VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 20.09.2007 - 6 A 456/05 - asyl.net: M12017
https://www.asyl.net/rsdb/M12017
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Iraker, der als Statist an Manöverübungen der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland teilgenommen hat.

 

Schlagwörter: Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Irak, Nordirak, Baath, Machtwechsel, Änderung der Sachlage, Unterstützung, US-Streitkräfte, multinationale Streitkräfte, Statisten, Manöver, exilpolitische Betätigung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für Iraker, der als Statist an Manöverübungen der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland teilgenommen hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist begründet.

Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. August 2005 ist rechtswidrig, weil in der Person des Klägers die Voraussetzungen des Abschiebungsverbotes des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Das Bundesamt hat zwar zutreffend entschieden, dass mit dieser Begründung diese Voraussetzungen für die Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG (bzw. jetzt des § 60 Abs. 1 AufenthG) nicht mehr erfolgen kann, weil sich die Verhältnisse im Irak grundlegend und dauerhaft gewandelt haben.

Bei einer Widerrufsentscheidung ist von der Behörde aber weiter zu prüfen, ob dem betreffenden Ausländer nunmehr nicht aus anderen Gründen asylerhebliche Gefahren oder Gefahren i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG drohen, denn dieses stände einem Widerruf entgegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.11.2005 - 1 C 21104 - NVwZ 2006, 7.07; Urt. v. 18.7.2006 a.a.O). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach § 60 Abs. 1 Satz 3 und 4 AufenthG die geschlechtsspezifische und nunmehr auch die nichtstaatliche Verfolgung als abschiebungsschutzrechtlich relevanter Fluchtgrund anerkannt ist. Eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann danach neben dem Staat (a) und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (b) auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder Willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative.

Nach übereinstimmender Auskunftslage gibt es bestimmte Personengruppen, die im Irak besonders gefährdet sind. So sind vor allem Soldaten, Sicherheitskräfte sowie Politiker, Offizielle und Ausländer das Hauptanschlagsziel von Terroristen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2.11.2007, Stand September 2007). Auch UNHCR (Hinweise zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs irakischer Asylbewerber vom 26.9.2007) führt aus, dass Übergriffe und Mordanschläge gegen Angehörige bestimmter Berufe (vor allem Akademiker, Journalisten und Medienschaffende, Künstler, Ärzte und anderes medizinisches Personal, Richter und Rechtsanwälte sowie Sportler und Sportfunktionäre) zugenommen haben. Angehörige dieser Berufsgruppen seien von schiitischen und sunitischen Extremisten sowie gewöhnlichen Kriminellen aus mehreren Gründen herausgegriffen worden, einschließlich wegen ihres gesellschaftlichen Status, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Überzeugung, ihrer konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer Beteiligung an vermeintlich westlichen oder als unmuslimisch empfundener Verhaltensweise sowie ihres vermeintlichen Vermögens. Dieser Auskunft entspricht der vorgenannte Lagebericht des Auswärtigen Amtes, der weiter heraushebt, dass sich Anschläge vor allem gegen Personen richteten, die mit den politischen oder wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes assoziiert würden wie z.B. Sicherheitskräfte. Ausdrücklich als besonders gefährdet hervorgehoben werden von UNHCR (a.a.O.) Personen genannt, die für bestimmte Institutionen im Irak arbeiten und von den Aufständischen als Unterstützer der US-geführten Invasion und der Besatzung durch die Multinationalen Truppen wahrgenommen und daher angegriffen würden. Betroffen hiervon seien unter anderem Iraker, die für die Multinationalen Truppen arbeiteten.

Der Kläger gehört zu dieser Gruppe, die in hervorgehobener Weise bei einer Rückkehr gefährdet sein würden. Der Kläger wird nach den vorgelegten Arbeitsverträgen als Statist bzw. Rollenspieler für Manöverübungen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland beschäftigt. Der Kläger unterstützt die in weiten Kreisen der irakischen Bevölkerung, insbesondere aber der Extremisten als Besatzer und Unterdrücker wahrgenommenen US-Truppen. Allein dies hat in vielen Fällen dazu geführt, dass derartige Unterstützer mit dem Tode bedroht werden (FAZ vom 18.4.2007). Hinzu kommt, dass der Kläger ganz konkret am Training der US-Truppen für Tätigkeiten mitwirkt, die bei einem Einsatz im Irak sich gegen bestimmte Personengruppen richten wird. Deshalb dürfte der Kläger aus dem Blickwinkel dieser Personengruppen gleichgesetzt werden mit den Mitgliedern der Besatzungstruppen.

Diese besondere die Zuerkennung des Abschiebungsverbots rechtfertigende Gefahrenlage kann auch nicht etwa mit der Begründung verneint werden, die vertragliche Tätigkeit des Klägers würde möglichen nichtstaatlichen Verfolgern im Irak nicht bekannt werden. Zwar ist der Kläger nach den vorgelegten Arbeitsverträgen zur Verschwiegenheit verpflichtet. Gleichwohl kann allein damit eine Kenntniserlangung durch weitere Personenkreise nicht verhindert werden, wie das vorliegende Verfahren zeigt. Des Weiteren sind eine Vielzahl von sogenannten Statisten in diesem Trainingscamp tätig. Dies wird sich zwanglos innerhalb der großen Gruppe der asylsuchenden Iraki in der Bundesrepublik Deutschland herumsprechen. Damit ist aber auch eine Weitergabe dieser Information in den Irak nicht mehr zu verhindern angesichts der Vielzahl der familiären und sonstigen Verbindungen zwischen den in Deutschland lebenden Iraki und den im Irak verbliebenen irakischen Staatsangehörigen. Nicht ausgeschlossen werden kann ferner das Bekanntwerden dieses Urteils.