VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 14.08.2007 - M 23 K 07.50455 - asyl.net: M11956
https://www.asyl.net/rsdb/M11956
Leitsatz:

Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung für frühere Lehrerin an einer Mädchenschule in Afghanistan, die inzwischen einen "westlichen" Lebensstil angenommen hat.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Änderung der Sachlage, Kommunisten, Frauen, Flüchtlingsfrauen, geschlechtsspezifische Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Mädchenschule, Lehrer, westliche Orientierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung für frühere Lehrerin an einer Mädchenschule in Afghanistan, die inzwischen einen "westlichen" Lebensstil angenommen hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Bescheid des Bundesamtes vom ... 2007 ist in dem aus dem Tenor erkennbaren Umfang rechtswidrig und verletzt die Klagepartei in ihren Rechten (§ 113 Abs.1 und Abs. 5 VwGO). Die Klagepartei hat nach wie vor einen Anspruch auf die begehrte Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des (jetzt) § 60 Abs. 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO), so dass der die Rechtsstellung nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 widerrufende Bescheid rechtswidrig und aufzuheben ist (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Aus den vom Gericht zum Gegenstand des Rechtsstreits gemachten Erkenntnisquellen (Erkenntnismittelliste Nr. 423 a) folgt, dass alle Polizei- und Sicherheitskräfte, ob sie nun den Weisungen des Innenministeriums folgen oder in die quasi-staatlichen Strukturen der Lokalherrscher integriert sind, mehrheitlich die Ideologie der diversen Mujaheddin-Parteien vertreten. Diese sind sich über die Verfolgung ehemaliger "Kommunisten" und aller Personen, die sie als "gottlos" bezeichnen, einig. Auch die Übergangsregierung ist entweder nicht in der Lage oder nicht bereit, solche Personen zu schützen, obwohl sie "offiziell" keine politischen Gegner verfolgt. Ein abgeschobener Asylbewerber könnte sich keineswegs auf Schutz durch Regierung und Polizei verlassen, sondern müsste im Gegenteil damit rechnen, auch unter den heutigen Verhältnissen Verfolgung durch Polizei und Justiz ausgesetzt zu sein (Gutachten Dr. Danesch an das Sächs. OVG zur Sicherheits- und Versorgungslage sowie zur Rückkehrsituation vom 24.07.2004, S. 24). Damit kommt es entscheidend darauf an, ob für die Klagepartei die Gefahr besteht, als sogenannter "Gottloser" eingestuft zu werden.

In Bezug auf die Klagepartei steht auch vom Bundesamt unwidersprochen fest, dass diese vor der Machtergreifung durch die Taliban als Lehrerin in einer Mädchenschule tätig war. Aus diesem Umstand und der Tatsache, dass sich die Klagepartei seit 1996 ununterbrochen im Bundesgebiet aufhält ist zu schließen, dass sie bereits in Afghanistan einen verwestlichten Lebensstil pflegte und diesen seit 1996 bis heute im Bundesgebiet ungehindert fortsetzen konnte. Dies hat die Klagepartei auch unwidersprochen so vorgetragen. Weiter ist davon auszugehen, dass die Klagepartei für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan nur unter großen Schwierigkeiten und nach einer längeren Eingewöhnungszeit in der Lage wäre, diesen verwestlichten Lebensstil zu unterdrücken und sich den Gegebenheiten in Afghanistan wieder anzupassen mit der Folge, dass sie zumindest für einen nicht unerheblichen Zeitraum zu Beginn ihrer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr liefe, als so genannte Gottlose eingestuft zu werden.