VG Oldenburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 17.10.2007 - 11 A 3636/06 - asyl.net: M11978
https://www.asyl.net/rsdb/M11978
Leitsatz:

Ein Aktivist der PKK, der eine sog. Loyalitätserklärung (§ 85 Abs. 1 Nr. 1 AuslG = § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) abgibt, ohne seine Tätigkeit für die PKK offen zu legen, täuscht regelmäßig arglistig über das Vorliegen der Einbürgerungsvoraussetzungen. Die Einbürgerung kann in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zurückgenommen werden.

 

Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Rücknahme, Rechtsgrundlage, Falschangaben, arglistige Täuschung, verfassungsfeindliche Bestrebungen, Unterstützung, PKK, Spendensammeln, Beweislast, Loyalitätserklärung, Vertrauensschutz, Ermessen, Ermessensfehler, Heilung, Konventionsflüchtlinge, Flüchtlingsanerkennung, Generalprävention
Normen: VwVfG § 48 Abs. 1; GG Art. 16 Abs. 1; AuslG § 86 Nr. 2; StAG § 11 S. 1 Nr. 1; VwGO § 114 S. 2
Auszüge:

Ein Aktivist der PKK, der eine sog. Loyalitätserklärung (§ 85 Abs. 1 Nr. 1 AuslG = § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) abgibt, ohne seine Tätigkeit für die PKK offen zu legen, täuscht regelmäßig arglistig über das Vorliegen der Einbürgerungsvoraussetzungen. Die Einbürgerung kann in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zurückgenommen werden.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig.

Die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers beruht auf §§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 1 Abs. 1 Nds. VwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Es handelt sich um eine verfassungsrechtlich ausreichende mit Art. 16 Abs. 1 GG vereinbare Rechtsgrundlage, wenn die Einbürgerung durch eine Täuschung des Bewerbers erlangt wurde. Dann ist es auch grundgesetzlich nicht zu beanstanden, dass mit der Rücknahme - wie hier - eine Staatenlosigkeit eintritt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - InfAuslR 2006, 335 ff.; BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2003 - 1 C 19.02 - BVerwGE 118, 216 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 13. Juli 2007 - 13 LC 468/03 - <S. 9>).

Die Einbürgerung des Klägers am 20. September 2002 ist rechtswidrig gewesen. Nach dem damals maßgeblichen § 86 Nr. 2 AuslG (= § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG in der vom 1. Januar 2005 bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung; vgl. nunmehr § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG) bestand kein Anspruch auf Einbürgerung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber Bestrebungen verfolgt oder unterstützt, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.

Bestrebungen mit dieser Zielsetzung verfolgen nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer die PKK/ENRK und ihre Nachfolgeorganisationen wie der KADEK und der KONGRA GEL (vgl. Urteil vom 8. September 2004 - 11 A 4452/03 - m.w.N.; Urteil vom 19. März 2007 - 11 A 1593/05 -; Urteil vom 19. September 2007 - 11 A 4065/05 -).

Der Begriff des "Unterstützens" ist weit zu fassen. Die Regelung des § 86 Nr. 2 AuslG diente dazu, verfassungsfeindlichen Bestrebungen schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen. Ausreichend ist daher grundsätzlich jede Tätigkeit, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Betätigungsmöglichkeiten solcher Organisationen auswirkt, wenn dies für den Betroffenen erkennbar und damit zurechenbar von seinem Willen getragen ist (vgl. BVerwG Urteil vom 15. März 2005 a.a.O., S. 124 f.; Urteil vom 22. Februar 2007 - 5 C 20.05 - NVwZ 2007, 956 <957>).

Tatsächliche Anhaltspunkte, die eine entsprechende Annahme rechtfertigen, sind konkrete auf den Einbürgerungsbewerber bezogene Umstände, die den Verdacht verfassungswidriger Aktivitäten begründen. Für diese Anknüpfungspunkte ist die Behörde darlegungs- und beweispflichtig (vgl. Berlit a.a.O., Rn. 75 f.).

