VG München

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Zitieren als:
VG München, Beschluss vom 04.09.2007 - M 10 S 07.2852 - asyl.net: M11928
https://www.asyl.net/rsdb/M11928
Leitsatz:

Für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug sind keine einfachen Sprachkenntnisse nachzuweisen, weil kein Anspruch auf Teilnahme am Integrationskurs vorliegt.

 

Schlagwörter: D (A), Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Sprachkenntnisse, Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, Anspruch, Integrationskurs, erkennbar geringer Integrationsbedarf, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Lebensunterhalt, Ermessen, Schutz von Ehe und Familie, besonderer Ausweisungsschutz, Zumutbarkeit, freiwillige Ausreise, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 27; AufenthG § 30 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 44 Abs. 1; AufenthG § 30 Abs. 3; GG Art. 6
Auszüge:

Für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug sind keine einfachen Sprachkenntnisse nachzuweisen, weil kein Anspruch auf Teilnahme am Integrationskurs vorliegt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag ist auch begründet. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage wird die Klage voraussichtlich Erfolg haben. Nach der derzeitigen Aktenlage und dem Vortrag der Beteiligten spricht viel dafür, dass die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld II durch den Ehemann der Antragstellerin einer Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht, weil das insoweit in § 30 Abs. 3 AufenthG eingeräumte Ermessen zu ihren Gunsten auf Null reduziert ist. Zumindest ist die bisherige Ermessensausübung der Antragsgegnerin fehlerhaft, da wesentliche Gesichtspunkte bei der Abwägung nicht berücksichtigt wurden. Hinzu kommt, dass aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falls kein öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug der Ausreisepflicht besteht, weil die Antragstellerin durch ihre Erwerbstätigkeit zum Lebensunterhalt ihres Ehemanns beiträgt und hierdurch die öffentlichen Haushalte entlastet werden.

Der streitgegenständliche Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beurteilt sich nach § 27, § 30, § 8 Abs. 1 AufenthG. Fraglich könnte sein, ob die Antragstellerin die durch das Änderungsgesetz vom 19. August 2007 eingeführte weitere Voraussetzung erfüllt, wonach der nachziehende Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können muss (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Allerdings bestimmt § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AufenthG, dass diese Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich ist, wenn bei dem (nachziehenden) Ehegatten ein erkennbar geringer Integrationsbedarf im Sinne einer nach § 43 Abs. 4 AufenthG erlassenen Rechtsverordnung besteht oder wenn dieser aus anderen Gründen nach der Einreise keinen Anspruch nach § 44 AufenthG auf Teilnahme am Integrationskurs hätte. Letzteres dürfte hier vorliegen, denn § 44 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sieht einen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs ausdrücklich nur für die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis u.a. zum Zwecke des Familiennachzugs vor, so dass eine entsprechende Anwendung für den Fall der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (§ 8 Abs. 1 AufenthG) bereits deshalb ausscheidet. Es kann somit dahingestellt bleiben, ob Vertrauensschutzgesichtspunkte einer Anwendung dieser neu bestimmten gesetzlichen Voraussetzung auf Ausländer, denen bereits mehrfach die Aufenthaltserlaubnis verlängert worden ist, entgegenstehen.

Problematisch ist im vorliegenden Fall die für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis geltende Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Eine Verlängerung kann jedoch nach § 30 Abs. 3 AufenthG abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 erfolgen, solange die eheliche Lebensgemeinschaft – wie im vorliegenden Fall – fortbesteht.

Zutreffend hat die Antragsgegnerin im Rahmen der anzustellenden Prognose ausgeführt, dass auch mit einem längerfristigen Bezug von Sozialleistungen zur Deckung des Lebensunterhalts der Antragstellerin bzw. ihres Ehemanns zu rechnen ist, da letzterer endgültig aus dem Erwerbsleben ausscheiden möchte und erst in einigen Jahren Altersrente beziehen wird. Nach alledem fehlt es an der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.

