VG Frankfurt a.M.

Merkliste
Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 06.09.2007 - 7 E 2641/06(3) - asyl.net: M11998
https://www.asyl.net/rsdb/M11998
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Lebensunterhalt, Grundsicherung für Arbeitssuchende, Freibetrag, Unterhalt, Unterhaltsschulden, Familienangehörige
Normen: AufenthG § 9 Abs. 2; AufenthG § 28 Abs. 2; SGB II § 11 Abs. 2; SGB II § 30 S. 2; AufenthG § 5; AufenthG § 9 Abs. 3; AufenthG § 2 Abs. 3
Auszüge:

Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis mit den von ihr genannten Gründen in dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht zurückgewiesen; der Bescheid ist mithin aufzuheben und die Beklagte zu einer Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.

Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis mit den von ihr genannten Gründen in dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht zurückgewiesen; der Bescheid ist mithin aufzuheben und die Beklagte zu einer Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten. Die Klägerin, welche zweifelsfrei die Anwartschaftzeit zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt, kann freilich nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG diese Niederlassungserlaubnis nur dann beanspruchen, soweit einerseits der Lebensunterhalt gesichert ist und andererseits kein Ausweisungsgrund vorliegt, welcher gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 6 dann gegeben ist, wenn der Ausländer für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige Sozialhilfe in Anspruch nimmt.

Im Einzelnen hat die Beklagte nach der Auffassung des Gerichts unter der Position "Abzüge" zu Unrecht einen "pauschalen Freibetrag des Gesamtnetto" berücksichtigt, den sie rechnerisch richtig aus § 11 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 30 Satz 2 SGB II ermittelt hat. Diese Rechnungsposition von 185,81 Euro stellt die Hinzuverdienstgrenze bei dem Bezug des Arbeitslosengeldes II dar, die anrechnungsfrei bleibt. Es ist zwar richtig, zur Berechnung des zur Sicherung des Lebensunterhaltes eines Ausländers notwendigen Bedarfs an den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches II - Grundsicherung für Arbeitssuchende - zu orientieren, weil nur insoweit sichergestellt werden kann, dass ein Anspruch auf Erhalt von Sozialleistungen in der Ausländers nicht zur Entstehung gelangt. Inwieweit diese dem Bezieher von Arbeitslosengeld II begünstigende Regelung hinsichtlich eines anrechnungsfreien Hinzuverdienst zu einer Abzugsposition bei der Ermittlung des Lebensbedarfs im Ausländerrecht wird, erschließt sich aus der Begründung der Beklagten nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Diese rechnerisch und abstrakt ermittelte Position lässt sich hinwegdenken, ohne das der Lebensunterhalt, der ohne Sozialleistung bezogen und erwirtschaftet wird, zu einem Anspruch auf Sozialleistung und mithin einem abstrakten Ausweisungsgrund führt (vgl. dazu auch: HessVGH, Beschluss vom 14.03.2006 – 9 TG 512/06 – AuAS 2006, S. 146, 147).

Des weiteren erschließt sich auch nicht, weshalb Unterhaltsschulden des Ehemannes der Klägerin – bei der Bedarfsermittlung in Höhe von 231,61 Euro eingestellt – in Abzug gebracht werden. Abgesehen davon, dass nach Auskunft des Ehemannes der Klägerin mittlerweile der unterhaltsberechtigte Sohn aus erster Ehe volljährig ist und ihm Unterhalt auch nicht mehr geleistet wird, gibt es für die Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen des Ehemannes der Klägerin weder eine gesetzliche Grundlage noch eine Berücksichtigung in den "Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz – EU, Stand: 22.12.2004", dort unter Punkt 2.3.

Soweit bei der Bedarfsberechnung die Beklagte einen Abzug in Höhe von 100 Euro gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 als berücksichtigungsfrei für erwerbsfähige und erwerbstätige Hilfebedürftige nach dem SGB II in Anrechnung gebracht hat, entspricht diese zwar nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes einer im Rahmen des Abzugs berücksichtigungsfähigen Rechnungsposition bei der Bedarfsberechnung (HessVGH, a.a.O.), jedoch ist dem in einer neueren Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg mit beachtlichen Gründen entgegengetreten worden. Danach ist unter Berücksichtigung der Entstehung und dem Ziel dieser Bestimmung eine Übertragung auf den ausländerrechtlichen Lebensbedarf nicht möglich. Diese Abzugsmöglichkeit bezweckt danach eine Begünstigung derjenigen, die bereits Sozialhilfeleistungen erhalten, mit dem Ziel, sie langfristig aus den Bezug von Sozialhilfe herauszuführen. Würde man diese Abzüge hier fiktiv einkommensmindernd berücksichtigen, würde für den die Verfestigung seines Aufenthaltsstatusses erstrebenden Ausländers statt der intendierten Besserstellung im Bereich des Ausländerrechts eine nachteilige Wirkung herbeigeführt. Dass der Gesetzgeber mit der Aufnahme der Freibetragsregelung in das SGB II eine solche erhebliche Verschärfung der Anforderungen an die Erlangung eines Aufenthaltstitels für erwerbstätige Ausländer in den Blick genommen oder gar beabsichtigt habe, sei nicht erkennbar (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 18.01.2007 – 6 A 353/05 – dokumentiert in Juris Rnr. 25 ff., m.w.N.). Das Gericht schließt sich dieser Auffassung an und geht davon aus, dass dieser aus dem SGB II entnommene Freibetrag vorliegend nicht als Abzugsposition berücksichtigungsfähig ist.

Selbst wenn aber die Abzugsfähigkeit dieser letzten Rechnungsposition weiterhin beibehalten würde, ergibt sich noch ein weiterer Grund, weshalb die Bedarfsberechnung der Beklagten zur Auffassung des Gerichts fehlerhaft ist. Es ist nämlich bei der Berechnung des Gesamtbedarfs der Familie der Bezug von Arbeitslosengeld II für den Ehemann der Klägerin zu Unrecht unberücksichtigt geblieben. Hierbei geht das Gericht davon aus, dass der Ehemann der Klägerin deutscher Staatsbürger ist und die Erstreckungsregeln zur Berechnung der Sicherung von Lebensbedarf in ausländerrechtlichen Bedarfsgemeinschaften gemäß §§ 5, 9 Abs. 3 und 28 AufenthG nicht anwendbar sind. Zwar handelt es sich bei dem Bezug von Arbeitslosengeld II um eine Sozialleistung, weil diese Leistung nicht auf durch Anwartschaft erworbene Versicherungsansprüche beruht und eine sozialhilfeähnliche Leistung darstellt. Diese Leistung, die der Ehemann der Klägerin unstreitig erhält, ist bei der Bedarfsberechnung aber als anrechenbares Einkommen einzustellen, weil sie keinen abstrakten Aufweisungsgrund darstellt. Die Einkünfte eines deutschen Staatsangehörigen, mögen sie auch auf Sozialleistungen beruhen, sind als Einkommen zu berücksichtigen, weil sie unabhängig vom Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet beansprucht werden können und somit keine den Aufenthalt regelnde Wirkung entfalten können. Sie können nur dann angerechnet werden, wenn der Ausländer sie selbst bezieht. Dies ist aber bei der Klägerin nicht der Fall.