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Kläger die PKK bzw. eine ihrer Nachfolgeorganisationen bereits vor der Einbürgerung unterstützt hat. Er ist mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 10. Januar 2005 wegen gemeinschaftlicher versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Zuwiderhandlung gegen das Vereinsverbot unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Nach den geständigen Angaben des Klägers war er für Nachfolgeorganisation der PKK, den KADEK bzw. KONGRA GEL tätig. Er hat mit drei anderen auf eine kurdische Familie in Lohne Druck ausgeübt, eine sogenannte "Steuer" für die PKK zu zahlen.

Da feststeht, dass der Kläger im Oktober 2002 als Frontarbeiter tätig gewesen ist und später Depotverwalter war, muss er bei der Einbürgerung im September 2002 also mindestens unmittelbar vor der Benennung zum Halbkader gestanden und damit umfassend in die Struktur der PKK integriert gewesen sein. Die Behauptung des Klägers, dass er sich vor der Einbürgerung noch nicht in vollem Umfange mit den Zielen der Organisation identifiziert habe, sondern lediglich lose Kontakte zur KADEK gehabt habe, ist unter diesen Umständen nicht glaubhaft.

Der Kläger hat zur Überzeugung der Kammer über das Vorliegen der Einbürgerungsvoraussetzungen auch arglistig getäuscht.

Eine solche arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Betroffene durch Angaben, deren Unrichtigkeit ihm bewusst waren oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt und in Kauf nahm oder das Verschweigen wahrer Tatsachen bei einem an der Einbürgerung maßgeblich beteiligten Bediensteten einen Irrtum in dem Bewusstsein hervorgerufen hat, diesen durch die Täuschung zu einer günstigen Entschließung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 1985 - 2 C 30.84 - juris <Rn. 24>).

In der sogenannten Loyalitätserklärung vom 20. September 2002 hat der Kläger unzutreffend angegeben, dass er keine Bestrebungen unterstütze, die durch Anwendung von Gewalt auswärtige Belange gefährden. Eine inhaltlich falsche Erklärung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG (= § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) ist grundsätzlich geeignet, die Rücknahme der Einbürgerung zu rechtfertigen (vgl. Berlit a.a.O., Rn. 149 zu § 10).

Es ist mindestens ein bedingter Täuschungsvorsatz des Klägers festzustellen. Er ist zwar nicht ausdrücklich nach einer PKK-Mitgliedschaft gefragt worden. Auch finden sich in der Loyalitätserklärung nur die im Gesetz erwähnten allgemeinen Begrifflichkeiten. Trotzdem ist davon auszugehen, dass der Kläger es mindestens für möglich hielt, dass seine Aktivitäten, die ihn - wie ausgeführt - zumindest in unmittelbare Nähe des Halbkaderstatus der PKK geführt hatten, einer Einbürgerung entgegenstehen. Dies ist anzunehmen, wenn es für den Betroffenen eindeutig und offensichtlich ist, dass die Gruppierung, der er angehört, extremistische Bestrebungen unterstützt (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 18. Januar 2007 - 11 UE 111/06 - InfAuslR 2007, 207 209>). Dass die PKK eine solche Gruppierung ist, war für den Kläger schon allein wegen des seit 1993 bestehenden Vereinsverbotes ohne weiteres erkennbar. Seit Mai 2002 war die Gruppierung zudem in der EU-Terrorliste aufgeführt. Trotz dieser ihm vor Augen stehenden Tatsachen hat der Kläger dem Beklagten keinen Hinweis auf seine Aktivitäten gegeben, der diesen zu einer weiteren Überprüfung veranlasst hätte; er hat im Gegenteil ausdrücklich erklärt keinen extremistischen Organisationen anzugehören.

Die Ermessensentscheidung des Beklagten ist nach Maßgabe des § 114 VwGO rechtlich (nicht mehr) zu beanstanden.