Ein Aufenthaltstitel kann gleichwohl erteilt bzw. verlängert werden, wenn ein Ausnahmefall vorliegt, was u. a. dann der Fall sein kann, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels mit höherrangigem Recht, insbesondere mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar ist. Als solche Wertentscheidung kommt vorliegend der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG in Betracht (vgl. BVerfG v. 26.3.1999, InfAuslR 1999, 332). Im Falle der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug hat der Gesetzgeber der grundgesetzlichen Wertentscheidung dadurch Rechnung getragen, dass er die Ausländerbehörde ermächtigt, von der Regelerteilungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts nach Ermessen abzusehen (§ 30 Abs. 3 AufenthG). Somit bedarf es nicht des nach der Gesetzessystematik des § 5 Abs. 1 AufenthG ansonsten erforderlichen Vorliegens eines durch besondere Umstände gekennzeichneten Ausnahmefalls. Maßgebend für diese gesetzliche Erleichterung ist, dass dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft, die rechtmäßig im Bundesgebiet geführt wird, ein besonderes Gewicht zukommt (BT-Drs. 15/420, S. 82; vgl. GK-AufenthG, RdNr. 39 zu § 30). Aufgrund einer Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist zu prüfen, ob die gegen den Aufenthalt sprechenden fiskalischen Interessen so gewichtig sind, dass sie die durch die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eintretenden Beeinträchtigungen der Ehe und Familie des Ausländers eindeutig überwiegen. Auch bei rein ausländischen Ehen und Familien muss die Versagung des weiteren Aufenthalts durch ein entsprechend gewichtiges öffentliches Interesse gerechtfertigt sein, und zwar auch im Hinblick auf die Belange der mit ihm im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen. Ob diesen die mit der Trennung oder gemeinsamen Rückkehr in das Herkunftsland verbundenen Folgen zuzumuten sind, beurteilt sich nicht allein nach dem Grad der dadurch verursachten Härte, sondern wesentlich auch nach dem Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ausreise des Ausländers. Je gewichtiger dieses öffentliche Interesse ist, um so eher dürfen dem Ausländer und seinen Familienangehörigen auch schwerwiegende Folgen zugemutet werden. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG greift jedoch dann ein, wenn die Folgen der Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf eheliche und familiäre Belange unverhältnismäßig hart wären (BVerwG v. 27.8.1996, InfAuslR 1997, 16 für den Fall des Vorliegens eines Ausweisungsgrundes).

Die Antragsgegnerin hat zwar das ihr nach § 30 Abs. 3 AufenthG eingeräumte Ermessen ausgeübt, jedoch nicht in rechtlich einwandfreier Weise. Zum einen hat sie einen wesentlichen tatsächlichen Gesichtspunkt bei der Frage nach der finanziellen Belastung der öffentlichen Haushalte unbeachtet gelassen. Zum anderen hat sie das Gewicht der grundrechtlich geschützten Belange der Antragstellerin und ihres Ehemanns verkannt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheids wird auf die dauerhafte Hilfsbedürftigkeit der Antragstellerin abgestellt, ohne zu berücksichtigen, dass ihr weiterer Verbleib in Deutschland zumindest so lange, als sie einer Erwerbstätigkeit weiter nachgeht, nicht zu einer Mehrbelastung der Sozialkassen führt, da sie jedenfalls für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommt und in gewissem Umfang auch zum Lebensunterhalt ihres andernfalls vollständig auf Sozialleistungen angewiesenen Ehemanns beiträgt. Dem mag zwar entgegenzuhalten sein, dass der Ehemann keine Anstrengungen unternimmt, um den Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: Mai 2007, RdNr. 33 zu § 30 AufenthG); doch ist der vorliegende Fall durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Ehemann offenbar aufgrund seines Alters nicht mehr verpflichtet ist, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen (vgl. Vermerk Bl. 53 der Ausländerakte). Somit trägt der Aufenthalt der Antragstellerin auf absehbare Zeit zu einer, wenn auch geringen Entlastung des Sozialleistungsträgers, jedenfalls nicht zu einer zusätzlichen Belastung bei. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Regelleistungsanspruch des Ehemanns sich aufgrund des Zusammenlebens mit der Antragstellerin in einer Bedarfsgemeinschaft um 10% vermindert (§ 20 Abs. 2 u. 3 SGB II).

Darüber hinaus leidet die Ermessensausübung an einem schwerwiegenden Fehler, weil die Antragsgegnerin den besonderen ausländerrechtlichen Status der Antragstellerin und ihres Ehemanns nicht beachtet hat.

