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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 02.08.2007 - 10 C 13.07 - asyl.net: M12034
https://www.asyl.net/rsdb/M12034
Leitsatz:

1. Die Feststellung eines ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Herkunftsstaates ist - anders als beim asylrechtlichen Abschiebungsschutz - nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Asylbewerber Schutz in einem anderen Staat finden kann, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt; unter Umständen kann dem Kläger in einem derartigen Fall aber das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.

2. Der Asylbewerber hat regelmäßig einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Falle der Ablehnung der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung eine Feststellung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich seines Herkunftsstaates trifft.

 

Schlagwörter: Nordkorea, Südkorea (A), Verfahrensrecht, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Prüfungskompetenz, freiwillige Ausreise, Rechtsschutzinteresse, Mehrstaatigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 31 Abs. 3; AsylVfG § 24 Abs. 2; AufenthG § 25 Abs. 3
Auszüge:

1. Die Feststellung eines ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Herkunftsstaates ist - anders als beim asylrechtlichen Abschiebungsschutz - nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Asylbewerber Schutz in einem anderen Staat finden kann, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt; unter Umständen kann dem Kläger in einem derartigen Fall aber das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.

2. Der Asylbewerber hat regelmäßig einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Falle der Ablehnung der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung eine Feststellung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich seines Herkunftsstaates trifft.

(Amtliche Leitsätze)

 

Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist nicht begründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich jedenfalls im Ergebnis als richtig dar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 und § 144 Abs. 4 VwGO).

1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung Grundsätze, die das Bundesverwaltungsgericht zum asylrechtlichen (flüchtlingsrechtlichen) Abschiebungsschutz entwickelt hat, ohne Weiteres auf den ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz übertragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mehrfach betont, dass asylrechtlicher Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG und ausländerrechtlicher Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich der Gewährung anderweitigen Schutzes in einem Drittstaat unterschiedlich zu beurteilen sind, weil beide Schutzformen sowohl verfahrensrechtlich als auch materiellrechtlich anders ausgestaltet sind.

Während über den asylrechtlichen Abschiebungsschutz nur einheitlich entschieden werden kann, ist über den ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf die einzelnen in Betracht kommenden Abschiebezielstaaten jeweils gesondert und ggf. mit unterschiedlichem Ergebnis zu entscheiden. Von daher durfte das Berufungsgericht den Kläger nicht darauf verweisen, dass er die ihm in Nordkorea drohenden Gefahren durch eine - ihm mögliche und zumutbare - Ausreise nach Südkorea abwenden könne. Zu Unrecht hat sich das Berufungsgericht für die Übertragung des asylrechtlichen Subsidiaritätsprinzips auf den ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz auf die Entscheidung des früher für Asylsachen zuständig gewesenen 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 38.96 - (BVerwGE 104, 265 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 7) bezogen. In dieser Entscheidung wurde lediglich ausgeführt, dass bei der Prüfung von subsidiären Abschiebungsschutz nach dem damals geltenden § 53 AuslG auch eine etwaige Gefahrenminderung durch eine freiwillige Ausreise in den Zielstaat (anstelle einer zwangsweisen Abschiebung in eben diesen Staat) in den Blick zu nehmen sei. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen, dass die Gewährung von ausländerrechtlichem Abschiebungsschutz auch entfällt, wenn eine Abschiebung oder eine freiwillige Ausreise des Ausländers in einen Drittstaat möglich ist.

Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Nordkorea ist auch nicht deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil das Bundesamt dem Kläger eine Abschiebung dorthin nicht angedroht hat und darüber hinaus in der Begründung seines Bescheides ausgeführt hat, dass diese wegen des totalitären Regimes in Nordkorea und der zurzeit dort herrschenden Hungersnot nicht in Betracht komme. Grundsätzlich darf sich in einem Asylverfahren weder das Bundesamt noch ein Gericht der Prüfung entziehen, ob ausländerrechtliche Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Dass das Bundesamt regelmäßig von Amts wegen zu entsprechenden Feststellungen berechtigt und verpflichtet ist, ergibt sich insbesondere aus § 31 Abs. 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 AsylVfG. In § 31 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 AsylVfG ist im Einzelnen geregelt, in welchen Fällen ausnahmsweise von der Feststellung abgesehen werden kann. Auch in Fällen, in denen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können, ist das Bundesamt ermächtigt und regelmäßig gehalten, eine Feststellung zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu treffen und dem Asylsuchenden damit die gerichtliche Überprüfung einer derartigen Feststellung zu eröffnen. Dieser Feststellung kommt nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 insofern noch verstärkte Bedeutung zu, als nach der seitdem geltenden Regelung des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG einem Ausländer - vorbehaltlich der Ausschlussgründe nach Satz 2 - eine Aufenthaltserlaubnis (aus humanitären Gründen) erteilt werden soll, wenn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Damit ist die Entscheidung des Bundesamts nicht mehr nur für die Abschiebung des Ausländers, sondern nunmehr auch für seinen aufenthaltsrechtlichen Status von Bedeutung. Entsprechend zielt der Anspruch des Ausländers nicht mehr nur darauf, die gerichtliche Überprüfung der Abschiebevoraussetzungen zu eröffnen, sondern zusätzlich darauf, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorzubereiten. Der Gesetzgeber hat allerdings nicht ausdrücklich geregelt, hinsichtlich welcher Staaten über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu entscheiden ist. Der Asylsuchende hat Anspruch auf die Feststellung eines derartigen Abschiebungsverbotes jedenfalls hinsichtlich der Staaten, für die das Bundesamt verpflichtet ist, eine solche Feststellung zu treffen, für die es eine ihm nachteilige Feststellung bereits getroffen hat oder in die abgeschoben zu werden er aus berechtigtem Anlass sonst befürchten muss (vgl. Urteil vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 1 C 11.01 - BVerwGE 115, 267 <271 f.> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 52; vgl. auch Urteil vom 10. Juli 2003 - BVerwG 1 C 21.02 - BVerwGE 118, 308 <311 f.> = Buchholz 402.240 § 50 AuslG Nr. 14).

Im Falle des Klägers durfte das Bundesamt danach nicht von einer Feststellung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nordkoreas absehen. Denn nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts steht inzwischen fest, dass der Kläger aus Nordkorea stammt und die nordkoreanische Staatsangehörigkeit besitzt. Hinsichtlich des Herkunftsstaats des Asylbewerbers ist das Bundesamt aber regelmäßig zur Prüfung und Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG verpflichtet. Der Gesetzgeber geht erkennbar davon aus, dass die Feststellung des Bundesamts sich in erster Linie auf den Herkunftsstaat des Asylbewerbers beziehen soll, im Hinblick auf den politische Verfolgung geltend gemacht wird und der sich bei Erfolglosigkeit dieses Begehrens vorrangig als Zielstaat für eine Abschiebung anbietet. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bereits mehrfach ausgeführt und näher begründet (vgl. etwa Urteil vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 1 C 11.01 - a.a.O.). Jedenfalls dann, wenn das Bundesamt - wie hier - auch keine Feststellung zu § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich eines anderen Staates getroffen hat, verdichtet sich die Verpflichtung auf das Herkunftsland. Korrespondierend mit der gesetzlichen Verpflichtung des Bundesamtes hat der Asylbewerber einen materiellrechtlichen Anspruch.

2. Der Senat kann allerdings davon absehen, das Verfahren zur Nachholung der Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 hinsichtlich Nordkoreas an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil das Berufungsurteil sich mit der Abweisung der Klage jedenfalls im Ergebnis als richtig erweist. Denn unter den gegebenen Umständen hat der Kläger dennoch ausnahmsweise kein schutzwürdiges Interesse daran, seinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Nordkorea gerichtlich durchzusetzen. Die begehrte Feststellung brächte ihm nämlich keinerlei Vorteile. Eine Abschiebung nach Nordkorea hat der Kläger nach den ausdrücklichen Ausführungen des Bundesamts im Ablehnungsbescheid nicht ernsthaft zu befürchten. Auch hinsichtlich seines aufenthaltsrechtlichen Status würde eine (positive) Feststellung seine Rechtsstellung nicht verbessern. Zwar würde er damit die (Regel-)Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfüllen. Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis jedoch ausgeschlossen, wenn dem Ausländer die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die der Kläger nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat und die den Senat deshalb binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), ist dem Kläger eine Ausreise nach Südkorea, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, ohne Weiteres möglich und zumutbar. Insofern hätte der Kläger mit der von ihm erstrebten Feststellung nichts gewonnen. Der Senat betont in diesem Zusammenhang allerdings, dass das Rechtsschutzinteresse im Hinblick auf § 25 Abs. 3 AufenthG im Wesentlichen nur deshalb zu verneinen ist, weil der Kläger eine doppelte Staatsangehörigkeit besitzt und ihm eine Ausreise in einen Staat seiner Staatsangehörigkeit möglich und zumutbar ist.