LSG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.09.2007 - L 29 B 828/07 AS ER - asyl.net: M11922
https://www.asyl.net/rsdb/M11922
Leitsatz:

Unionsbürger, die sich zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, sind von Leistungen nach SGB II ausgeschlossen.

 

Schlagwörter: D (A), Grundsicherung für Arbeitssuchende, Unionsbürger, Arbeitssuche, Unionsbürgerrichtlinie, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: SGB II § 78 Abs. 1; FreizügG/EU § 4a Abs. 1; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1; RL 2004/38/EG Art. 24 Abs. 2; RL 2004/38/EG Art. 14 Abs. 4 Bst. b; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Unionsbürger, die sich zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, sind von Leistungen nach SGB II ausgeschlossen.

(Leitsatz der Redaktion)

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das Sozialgericht hat dem Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für die Zeit von April 2007 bis August 2007 zu Unrecht stattgegeben.

Selbst wenn jedoch die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt wären, scheitert ein Leistungsanspruch des Antragstellers aufgrund von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, und zwar sowohl nach der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl. I S. 558) als auch nach der ab dem 28. August 2007 geltenden Fassung des Art. 6 Abs. 9 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970).

Vorliegend reiste der Antragsteller zumindest ausweislich seiner Angaben in dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung vom 28. September 2001 zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in die Bundesrepublik Deutschland ein. Während der gesamten Dauer des Aufenthaltes des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland ist eine Arbeitsaufnahme durch ihn nach seiner Erklärung vom 30. März 2007 jedoch nicht erfolgt.

Andere Gründe, die einen dauerhaften Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland begründen und rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Kann der Antragsteller jedoch sein Aufenthaltsrecht allenfalls aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitssuche) ableiten, so ist er gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II (in der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ausgeschlossen. Gleiches gilt nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der ab dem 28. August 2007 geltenden Fassung.

Eine andere Einschätzung ergibt sich für den Senat auch nicht im Hinblick auf europarechtliches Gemeinschaftsrecht (a. A. wohl 19. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. April 2007 - L 19 B 116/07 AS ER - in juris).

Mit der Neufassung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl. I S. 558) sollte nach der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales die Regelung des Art. 24 Abs. 2 i. V. m. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 umgesetzt werden. Nach Art. 24 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 2004/38/EG genießt vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehenen Bestimmungen jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrages die gleiche Behandlung wie der Staatsangehörige des Mitgliedstaates. Nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ist abweichend der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthaltes oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren. Ein Aufenthaltsrecht nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG besteht bei Unionsbürgern, die in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen.

Wie bereits dargestellt, kann ein Recht des Antragstellers auf Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland allenfalls zum Zwecke der Arbeitssuche hergeleitet werden. Hält er sich jedoch zum Zwecke der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland auf, so liegt ein Fall des Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG vor und er kann nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG "während des längeren Zeitraums" der Arbeitssuche (und damit auch mehr als nur drei Monate) von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen werden.

Um eine solche Leistung der Sozialhilfe handelt es sich nach Ansicht des Senats vorliegend bei der begehrten Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Zum einen wurde mit Einführung des Arbeitslosengeldes II unter Abschaffung der bisherigen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe eine neue Sozialleistung geschaffen, die insbesondere die Nachfolge der bisherigen Sozialhilfe antrat. Das Arbeitslosengeld II wird wie die Sozialhilfe beitragsunabhängig durch Steuermittel finanziert und unter Bedürftigkeitsgesichtspunkten gewährt. Zum anderen könnte dem Antragsteller mangels Erfüllung jeglicher arbeitslosenversicherungsrechtlicher Voraussetzungen allenfalls ein Anspruch auf Leistungen unter Sozialhilfegesichtspunkten zustehen.

Die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften führt ebenfalls nicht zu einer anderen Einschätzung.

Zum einen erging die in dem oben genannten Beschluss des 19. Senates des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahre 2004 nicht zu den vorliegend streitentscheidenden Regelungen. Bei der Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts beschränkt sich der Gerichtshof darauf, die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift, so wie diese seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden gewesen wäre, zu erläutern und zu verdeutlichen (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 20. September 2001, C-184/ 99, "Rudy Grzelczyk" – in juris). Wie bereits dargelegt, wurde § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 zum Zwecke der Umsetzung der Regelung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG geändert, und zwar erst mit Wirkung zum 1. April 2006, obwohl die Richtlinie vom 29. April 2004 (Amtsblatt der Europäischen Union L. 158/77, 30. April 2004) datiert. Diese Regelungen – ebenso wie die ab dem 28. August 2007 geltenden Neureglungen des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union – waren mithin nicht Gegenstand der Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof.

Zum anderen führt der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus, dass insbesondere das Recht zum Aufenthalt im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten nicht absolut ist. Es besteht nur vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen (Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. September 2004, C456/02 – "Michel Trojani" – in juris). Wie bereits dargestellt, ist danach ein Aufnahmemitgliedstaat gemäß Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG nicht verpflichtet, während der Dauer einer Arbeitssuche im Sinne von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren.

Dies steht auch im Einklang mit den übrigen Regelungen der Richtlinie 2004/38/EG, insbesondere der Art. 6 ff. Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG hat ein Unionsbürger allgemein das Recht zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nur für die Dauer bis zu drei Monaten und auch nur, solange er die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nimmt (Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG). Ein längerer Aufenthalt ist grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen der Art. 7 ff. der Richtlinie 2004/38/EG möglich. Ein solches Aufenthaltsrecht besteht beispielsweise für einen Arbeitnehmer oder Selbstständigen sowie einen Unionsbürger, der für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenderen Versicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen (Art. 7 Abs. 1a und b der Richtlinie 2004/38/EG).

Auch nach diesen Regelungen lässt sich nicht erkennen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf die begehrte Leistung haben könnte. Der Antragsteller war nach seiner eigenen Erklärung niemals in Deutschland beschäftigt und Bemühungen im Rahmen einer Arbeitssuche sind weder belegt noch ersichtlich.