VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 10.07.2007 - 2 A 8276/05 - asyl.net: M12022
https://www.asyl.net/rsdb/M12022
Leitsatz:

Die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG beginnt erst im Zeitpunkt der positiven Kenntnis von einer Rechtsänderung (hier: Einführung des § 26 Abs. 4 AsylVfG), nicht schon im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Folgeantrag, Drei-Monats-Frist, Familienabschiebungsschutz, Familienflüchtlingsschutz, Fristbeginn, Kenntnis, Änderung der Rechtslage, Zuwanderungsgesetz
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; AsylVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; AsylVfG § 26 Abs. 4; VwVfG § 51 Abs. 3
Auszüge:

Die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG beginnt erst im Zeitpunkt der positiven Kenntnis von einer Rechtsänderung (hier: Einführung des § 26 Abs. 4 AsylVfG), nicht schon im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf den begehrten Familienabschiebungsschutz nach § 26 Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.

Problematisch ist hier allein, ob der Antrag innerhalb der Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt worden ist. Dies ist der Fall.

Nach § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden; die Frist beginnt mit dem Tage zu laufen, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Diese Frist hat der Kläger gewahrt, denn von der Möglichkeit, auf der Grundlage des neuen Zuwanderungsgesetzes Familienabschiebungsschutz zu erhalten, sind der Kläger bzw. seine Eltern erst durch das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 15.03.2005 informiert worden. Vorher hatten sie nach glaubhafter Darstellung keine Kenntnis darüber, dass das am 01.01.2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz die Möglichkeit des "Familienasyls" erweitert hat, so dass nunmehr auch Ehegatten und ledige minderjährige Kinder eines Ausländers, in dessen Person das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden ist, in den Genuss von Abschiebungsschutz kommen können. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Umstand, dass das Zuwanderungsgesetz mit der hier maßgeblichen Gesetzesänderung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden ist, überhaupt den Schluss rechtfertigt, dass der Ausländer von der Möglichkeit, Familienabschiebungsschutz zu erlangen, Kenntnis haben "musste". Denn die mit dem Zuwanderungsgesetz erfolgten Gesetzesänderungen sind für den juristischen Laien - zumal für einen Asylbewerber, der die deutsche Sprache nicht sicher beherrscht - unübersichtlich und kaum zu überschauen. Selbst wenn dies aber angenommen würde, ergäbe sich daraus keine Fristversäumnis, denn ein "Kennenmüssen" steht einer positiven Kenntnis des Grundes des Wiederaufgreifens, an die das Gesetz anknüpft, nicht gleich. Eine "Kenntnis" kann auch nicht einfach fingiert werden, indem unterstellt wird, eine Rechtsänderung, die ein Wiederaufgreifen ermögliche, gelte mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt als allgemein bekannt. Für eine solche Fiktion gibt es keine rechtliche Grundlage, und auch empirisch ist es kaum zu belegen, dass Rechtsänderungen mit der Veröffentlichung in Gesetzesblättern "allgemein" bekannt werden. Positive Kenntnis über den Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens - die Rechtsänderung durch das Zuwanderungsgesetz - hat der Kläger bzw. haben seine Eltern aber erst durch das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 15.03.2005 erlangt, so dass der am 14.04.2005 persönlich bei dem Bundesamt gestellte Folgeantrag die Dreimonatsfrist wahrte.