Der Ehemann der Antragstellerin genießt aufgrund seines dauerhaft verfestigten Aufenthaltsrechts besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.

Die Antragstellerin genießt besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, denn sie war bis zur streitgegenständlichen Entscheidung im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, hält sich seit mindestens 5 Jahren rechtmäßig in Deutschland auf und lebt mit einem nach Nr. 1 der Vorschrift privilegierten Ausländer in ehelicher Lebensgemeinschaft. Auch bei ihr käme eine Ausweisung aus den o.g. Gründen nicht in Betracht.

Dies hat erhebliche, von der Antragstellerin nicht berücksichtigte Auswirkungen auf die Ausübung des Ermessens bei der Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem grundlegenden Urteil vom 16. Juli 2002 (1 C 8.02, DVBl. 2003, 76) festgestellt, dass die Entscheidung des Gesetzgebers für einen besonderen Ausweisungsschutz für Minderjährige (seinerzeit § 48 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990, jetzt § 56 Abs. 2 AufenthG), mit dem der Auftrag zum Schutz der Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK konkretisiert wird, auch im Rahmen einer Ermessensentscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu beachten ist. Nichts anderes kann für den durch § 56 Abs. 1 Nr. 3 und 4 AufenthG privilegierten Personenkreis gelten, bei dem ebenfalls die familiären Belange ausschlaggebend für den erhöhten Ausweisungsschutz sind. Die für die Aufenthaltsbeendigung durch Ausweisung maßgebenden besonderen Schutzwirkungen sind demnach auch bei der Ausübung des Ermessens nach § 30 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen. Dadurch werden öffentliche Interessen nicht in unzulässiger Weise eingeschränkt. Wenn die Ausländerbehörde eine Gefahr für die Allgemeinheit erkennt, muss sie den Weg über die Ausweisung gehen. Es ist ihr grundsätzlich verwehrt, die besonderen Schutzwirkungen des § 56 AufenthG und anderer Schutznormen (insbesondere Art. 8 EMRK) dadurch zu unterlaufen, dass sie die Verlängerung des Aufenthaltstitels aus Gründen ablehnt, die den Erlass einer Ausweisungsverfügung nicht rechtfertigen (vgl. GK-AufenthG, RdNr. 171 f. zu § 27).

Aus den gleichen Gründen ist die Ermessensausübung der Antragsgegnerin auch im Hinblick auf die bei der Aufenthaltsbeendigung von Familienangehörigen zu prüfende Frage der Zumutbarkeit der Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat insbesondere die Folgen der Versagung des Aufenthaltsrechts der Antragstellerin für deren Ehemann nicht ausreichend gewürdigt und daher unzutreffend gewichtet. So wird im Bescheid lediglich ausgeführt, es könne grundsätzlich auch ihrem Ehemann zugemutet werden, gemeinsam mit ihr in das Heimatland zurückzukehren, zumal dort wegen ungleich niedrigerer Lebenshaltungskosten ein Leben ohne öffentliche Hilfe möglich sein dürfte. In keiner Weise berücksichtigt wird, dass sich der Ehemann der Antragstellerin seit 37 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhält und als Inhaber einer Aufenthaltsberechtigung bzw. Niederlassungserlaubnis einen Aufenthaltsstatus der höchsten Stufe besitzt. Dies wird in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids außer Acht gelassen. Nicht nur bei stammberechtigten Deutschen, sondern auch bei stammberechtigten Ausländern mit verfestigtem Aufenthaltsstatus – wie hier – ist nach Auffassung des Gerichts das in § 30 Abs. 3 AufenthG eröffnete Ermessen grundsätzlich zu Gunsten des den Nachzug (bzw. Verbleib in Deutschland) begehrenden Ehegatten auszuüben. In der Literatur wird zu Recht vertreten, dass die Ausländerbehörde in aller Regel von ihrem Ermessen nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG positiv Gebrauch zu machen hat, wenn der stammberechtigte Ausländer die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG erfüllt (GK-AufenthG, RdNr. 170 zu § 27). Was für das Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens von Ausweisungsgründen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) gilt, kann bei der Frage, ob von dem Erfordernis der ausreichenden Lebensunterhaltssicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) abgesehen wird, nicht anders beurteilt werden.