VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 04.10.2007 - 5 K 5162/06.A - asyl.net: M12065
https://www.asyl.net/rsdb/M12065
Leitsatz:
Schlagwörter: Georgien, Russland, Kurden, Jesiden, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, orthopädische Erkrankung, Tetraparese, Spitzfuß, Kniegelenksbeugekontraktur, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

I. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.

Insbesondere hat die Klägerin sowohl in Georgien als auch in der Russischen Föderation aufgrund ihrer kurdischen Volks- und yezidischen Religionszugehörigkeit bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung zu befürchten. Denn eine unmittelbare oder mittelbare staatliche Gruppenverfolgung gibt es diesbezüglich weder in Georgien noch der Russischen Föderation.

II. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf das Bestehen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG berufen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

1. Es ist nicht dargetan, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin bei Rückkehr nach Georgien erheblich und konkret derart verschlechterte, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorlägen. Denn ihre Erkrankungen können in Georgien behandelt werden. Ausweislich diverser ärztlicher Atteste leidet die Klägerin - wohl aufgrund ihrer Frühgeburt in der 33. Schwangerschaftswoche (ICD P 07.3 Z) - an einer rechts- und beinbetonten spastischen Tetraparese (ICD G 80.0), einem dynamischen Spitzfuß links und einem teilfixierten rechten Spitzfuß (ICD M 21.67) sowie einer Kniegelenksbeugekontraktur rechts (ICD M 24.56). Zur Frage der Behandelbarkeit der vorgenannten Erkrankungen in Georgien hat das Gericht eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt. Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tiflis hat mit Schreiben 02. Juli 2007 dahingehend Stellung genommen, dass die Behandlung der derart erkrankten Klägerin möglich sei, so etwa im Zentralen Kinderkrankenhaus N1 in U. Die Erkrankungen seien behandelbar.

Ungeachtet dessen weist das Gericht darauf hin, dass hinsichtlich des Behandlungs- und Medikamentationsstandards (etwa speziell mit Ospolot oder Diazepam sowie mit Botulinumtoxin) der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - selbst bei einer aus humanitären Gründen möglicherweise wünschenswerten Hilfe - nicht dazu dient, eine Erkrankung optimal behandeln oder ihre Heilungschancen maximal verbessern zu können. Insbesondere gewährt die Norm keinen allgemeinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in Deutschland. Ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung und der gegebenen Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland verweisen lassen, selbst wenn sie dem hiesigen Niveau nicht entsprechen und seine Betreuung und Förderung in der hier erfolgten Art und Weise wohl nicht mehr aufrechterhalten werden kann (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 05. August 2004 - 13 A 2160/04.A).

2. Ebenso ist für die Russische Föderation nicht in ausreichendem Maße dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin bei Rückkehr dorthin erheblich und konkret derart verschlechtern würden, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorlägen. Denn auch in der Russischen Föderation sind die zuvor unter dem Punkt II. 1. geschilderten Erkrankungen der Klägerin ohne weiteres behandelbar.

3. Sofern die Klägerin unabhängig von etwaigen kostenlosen Behandlungsmöglichkeiten ihrer Erkrankung in Georgien oder der Russischen Föderation - die unter bestimmten Voraussetzungen dort gegeben sein können, vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 24. April 2006, S. 17 betr. Georgien; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 19. Juli 2007 betr. Russ. Föderation; s. auch das vom Prozessbevollmächtigten zitierte Urteil des VG Minden v. 20.12.2006, Az.: 4 K 4665/03.A - mangels ausreichender eigener finanzieller Mittel, wie vom Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 09. Juli und vom 09. August 2007 vorgebracht, keine Möglichkeit hätte, künftig eine erforderliche Behandlung aus eigener Kraft bzw. der ihrer Eltern zu finanzieren, vermittelte ihr dies dennoch keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Denn die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird insoweit durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG "gesperrt".

Dies ist hier der Fall, da die Gefahr einer allein aus finanziellen Gründen nicht möglichen medizinischen Behandlung grundsätzlich der gesamten Bevölkerungsgruppe der mittellosen Kranken in Georgien bzw. der Russischen Föderation allgemein droht, d.h. derjenigen, die dort die erforderlichen Behandlungskosten für ihre behandelbare Krankheit nicht aufbringen können. Die derart verstandene (nach sozialen Merkmalen bestimmte) Gruppe bildet - ungeachtet der Frage, wie umfangreich die Gruppe der tetraparetisch oder psychisch Erkrankten dort ist - eine eigene Bevölkerungsgruppe i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG (vgl. - zur Gruppe, die aus finanziellen Gründen beschränkten Zugang zu einer Heilbehandlung hat - BVerwG, Beschl. v. 29. April 2002 - 1 B 59/02; BVerwG Urt. v. 08. Dezember 1998 - 9 C 4/98; VGH München, Beschl. v. 10. Oktober 2000 - 25 B 99.32077; OVG S-H, Urt. v. 29. Oktober 2003 - 14 A 246/02).