VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 24.08.2007 - Au 1 K 07.30124 - asyl.net: M11944
https://www.asyl.net/rsdb/M11944
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für aktives einfaches Mitglied der EDP (Eritrean Democratic Party)

 

Schlagwörter: Eritrea, EDP, Eritrean Democratic Party, Mitglieder, Überwachung im Aufnahmeland, Oppositionelle, exilpolitische Betätigung, Inhaftierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für aktives einfaches Mitglied der EDP (Eritrean Democratic Party)

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Gegenstand der Klage ist die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung, dass hinsichtlich der Klägerin ein Abschiebeverbot gemäß § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegt.

Nach der im Klageverfahren vorgelegten Bescheinigung vom 5. März 2007 ist die Klägerin seit 24. September 2006 Mitglied der "Eritrean Democratic Party" (EDP) und hat nach ihren glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung bereits an mehreren Versammlung teilgenommen. Darüber hinaus hat sie, wie sie in der mündlichen Verhandlung schlüssig und nachvollziehbar darlegte, die Ziele und Interessen der EDP auch nach außen vertreten und versucht, ihre politische Überzeugung auch anderen eritreischen Landsleuten nahe zu bringen. Der Klägerin ist es nach ihren Angaben auch gelungen, Mitglieder für die EDP zu werben.

Damit droht der Klägerin wegen ihrer exilpolitischen Betätigung im Fall der Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (vgl. dazu allgemein BayVGH vom 14.8.2006 - Az. 9 B 04.30627 - juris; HessVGH vom 27.3.2006 - Az. 9 UE 705/05.A).

Obwohl bislang der Einfluss von Oppositionsgruppen auf das gesellschaftliche und politische Leben Eritreas kaum spürbar ist, reagiert die eritreische Führungsebene zunehmend repressiv auf regierungskritische Aktivitäten.

Wegen der Bedrohungspotentiale, welche eritreische Oppositionsorganisationen im Ausland seit Ende 2001 aus der Sicht der eritreischen Regierung verkörpern, ist davon auszugehen, dass gegenwärtig die nachrichtendienstlichen Netzwerke der Regierung in der Diasporabevölkerung jegliche Betätigung bei einer der oppositionellen Organisationen registrieren und die entsprechenden Informationen über die bestehenden Berichtsketten den Zentralbüros der verschiedenen Sicherheitsdienste (u.a. Nachrichtendienst und Sicherheitsabteilung) in Eritrea zugeleitet werden. Die eritreische Regierung hat seit Frühjahr 2002 die Aktivitäten der Sicherheitsdienste in der eritreischen Diaspora erheblich verstärkt und hierfür zusätzliches Personal ins Ausland entsandt (vgl. BayVGH vom 14.8.2006 a.a.O.; HessVGH vom 27.3.2006 a.a.O. m.w.N.). Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass Spitzel eingesetzt werden, um heraus zu finden, wer mit oppositionellen Gruppierungen sympathisiert. Auch besteht hinreichender Anlass zur Annahme, dass bei Mitgliedern in leitenden oder Führungspositionen gezielte Überwachung stattfindet. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass außerdem die exilpolitische Betätigung einfacher Mitglieder regimekritischer Exilorganisationen bekannt wird, weil die Zahl der im Bundesgebiet ansässigen Eritreer überschaubar ist. Erhalten eritreische Stellen durch die Sicherheitsorgane Kenntnisse von Mitgliedern und deren Tätigkeit innerhalb oppositioneller Organisationen, werden diese registriert. Ausgehend von der verstärkten Überwachung der in Deutschland lebenden Eritreer durch die eritreische Regierung kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass (auch einfache) Mitglieder der EDP und deren Aktivitäten in Eritrea bekannt werden (vgl. BayVGH vom 14.8.2006 a.a.O.; HessVGH vom 27.3.2006 a.a.O. sowie vom 21.3.2007 - Az. 9 UE 1676/06.A mit zahlreichen Nachweisen).

