OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 04.09.2007 - A 4 B 233/05 - asyl.net: M12039
https://www.asyl.net/rsdb/M12039
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Hypertonie, Diabetes mellitus, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Folgeantrag, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Ermessen, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; VwVfG § 51 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 3; VwVfG § 53 Abs. 5
Auszüge:

Der Kläger hat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) des Senats keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Serbiens vorliegen.

Die vom Kläger geltend gemachte Gefahr, dass sich seine Erkrankungen aufgrund der Verhältnisse in Serbien verschlimmern, betrifft wegen ihres - wie im Regelfall anzunehmenden - singulären Charakters eine individuelle Gefahr, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist, nicht angesprochen ist eine allgemeine Gefahr oder "Gruppengefahr" i.S.v. Satz 2 mit einer Vielzahl von Betroffenen und dem Erfordernis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung (zur Abgrenzung: BVerwG, aaO, S. 36 m.w.N.). Für die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG reicht es grundsätzlich aus, dass sich eine vorhandene Erkrankung des Ausländers in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führen, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht.

Entgegen den Ausführungen des Klägers ist dieser allgemeine Maßstab hier nicht anwendbar, weil das (erste) Asylverfahren, des Klägers bereits abgeschlossen wurde.

Da der erste Bescheid des Bundesamts vom 12.10.1994 zum Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen bestandskräftig geworden ist, besteht nur unter den Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein Anspruch auf "erneute" Feststellung des Bundesamts zu § 60 Abs. 7 AufenthG (BVerwG, aaO, S. 41 f.). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Erkrankungen des Klägers insgesamt nicht erfüllt.

Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor, kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (aaO, S. 42 m.w.N.; Urt. v. 20.10.2004, BVerwGE 122, 103) ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Bundesamts nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG in Betracht. Nur im Fall einer extremen individuellen Gefahrensituation besteht ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Das Bundesamt hat in dem angefochtenen Bescheid vom 15.7.2002 bereits eine Ermessensentscheidung durchgeführt und dabei insbesondere die Lebensbedingungen von Rückkehrern in das damalige Serbien und Montenegro sowie die maßgeblichen Fragen zur Gesundheitsversorgung unter Berücksichtigung der damaligen Erkenntnismittellage angesprochen. Ermessensfehler sind insoweit auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich.

Mit dem Bayerischen VGH (Beschl. v. 4.10.2004 - 21 B 03.31150 -, nicht veröffentlicht) ist zunächst davon auszugehen, dass § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit der Formulierung "erhebliche Gefahr" keinen Anspruch auf Bewahrung eines besonders hohen deutschen medizinischen Standards gewährt, sondern nur Schutz davor bietet, dass eine vom Durchschnitt des medizinischen Standards aller entwickelten Länder nicht mehr als wirksam hinnehmbare Behandlung in personeller und sachlicher Hinsicht zur Verfügung steht. Im Hinblick darauf sind gewisse Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems im Herkunftsstaat eines Ausländers vom Schutzbereich des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von vornherein nicht erfasst. In diesem Zusammenhang kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass in seinem Heimatort im Sandzak keine hinreichende Behandlungsmöglichkeiten bestehe; vielmehr kann er darauf verwiesen werden, dass er bei einer Rückführung dort Wohnung nimmt, wo eine Behandlungsmöglichkeit - auch nach eigenen Angaben - besteht, also im Raum Belgrad (so auch BayVGH, aaO, für ein minderjähriges Kind). Nicht anders als nach der früheren Rechtslage wird auch bei § 60 Abs. 7 AufenthG ein Anspruch nur zu bejahen sein, wenn die Voraussetzungen im gesamten Zielstaat vorliegen.

Der in der mündlichen Verhandlung erörterte aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 23.4.2007 weist aus, dass lebensrettende und erhaltende Maßnahmen für alle Patienten kostenfrei sind (S. 20 f.) und dass Diabetes ebenfalls kostenfrei und unabhängig vom Status des Patienten behandelt werde. Grundsätzliche bestehe in Serbien eine gesetzliche Pflichtversicherung, für die eine Registrierung erforderlich sei. Gemeldete und anerkannte Arbeitslose und anerkannte Sozialhilfeempfänger seien ohne Beitragszahlung versichert. Arbeitsunfähigen Bürgern werde Sozialhilfe gewährt, deren Höhe monatlich an die Lebenshaltungskosten angepasst werde.

Lebensbedrohliche Erkrankungen würden in Krankenhäusern im Regelfall sofort behandelt. Die staatlichen Krankenhäuser entsprächen in Hygiene und Verpflegung "nicht immer" westlichen Vorstellungen. Nur "sehr wenige" Erkrankungen seien in Serbien nicht oder nur schlecht behandelbar. Behandelbar seien Diabetes, auch eine Nachsorge für Herzoperationen sei gewährleistet.