Der Beklagte hat erkannt, dass er eine Ermessensentscheidung zu treffen hat (vgl. S. 5 des Bescheides vom 8. Juni 2006). Zutreffend hat er das Vertrauen am Bestand der Einbürgerung wegen der arglistigen Täuschung des Klägers als nicht schutzwürdig angesehen (vgl. auch § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 VwVfG). Alle anderen maßgeblichen Umstände hat er entsprechend den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 2003 - 1 C 6.03 - BVerwGE 119, 17 22 f.>; OVG Lüneburg, a.a.O. S.11; VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2007 - 13 S 2885/06 - juris <Rn. 30>) jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung ausreichend berücksichtigt.

Der Beklagte hat zunächst in nicht zu beanstandender Weise das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände hervorgehoben. Er hat weiter zutreffend ausgeführt, dass es insbesondere im Hinblick auf die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nicht hinnehmbar ist, dass Extremisten eingebürgert werden und im Schutze des deutschen Staates agieren. Auch dass generalpräventiven Erwägungen Bedeutung beigemessen wurde - anderen Ausländern, die unzutreffende Loyalitätserklärungen abgeben, soll aufgezeigt werden, dass sie mit einer Rücknahme einer Einbürgerung rechnen müssen - lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

Unzutreffend war es allerdings, dass der Beklagte im Bescheid vom 8. Juni 2006 davon ausgegangen ist, dem Kläger drohe keine dauerhafte Staatenlosigkeit, weil er nach einer Auskunft des türkischen Generalkonsulats im Falle der Ableistung des Wehrdienstes wieder eingebürgert werden könnte. Die Ableistung des Wehrdienstes ist für den Kläger nämlich zumutbar nicht möglich, weil er als Asylberechtigter anerkannt war und - wie der Beklagte nunmehr ebenfalls annimmt - mit der Unanfechtbarkeit der Rücknahme der Einbürgerung dieser Status wieder aufleben würde. Im Schriftsatz vom 2. Oktober 2007 geht der Beklagte nunmehr davon aus, dass dem Kläger deshalb eine Wiedereinbürgerung nicht zugemutet werden kann. Er hat ferner ausgeführt, dass der Kläger bereits vor dem Einbürgerungsverfahren staatenlos gewesen sei, so dass kein Ursachenzusammenhang zwischen der Einbürgerung und der Aufgabe der Staatsangehörigkeit bestanden habe. In Verbindung mit den bereits erwähnten zutreffenden grundsätzlichen Ermessenserwägungen betreffend das besondere öffentliche Interesse an der Rücknahme der Einbürgerung von Extremisten ist der zunächst insoweit bestehende Ermessensfehler damit gemäß § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Diese Vorschrift ist im Hinblick auf ihren systematischen Zusammenhang mit § 113 VwGO auch bei Anfechtungsklagen anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1998 - 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351 362 f.>).

Ein Ermessensfehler war ursprünglich auch darin zu sehen, dass der Beklagte seine Mitverantwortlichkeit an der rechtswidrigen Einbürgerung nicht berücksichtigt hat. Es gab nämlich bereits im Einbürgerungsverfahren Ansatzpunkte dafür, dass der Kläger die PKK unterstützt hat; der Beklagte ist diesen aber nicht weiter nachgegangen.

Auch dieser Mangel ist durch eine ergänzende Ausübung des Ermessens gem. § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren geheilt worden. Der Beklagte vertritt nunmehr im Schriftsatz vom 11. Oktober 2007 nicht mehr (wie noch im Schriftsatz vom 2. Oktober 2007) die Auffassung, hieraus seien keine Anhaltspunkte für eine Unterstützung der PKK abzuleiten gewesen, erkennt also seine Mitverantwortlichkeit an der rechtswidrigen Einbürgerung an. Er hat diesem Aspekt in rechtlich nicht zu beanstandender Weise jedoch kein überwiegendes Gewicht beigemessen.