OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.11.2007 - 10 PA 96/07 - asyl.net: M11960
https://www.asyl.net/rsdb/M11960
Leitsatz:

Zu den Anforderungen eines Ausreisehindernisses nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz der Familie im Falle eines volljährigen Ausländers und seines pflegebedürftigen Elternteils.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Ausreisehindernis, freiwillige Ausreise, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Privatleben, Integration, Straftaten
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8
Auszüge:

Zu den Anforderungen eines Ausreisehindernisses nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz der Familie im Falle eines volljährigen Ausländers und seines pflegebedürftigen Elternteils.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die zulässige Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht hinreichend dargelegt.

Unter Zugrundelegen der im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Klägers nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeführten Umstände kann ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot nicht festgestellt werden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Hinblick auf den Schutz der familiären Bindungen des Klägers gemäß Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK seine Ausreise rechtlich unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist oder bezogen auf § 5 Abs. 3 Halbsatz 2 AufenthG die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger trotz Vorliegens von Ausweisungsgründen (Regelausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG sowie Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG) eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Der Kläger hat jedoch nicht substantiiert dargelegt, dass seine Mutter weiterhin auf seine Lebenshilfe angewiesen ist und er diese tatsächlich regelmäßig erbringt. Der Kläger hat in Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 AufenthG entsprechende ärztliche Bescheinigungen über den aktuellen gesundheitlichen Zustand seiner Mutter nicht beigebracht.

Aber selbst wenn weiterhin davon auszugehen wäre, dass die Mutter des Klägers unter einer schweren psychischen Erkrankung leidet und der Pflege bedarf, hat der Kläger nicht in hinreichender Weise dargetan und glaubhaft gemacht, dass er die notwendige Pflege seiner Mutter tatsächlich regelmäßig leistet.

Auch die Bindungen des Klägers zu seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen Kindern stehen seiner Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht entgegen.

Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG steht auch im Einklang mit Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002, BGBl. II S. 1054 - EMRK -).

Im Hinblick auf den Schutz des Privatlebens kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung grundsätzlich Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann. Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer in Deutschland vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen von seiner Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Mit zu berücksichtigen ist auch die Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts.

Für eine Integration des Klägers in die hiesigen Lebensverhältnisse spricht, dass er sich mit Eltern und Geschwistern seit ca. 15 Jahren im Bundesgebiet aufhält; er war jedoch erst seit August 2000 im Besitz eines Aufenthaltstitels. Er hat hier eine Familie gegründet und spricht die deutsche Sprache.

Demgegenüber sprechen überwiegende Gründe gegen eine gefestigte Integration in der Bundesrepublik Deutschland. So ist dem Kläger die wirtschaftliche Integration trotz seines langen Aufenthalts nicht gelungen. Zwar besuchte er zunächst die Hauptschule, verließ sie jedoch ohne Abschluss. Trotz seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet hat er weder eine Berufungsausbildung absolviert noch eine dauerhafte Beschäftigung gefunden, mit der Folge, dass der Kläger stets auf Sozialleistungen angewiesen gewesen ist, um den Lebensunterhalt seiner Familie sicherzustellen. Nachhaltige Bemühungen um einen Arbeitsplatz hat er nicht nachgewiesen. Gegen eine Integration des Klägers spricht aber vor allem, dass er während seines Aufenthalts im Bundesgebiet über einen längeren Zeitraum wiederholt und mit zunehmender Schwere straffällig geworden ist. Bereits im Juli 1995 beging der Kläger einen gemeinschaftlichen Diebstahl im erschwerten Fall, im November 1996 einen gemeinschaftlichen Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, im Dezember 1998 einen Diebstahl im erschwerten Fall, im Dezember 2002 eine versuchte Vergewaltigung sowie im Mai 2003 eine Beleidigung. Selbst die strafgerichtlichen Verurteilungen haben den Kläger nicht davon abhalten können, erneut und erheblich Straftaten zu begehen.

Weiter ist davon auszugehen, dass eine Integration des Klägers in seinem Heimatland nicht mit unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden ist. Er verließ sein Heimatland erst im Alter von 15 Jahren. Zuvor war er dort sozialisiert. Es ist deshalb anzunehmen, dass er mit den sozialen und kulturellen Gegebenheiten seines Heimatlandes vertraut ist und sich dort ohne Weiteres verständigen kann. Zusammenfassend geht der Senat davon aus, dass die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK ist.