VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 07.01.2005 - 13 K 5861/03 - asyl.net: M12082
https://www.asyl.net/rsdb/M12082
Leitsatz:

Einem Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft aus Pakistan ist es nicht zuzumuten, bei der Pasaantragstellung seinen Glauben zu verleugnen.

 

Schlagwörter: D (A), Duldung, Erwerbstätigkeit, Vertretenmüssen, Abschiebungshindernis, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Zumutbarkeit, Pakistan, Pakistaner, Ahmadiyya, Religionsfreiheit, Feststellungsklage
Normen: BeschVerfV § 10; BeschVerfV § 11; VwGO § 43 Abs. 1; VwGO § 43 Abs. 2; AufenthV § 5 Abs. 1; AufenthV § 5 Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 4 Abs. 1
Auszüge:

Einem Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft aus Pakistan ist es nicht zuzumuten, bei der Pasaantragstellung seinen Glauben zu verleugnen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Beklagte darf dem Kläger eine Beschäftigungserlaubnis nicht deswegen nach § 11 Satz 1 2. Halbsatz BeschVerfV versagen, weil bei ihm aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können.

Als Gründe, die ein Ausländer insbesondere zu vertreten hat, zählt § 11 BeschVerfV in Satz 2 die Identitätstäuschung, die Täuschung über die Staatsangehörigkeit oder falsche Angaben auf. Keiner dieser Gründe liegt beim Kläger vor. Den bei ihm vorliegenden Grund der Passlosigkeit hat er nicht zu vertreten.

Zur Bestimmung des Vertretenmüssen der Passlosigkeit durch den Ausländer selbst kann die Vorschrift des § 5 Aufenthaltsverordnung - AufenthV herangezogen werden. Denn seine Passlosigkeit hat der Ausländer dann zu vertreten, wenn er nicht alles Zumutbare unternommen hat, um einen Pass zu erlangen.

Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 AufenthV gilt es als für den Ausländer zumutbar, in der den Bestimmungen des deutschen Passrechts, insbesondere den §§ 6, 15 PassG, entsprechenden Weise an der Ausstellung oder Verlängerung seines Passes mitzuwirken und die Behandlung eines Antrages durch die Behörden des Herkunftsstaates nach dessen Recht zu dulden, soweit dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führt. Mit der Stellung des Passantrages vom 16.9.2004 hat der Kläger diese Anforderungen erfüllt. Er hat darin die erfragten Angaben gemacht und die erforderlichen Erklärungen abgegeben. Die Erklärung unter Ziffer 25 (iii), über die Ahmadiyya-Glaubensbewegung und ihren Gründer (sog. Ahmadiyya-Klausel), brauchte vom Kläger nicht abgegeben zu werden, da dies für ihn als Mitglied jener Bewegung zu einer unzumutbaren Härte geführt hätte. Andere Gründe für die fehlende Passaustellung, als die Streichung jener Klausel, sind nicht erkennbar.

Ohne den Begriff damit abschließend zu definieren, stellt es jedenfalls eine unzumutbare Härte dar, Mitwirkungshandlungen vornehmen zu müssen, die einen unzulässigen Grundrechtseingriff darstellen. Die dem Kläger abverlangte Unterschrift unter die Ahmadiyya-Klausel greift unzulässig in sein Grundrecht auf Glaubensfreiheit nach Art 4 Abs. 1 GG ein. Zum Schutzbereich der individuellen Glaubensfreiheit gehört neben der inneren Freiheit, religiöse Überzeugungen zu bilden und zu haben, die äußere Freiheit diese zu bekennen und zu verbreiten (BVerfGE 32, 98, 106 f.; 69, 1, 33 f.). In diese Freiheit greift die Beklagte ein, indem sie einen Rechtsnachteil, nämlich das Verbot eine Arbeit aufzunehmen, daran knüpft, dass diese Klausel nicht unterschrieben wird. Die Glaubensfreiheit ist nicht schrankenlos gewährleistet; Grenzen können nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung jedoch nur durch andere Bestimmungen des Grundgesetzes gezogen werden, Eingriffe des Staates bedürfen mithin einer unmittelbaren verfassungsrechtlichen Legitimation (BVerfG, E 32, 98, 107 f.; 33, 23, 29; 52, 223, 246 f.; NJW 1989, 3269 ff.). Solche Grenzen können sich vor allem aus kollidierenden Grundrechten anderer Grundrechtsträger (vgl. BVerfGE 41, 29, 50; 52, 223, 247), aber auch aus anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern ergeben (vgl. BVerfGE 28, 243, 261). Dabei ist der Konflikt mit den anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl. BVerfG, E 93, 1, 21 m.w.N; NJW 2004, 47 ff.)

Für das an einen Ausländer gerichtete Verlangen, an der Ausstellung eines Passes mitzuwirken, indem er gegenüber dem ausstellenden Staat seinen Glauben verleugnet, fehlt es bereits an einem den darin liegenden Eingriff rechtfertigenden Schutzgut von Verfassungsrang. Das in solch einem Verlangen zum Ausdruck kommende staatliche Interesse, an einer Durchsetzung der Ausreisepflicht zur Steuerung des Zuzugs von Ausländern, ist nirgendwo im Verfassungsrecht verankert worden. Das Grundgesetz überantwortet es zwar weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt festzulegen, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Fremden der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht wird. Es schließt weder eine großzügige Zulassung von Fremden aus, noch gebietet es eine solche Praxis (BVerfG Beschl. v. 12.5.1987, 2 BvR 1226/83, E 76, 1 ff.). Damit lässt es aber sein Bewenden und verhält sich ausländerrechtlich "neutral". Selbst wenn man aufgrund der 1993 eingeführten Regelungen in Art. 16a GG nunmehr davon ausgehen würde, dass das staatliche Interesse an einem geregelten Zuzug von Ausländern Verfassungsrang bekommen hat, vermag dies den Eingriff in die individuelle Glaubensfreiheit nicht zu rechtfertigen. Der Grundsatz praktischer Konkordanz schließt es aus, dass sich im Falle der Ahmadiyya-Klausel das staatliche (deutsche) Interesse an einer möglichst wirksamen Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung derart vollständig gegenüber der Glaubensfreiheit des Ausländers durchsetzt, dass dieser gezwungen ist seinen Glauben zu verleugnen.

Brauchte daher der Kläger die Ahmadiyya-Klausel nicht zu unterzeichnen, hat er alles rechtlich Zumutbare getan, um sich einen Pass seines Herkunftsstaates zu beschaffen. Damit hat er dass in seiner Passlosigkeit liegende Abschiebungshindemis nicht zu vertreten, weshalb ihm dieser Umstand nicht bei der Frage nach der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis entgegengehalten werden darf.