann, dass er überhaupt die Aufmerksamkeit der algerischen Behörden geweckt hat, geschweige denn dass er wegen Mitgliedschaft in der FIS jemals inhaftiert gewesen ist, sind nach der Auskunftslage Anhaltspunkte für eine Rückkehrgefährdung, die allein an seinen mehrjährigen Auslandsaufenthalt oder an seine Asylantragstellung in Deutschland anknüpfen könnten, nicht ersichtlich. Auch unter Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie kann dem Kläger daher nicht die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuerkannt werden.

Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem Kläger in Algerien die Gefahr der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (§ 60 Abs. 2 AufenthG) oder die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) drohen würde oder dass seine Abschiebung wegen Verstoßes gegen die Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) unzulässig wäre. Der Kläger ist unverfolgt aus Algerien ausgereist. Er hat auch nicht geltend gemacht, sich während seines Auslandsaufenthaltes exilpolitisch betätigt zu haben oder sich gar islamistischen oder terroristischen Vereinigungen angeschlossen zu haben. Nach der Auskunftslage drohen ihm daher keine staatlichen Repressionen, da allein die erfolglose Asylantragstellung im Ausland oder ein mehrjähriger Auslandsaufenthalt solche nicht auslöst (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O.). Dem Vortrag des Klägers können auch keine Gründe dafür entnommen werden, dass ihm von Seiten der FIS oder anderer islamistischer Organisationen Übergriffe im Sinne von § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 5 AufenthG drohen.

Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG liegen beim Kläger nicht vor. Insbesondere bietet die aktuelle Sicherheitslage in Algerien keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass für den Kläger im Falle der Rückkehr dorthin eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in Algerien als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), bestehen nicht. Nach der aktuellen Auskunftslage hat sich die Sicherheitslage seit dem Amtsantritt von Präsident Bouteflika verbessert; aber es kommen immer noch Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und terroristischen Gruppen sowie bei Sprengstoffanschlägen ums Leben. Das Auswärtige Amt spricht in seinem jüngsten Lagebericht vom 30. Januar 2007 zwar davon, dass etwa 30 Menschen monatlich bei solchen Auseinandersetzungen ums Leben kommen, wobei diese Zahl wohl nach den jüngsten Anschlägen seit April 2007 höher angesetzt werden muss. Damit sind aber ungeachtet der Furchtbarkeit der Folgen solcher Anschläge im Einzelfall nicht die Voraussetzungen dafür erfüllt, eine ernsthafte bzw. erhebliche konkrete Gefahr für den Kläger zu bejahen, im Falle der Rückkehr nach Algerien Opfer eines solchen Anschlags zu werden. Diese Gefahr ist wenig wahrscheinlich.

Insoweit ist die Einschätzung des Auswärtigen Amtes weiterhin zu bejahen, dass sich die Lage in Algerien seit Ende der 90iger Jahre deutlich verbessert habe. Das politische System hat sich wieder stabilisiert. Die terroristische Gruppierung AIS und verschiedene andere Gruppen, die zu Beginn der 90iger Jahre landesweit Terrorakte verübten, sind mittlerweile nicht mehr aktiv. Andere, wie z.B. die GIA, sind zahlenmäßig zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Auch die in jüngster Zeit verübten Anschläge wenden sich vor allem gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte, zu denen der Kläger aber nicht gehört. Die Sicherheitslage in Algerien bietet damit auch weiterhin keinen Anhaltspunkt dafür, für Rückkehrer wie den Kläger eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG zu bejahen.