OVG Niedersachsen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.11.2007 - 4 LB 577/07 - asyl.net: M11985
https://www.asyl.net/rsdb/M11985
Leitsatz:

1. Dem Anspruch auf Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG steht nicht entgegen, dass der Ausländer den Asylantrag unter einem falschen Namen gestellt hat.

2. Die Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG entfällt nicht, wenn der Ausländer den Asylantrag gestellt hat, um Sozialleistungen zu erlangen.

3. Der Anspruch auf Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG ist nicht davon abhängig, dass dem Ausländer die Duldung zu Recht erteilt worden ist.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Rücknahme, Bewilligungsbescheid, Asylantrag, Identitätstäuschung, Falschangaben, Einreise, um Sozialhilfe zu erlangen, Einreisemotiv, Vertretenmüssen, Abschiebungshindernis, Ermessen, Ermessensfehler, Leistungskürzung
Normen: SGB X § 45; AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 1; BSHG § 120 Abs. 3; AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 4; AsylbLG § 1a Nr. 2
Auszüge:

1. Dem Anspruch auf Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG steht nicht entgegen, dass der Ausländer den Asylantrag unter einem falschen Namen gestellt hat.

2. Die Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG entfällt nicht, wenn der Ausländer den Asylantrag gestellt hat, um Sozialleistungen zu erlangen.

3. Der Anspruch auf Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG ist nicht davon abhängig, dass dem Ausländer die Duldung zu Recht erteilt worden ist.

(Amtliche Leitsätze)

 

Die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn der angefochtene Bescheid der Gemeinde B. in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung D. ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bescheide über die Bewilligung von Leistungen nach § 3 und § 6 AsylbLG kommt nur § 45 SGB X in Betracht.

Die Gemeinde B. ist bei der von ihr getroffenen Rücknahmeentscheidung davon ausgegangen, dass die durch den angefochtenen Bescheid zurückgenommenen Leistungsbescheide in vollem Umfang rechtswidrig gewesen seien. Diese Annahme war jedoch unzutreffend.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetz in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 25. August 1998 (BGBl. I S. 2505) - AsylbLG - sind Ausländer leistungsberechtigt, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen. Der danach bestehende Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bis zum 20. März 2000 wäre auch dann nicht entfallen, wenn der Kläger in das Bundesgebiet eingereist wäre und den Asylantrag gestellt hätte, um Sozialleistungen zu erlangen. § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG sieht zwar vor, dass Ausländer, die sich in die Bundesrepublik Deutschland begeben haben, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben. Eine dieser Regelung vergleichbare Ausschlussvorschrift enthält das Asylbewerberleistungsgesetz aber nicht. § 120 BSHG ist für die Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. BGH, Beschl. v. 10.7.1997 - 5 StR 276/97 -; OVG Berlin, Beschl. v. 8.12.1995 - 6 S 220.95 -; VGH Mannheim, Beschl. v. 6.9.1994 - 6 S 1845/94 -). Die Leistungsberechtigung des Klägers ist ferner nicht dadurch entfallen, dass der Kläger einen Asylantrag unter einem falschen Namen gestellt hat. Dieser Umstand führt nach § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG zwar dazu, dass der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist. Die Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz setzt jedoch nur eine Aufenthaltsgestattung voraus. Für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz kommt es auf die Begründetheit des Asylantrags ebenso wenig an wie darauf, ob die Personalien der Aufenthaltsgestattung zutreffen (BGH, Beschl. v. 10.7.1997, a.a.O.). Entscheidend ist, dass für den Asylbewerber nur ein Asylverfahren durchgeführt wird. Dass der Kläger auch unter anderen Personalien Asylanträge gestellt hat, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Der Kläger ist auch in der Folgezeit leistungsberechtigt gewesen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten, auch leistungsberechtigt, wenn sie eine Duldung nach § 55 AuslG besitzen. Dies trifft auf den Kläger zu. Ob ihm die Duldung zu Recht erteilt worden ist oder der Beklagte ihn hätte abschieben können, ist für die Leistungsberechtigung ohne Belang.

Der Leistungsanspruch des Klägers ist für den o. g. Zeitraum der Duldung allerdings eingeschränkt gewesen, weil Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, die sich in den Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen oder bei denen aus von ihnen zu vertretenen Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, nach § 1 a AsylbLG Leistungen nur erhalten, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Die letztgenannte Voraussetzung ist hier erfüllt. Denn der Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass er nach Durchführung des Asylverfahrens aufenthaltsbeendende Maßnahmen hätte vollziehen können, wenn der Kläger nicht über seinen Namen und seine Staatsangehörigkeit getäuscht und seine nigerianischen Passpapiere vorgelegt hätte. Daher ist davon auszugehen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nur aus von dem Kläger zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden konnten und deshalb die Voraussetzungen für eine Einschränkung des Anspruchs auf Leistungen nach § 1 a AsylbLG ab dem 21. März 2000 vorgelegen haben. Folglich sind die den o.g. Zeitraum betreffenden Leistungsbescheide teilweise rechtmäßig gewesen, weil dem Kläger für diesen Zeitraum Leistungen nach § 1 a AsylbLG nur zugestanden haben, soweit sie den Umständen nach unabweisbar geboten gewesen sind.

Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass der angefochtene Rücknahmebescheid bezüglich dieser Bescheide teilweise rechtmäßig ist. Zwar dürfen begünstigende Verwaltungsakte, die teilweise rechtswidrig sind, nach § 45 Abs. 1 SGB X unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden, soweit sie rechtswidrig sind. Die Entscheidung über die Rücknahme steht jedoch im behördlichen Ermessen, so dass die Rücknahmeentscheidung nur rechtmäßig ist, wenn kein Ermessensfehler vorliegt. Im vorliegenden Fall ist der Gemeinde B. ein Ermessensfehler unterlaufen, weil sie bei ihrer Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen ist, die Bescheide über die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz seien in vollem Umfang rechtswidrig gewesen. Damit ist die Gemeinde von einem falschen Sachverhalt ausgegangen.