Bereits als EPLF-DP strebte die Partei die Demokratisierung des eritreischen Staatswesens an. Sie stand den innenpolitischen Entwicklungen Eritreas, insbesondere dem Machtmonopol des Präsidenten und hochrangiger Militärs, kritisch gegenüber. Diese ursprünglichen Ziele verfolgt die EDP als Nachfolgerorganisation weiter mit dem Ziel, den Machtwechsel in Eritrea herbeizuführen. Ziele der EDP sind insbesondere – wie bereits vorstehend ausgeführt – die Wiederbelebung der demokratischen Traditionen der EPLF/PFDJ während des eritreischen Unabhängigkeitskampfes, die Implementierung der eritreischen Verfassung und die Demokratisierung des eritreischen Staatswesen, ohne mit den politischen Werten der EPLF zu brechen. Weil die Gründung der EPLF-DP aus dem engen Führungskreis der PFDJ heraus erfolgte, wird die Nachfolgeorganisation im Verhältnis zu anderen oppositionellen Gruppierungen als stärkere Bedrohung wahrgenommen. Aus der Sicht der eritreischen Regierung gilt die als illegale Oppositionspartei betrachtete EDP als einer der gefährlichsten, wenn nicht sogar als der gefährlichste Gegner, weil die Partei von Veteranen des Unabhängigkeitskampfes angeführt wird, die in der Bevölkerung weiterhin sehr beliebt sind. Es kann außerdem davon ausgegangen werden, dass die EDP innerhalb der Regierungspartei, der Administration und des Militärs über Sympathisanten verfügt. Das Bedrohungspotential, das die eritreische Regierung den "Abweichlern aus den eigenen Reihen" beimisst, kommt auch darin zum Ausdruck, dass die eritreische Regierung als Reaktion auf den kritischen Brief der "G 15" – Gruppe im September 2001 zahlreiche Verhaftungen vorgenommen hat (vgl. HessVGH vom 27.3.2006 a.a.O.). Seit Juni 2005 hat die Regierung die Kontrolle der eritreischen Gesellschaft verstärkt (vgl. BayVGH vom 14.8.2006 a.a.O.). Nach alledem besteht Anlass zur Annahme, dass jedwede Aktivität von Mitgliedern der EDP in Verfolgung der Ziele dieser Partei von der eritreischen Regierung als staatsschädigend eingestuft wird (so auch HessVGH vom 27.3.2006 und vom 21.3.2007). Es muss angenommen werden, dass selbst für niedrig profilierte Mitglieder der EDP, deren Betätigung sich u.a. in regelmäßiger Teilnahme an Parteitreffen und (regional begrenzter) Werbung für diese Exilorganisation erschöpft, bei Bekanntwerden im Falle der Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen drohen (vgl. BayVGH vom 14.8.2006). Gegen eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefährdung von Mitgliedern der EDP, die sich in eher untergeordneter Weise für die Partei eingesetzt haben, spricht auch nicht die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amts vom 2. November 2005. Sie besagt, dass es – um vom eritreischen Staat als regimekritischer Gegner eingestuft zu werden mit der Folge möglicher Repressalien – mehr als einer (einfachen) Mitgliedschaft in der EPLF-DP bedürfe und eine länger andauernde Tätigkeit mit regelmäßigen Veröffentlichungen stattgefunden haben müsse. Diese Auskunft ist aber schon über ein Jahr alt. Wegen der seit 2005 zu beobachtenden Verschärfung der Überwachung der eritreischen Gesellschaft und des geschilderten Selbstverständnisses der um Machterhalt bestrebten PFDJ geht das Gericht davon aus, dass sich heute auch einfache Mitglieder der EDP staatlicher Verfolgung aussetzen, wenn sie erkennbar in Erscheinung treten (vgl. BayVGH vom 14.8.2006 a. a.O.; HessVGH vom 27.3.2006 und vom 21.3.2007 a.a.O.).

Das Gericht ist der Auffassung, dass die Klägerin zu dem Kreis der verfolgungsgefährdeten Personen im oben umschriebenen Sinne zählt, weil sie einfaches Mitglied der EDP ist und sich für diese Partei – wenn auch bis jetzt nur in untergeordneter Form – erkennbar betätigt, indem sie u. a. regelmäßig an Parteitreffen teilnimmt.