LSG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.10.2007 - L 20 B 63/07 AY ER - asyl.net: M12063
https://www.asyl.net/rsdb/M12063
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 36-Monats-Frist, 48-Monats-Frist, Sozialhilfebezug, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 17.08.2007), ist unbegründet. Das Sozialgericht hat es mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen (Regelungs-) Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verpflichten, den Antragstellern gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG Leistungen entsprechend den Regelungen des SGB XII zu gewähren.

Der Senat hat zwar mit Beschluss vom 26.04.2007 (L 20 B 4/07 AY ER) entschieden, dass es erkennbar zweckwidrig sei, einem Leistungsberechtigten für einen Anspruch nach § 2 Abs. 1 AsylbLG stets abzufordern, insgesamt über drei Jahre mit Mitteln maximal in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums gewirtschaftet zu haben, gleichviel, wie lange er sich schon in die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Deutschland eingelebt hat. Gerade das Integrationsbedürfnis, zu dessen Befriedigung auch ausreichende wirtschaftliche Leistungen in der Höhe des soziokulturellen Existenzminimums gehörten, bestehe unabhängig davon, ob ein Asylbewerber seinen Lebensunterhalt über einen mindestens 36-monatigen Zeitraum durch Leistungen nach § 3 AsylbLG oder jedenfalls aus Mitteln nicht oberhalb des soziokulturellen Existenzminimums bestritten habe, oder ob er z.B. durch Erwerbstätigkeit oder den Bezug höherer anderer Leistungen (etwa vor dem Arbeitslosengeld) den Lebensunterhalt anderweitig und unter günstigeren wirtschaftlichen Voraussetzungen habe sicherstellen können.

Die genannte Entscheidung des Senats ist aber vor dem Hintergrund der Besonderheiten des entschiedenen Einzelfalles (20jähriger Aufenthalt in Deutschland, Bezug von Arbeitslosengeld und -hilfe sowie anschließend von SGB II-Leistungen etc.) zu würdigen.

Der Senat verkennt nicht, dass die Antragstellerin zu 1) sich bereits seit 1998 in Deutschland aufhält und die Antragsteller zu 2) und 3) hier geboren sind. Ungeklärt ist indes, wie der Lebensunterhalt der Familie bis zur Trennung der Antragstellerin zu 1) von ihrem Ehemann sichergestellt war. Unter Berücksichtigung auch der Umstände des Einzelfalles wird es dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, die tatsächlichen Umstände aufzuklären und ggf. die grundsätzliche Rechtsfrage zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG auch ohne Bezug von Sozialleistungen, d.h. im Ergebnis durch (alleinigen) Zeitablauf, ein Anspruch auf sog. Analog-Leistungen zu bejahen ist (in diese Richtung gehen die Ausführungen im Senatsbeschluss vom 06.08.2007 - L 20 B 50/07 AY ER: "Ebenso wie bei einem Vorbezug von Leistungen nach dem AsylbLG erscheint nach entsprechend langem Einleben in die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Bundesrepublik Deutschland ein Wirtschaften unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums nach Ablauf dieser Frist deshalb regelmäßig nicht weiter zumutbar. Es entspricht daher bei summarischer Prüfung den gesetzgeberischen Vorstellungen, dass nach Ablauf dieses Zeitraums Leistungen entsprechend dem SGB XII zustehen sollen, auch wenn zuvor ausnahmsweise ein Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG nicht notwendig gewesen ist"). Letzteres wäre die Konsequenz einer Auslegung im Sinne der Antragsteller. Auch ein Zeitraum, in dem der Lebensunterhalt durch Einkommen und Vermögen gesichert wurde (oder hierzu keine Erkenntnisse vorliegen), könnte dann auf die Wartezeit Anrechnung finden. Einer praktikablen Verfahrensweise dürfte zudem die Überprüfung in jedem Einzelfall entgegenstehen, wann eine hinreichende Integration gesichert erscheint. Faktisch führte dies dazu, dass unter maßgeblicher Betonung des Integrationsgedankens (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 1a AsylbLG a.F. - BT-Drs. 12/5008, S. 15; zur Entstehungsgeschichte eingehend GK-AsylbLG, § 2RdNr. 15 ff.) bei einem Aufenthalt von länger als 36 Monaten und der Verneinung einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer Analog-Leistungen zu gewähren wären. Einstweilen gibt der Senat auch angesichts seiner Ausführungen im Einzelfall aber zu bedenken, dass die Anknüpfung im Wortlaut an den tatsächlichen Bezug von Leistungen keinen rechten Sinn ergibt, wenn allein der schlichte Zeitablauf und das Unterlassen einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer schon ausreichend wären.

Ob Sinn und Zweck der Vorschrift und verfassungsrechtliche Gebote gleichwohl eine solch extensive Auslegung des Gesetzeswortlautes (auch über die Berücksichtigung von Zeiten des Sozialleistungsbezuges hinaus) gebieten und zulassen, erscheint derzeit offen und bedarf eingehender, über den Umfang der gebotenen summarischen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutz hinausgehender, rechtlicher Erwägungen. Dabei könnte von Bedeutung sein, dass die Regelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG wohl in erster Linie auf Personen abzielt, die mit Einreise in die Bundesrepublik Deutschland dem Grunde nach lediglich anspruchsberechtigt nach dem AsylbLG sein können. Die Auffassung der Antragsteller, der Gesetzgeber habe Personen, die lediglich aufgrund von Änderungen im Ausländer- und Aufenthaltsrecht bzw. in ihren persönlichen Verhältnissen erstmalig zu einem späteren Zeitpunkt dem Anwendungsbereich des AsylbLG unterfallen, ggf. nicht erfassen wollen, erscheint insoweit nicht abwegig. Hingegen könnte es auch vertretbar sein, als maßgeblichen Anknüpfungspunkt unterschiedslos die (erstmalige) Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG heranzuziehen mit der Folge, dass der Gesetzgeber einem Anspruch auf Leistungen entsprechend dem SGB XII in jedem Fall eine Wartezeit von 36 Monaten vorschalten wollte. Diese Auffassung stände im Einklang mit der verwaltungsgerichtlich hingenommenen Praxis, die Frist von 36 Monaten auch bei Personen mit dem 01.06.1997 beginnen zu lassen, die bereits zuvor im Leistungsbezug nach dem AsylbLG standen (vgl. hierzu und zu Bedenken an der Stichtagsregelung etwa GK-AsylbLG, § 2 RdNr. 20 ff. bzw. 37 ff.).

Die eigentliche Ursache der vermeintlichen Schlechterstellung der Antragsteller findet ihre Ursache in dem Umstand, dass sie erstmals dem Anwendungsbereich des AsylbLG unterfallen und damit vom Leistungsbezug nach dem SGB II und SGB XII ausgeschlossen sind. Da nach alledem ein Obsiegen in der Hauptsache nicht dermaßen wahrscheinlich erscheint, dass angesichts des Bezuges von Leistungen nach § 3 AsylbLG eine weitergehende Verpflichtung der Antragsgegnerin (für den Zeitraum ab Antragstellung beim Sozialgericht bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung) geboten erschiene, war die Beschwerde zurückzuweisen.