VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 05.09.2007 - 9 V 10.07 - asyl.net: M11923
https://www.asyl.net/rsdb/M11923
Leitsatz:

Die Eheleute tragen auch nach Einführung des § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie eine eheliche Lebensgemeinschaft aufnehmen wollen.

 

Schlagwörter: D (A), Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Scheinehe, Beweislast, Ausschlussgründe
Normen: AufenthG § 27 Abs. 1; AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 1 ; AufenthG § 27 Abs. 1a Nr. 1
Auszüge:

Die Eheleute tragen auch nach Einführung des § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie eine eheliche Lebensgemeinschaft aufnehmen wollen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 des Grundgesetzes erteilt. Hinsichtlich des Familiennachzugs zu Deutschen regelt § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, dass die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft dient die Aufenthaltserlaubnis dann, wenn beide Eheleute die Absicht haben, in Deutschland eine eheliche Gemeinschaft herzustellen, d.h. in einer dauerhaften und durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung zusammenleben wollen. Ergeben sich aber – z.B. aus den tatsächlichen Verhältnissen oder den Angaben der Eheleute – triftige Zweifel, ist eine Überprüfung des Einzelfalls, ob eine nur zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts geschlossene Scheinehe vorliegt, die nicht dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterliegt, zulässig. Die Beweislast dafür, dass tatsächlich beide Ehegatten die Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft beabsichtigen, trägt der ausländische Ehegatte. Gelingt der Nachweis nicht, geht dies zu seinen Lasten und führt zwingend zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis (vgl. z. B. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - OVG 8 N 95.06; Beschluss vom 7. August 2007 - OVG 3 N 230.06).

Diese zu §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) entwickelten Grundsätze gelten auch bei der Anwendung des neuen Aufenthaltsrechts. § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift wird ein Familiennachzug nicht zugelassen, wenn feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das oder den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Aus dieser Vorschrift folgt nicht, dass eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nur dann versagt werden darf, wenn erwiesen ist, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise zu ermöglichen. Der Wortlaut enthält keinen ausdrücklichen Hinweis auf eine abschließende Regelung für die Versagung des Familiennachzugs (etwa: "Ein Familiennachzug wird nur dann nicht zugelassen, wenn ..."). Da die Vorschrift als Abs. 1a eingeführt worden ist, gilt der in § 27 Abs. 1 AufenthG normierte Grundsatz, dass die Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt wird, unverändert fort, so dass auch die systematische Stellung gegen eine solche Interpretation spricht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Neufassung des Aufenthaltsgesetzes der Umsetzung u.a. der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ("Familiennachzugsrichtlinie" – ABl. EU Nr. L 251 S. 12) dient (BGBl. I S. 1970). Die Familiennachzugsrichtlinie hat die Herstellung und Wahrung des Familienlebens auf der Grundlage tatsächlicher Bindungen zwischen den Ehepartnern im Blick, wie sich sowohl aus der Definition des Ausdrucks "Familienzusammenführung" in Art. 2 d, als auch aus den Erwägungsgründen 4 und 6 ergibt. Nach Art. 16 Abs. 1 b Familiennachzugsrichtlinie können die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung u.a. dann ablehnen, wenn zwischen dem Zusammenführenden und dem Familienangehörigen keine tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen bestehen. In Art. 16 Abs. 2 b Familiennachzugsrichtlinie heißt es, dass die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung auch ablehnen können, wenn feststeht, dass die Ehe oder Lebenspartnerschaft nur zu dem Zweck geschlossen wurde, um der betreffenden Person die Einreise in einen Mitgliedsstaat oder den Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat zu ermöglichen. Nach den genannten Bestimmungen eröffnet die Familiennachzugsrichtlinie demnach die Möglichkeit, einen Familiennachzug sowohl dann zu verweigern, wenn keine tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen bestehen, als auch dann, wenn eine Ehe nur zu dem Zwecke geschlossen worden ist, um der betreffenden Person die Einreise zu ermöglichen. Diesen Vorgaben trägt das neue Aufenthaltsgesetz Rechnung, indem in § 27 Abs. 1 AufenthG der allgemeine Grundsatz aufgestellt wird, dass ein Familiennachzug dem Schutz von Ehe und Familie dient, während in § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG ein besonderer Versagungsgrund für eine bestimmte Fallkonstellation geschaffen wird. Nach der Gesetzesbegründung wird ein Ausschlussgrund für den Familiennachzug bei Scheinehen ausdrücklich geregelt, um dem Missbrauch eines Aufenthaltsrechts entgegenzuwirken; bei der Formulierung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG wurde Art. 16 Abs. 2 b Familiennachzugsrichtlinie zugrunde gelegt (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 3 und S. 170).