VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 14.11.2007 - 10 K 32/07 - asyl.net: M12097
https://www.asyl.net/rsdb/M12097
Leitsatz:

Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und Staatenlosenausweis für staatenlosen Kurden aus Syrien; Kurden aus Syrien haben in der Regel keine Staatsangehörigkeit eines Nachbarstaats (Türkei, Irak) oder können sie jedenfalls nicht nachweisen.

 

Schlagwörter: D (A), Syrien, Kurden, Staatenlose, Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Einreiseverweigerung, Staatsangehörigkeit, Türkei, Irak, Mitwirkungshandlungen, Staatenlosenübereinkommen, Reiseausweis
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; StlÜbk Art. 28 S. 1; StlÜbk Art. 1 Abs. 1
Auszüge:

Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und Staatenlosenausweis für staatenlosen Kurden aus Syrien; Kurden aus Syrien haben in der Regel keine Staatsangehörigkeit eines Nachbarstaats (Türkei, Irak) oder können sie jedenfalls nicht nachweisen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 28 StlÜbk (§ 113 Abs. 5 VwGO).

1. Ausgehend hiervon ist der Kläger, der gemäß § 58 Abs. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig ist, an der Ausreise unverschuldet verhindert, weil er nach Maßgabe des sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ergebenden Erkenntnisstandes weder in seinem ursprünglichen Herkunftsland Syrien noch in einem anderen Staat Aufnahme und Aufenthalt finden kann.

Nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes (vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 26.02.2007 und vom 17.03.2006) wurde in Syrien aufgrund einer Volkszählung im Jahre 1962 ca. 120.000 bis 150.000 Kurden die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt. Diese Personen, die sich nach syrischer Rechtsansicht zu diesem Zeitpunkt illegal im Land aufhielten, wurden von den syrischen Behörden fortan als Ausländer und, sofern sie 1962 keine andere Staatsangehörigkeit nachweisen konnten, als staatenlos behandelt. Der syrische Staat hat diesen sog. Ajnabi (Arabisch für "Ausländer") seit 1962 den Aufenthalt in Syrien gestattet. Für sie wurden und werden seither rot-orangene Karten als eigene Personaldokumente ausgestellt, und es gibt für sie ein Personenstandsregister, aus dem allerdings seit Anfang 2001 keine Auskünfte mehr erteilt werden. Reguläre Reisedokumente erhalten sie nicht. In Ausnahmefällen und unter Zahlung größerer Geldbeträge können sie ein Laisser-passer beantragen, welches auch zur Wiedereinreise berechtigt. Gesetzlichen Grundlagen fühlen sich die syrischen Behörden bei der Bewilligung oder Verweigerung eines Laisser-passer nicht verpflichtet. Beantragen staatenlose Kurden die Ausreise, verlieren sie unter Umständen die Duldung des Aufenthalts. Ganz überwiegend wird ihnen die Wiedereinreise nach Syrien verwehrt. Dies gilt erst recht, wenn sie Syrien ohne staatliche Genehmigung verlassen haben. Nur in Ausnahmefällen kann aufgrund persönlicher Beziehungen bzw. durch Korruption eine Wiedereinreise möglich sein.

Weiterhin kann nicht angenommen werden, dass der Kläger die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes erlangt hat oder eine solche unter zumutbaren Mitwirkungshandlungen erlangen kann.

Nach den weiteren Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes hatten sich zahlreiche Angehörige der Gruppe, der der Kläger und seine Eltern zugeordnet werden können, vor der Unabhängigkeit Syriens in einem der Nachbarstaaten (Türkei, Irak) aufgehalten. Es ist nicht auszuschließen, dass einige von ihnen die Staatsangehörigkeit einer dieser Staaten erlangt haben; in vielen Fällen wurde ihnen jedoch die Anerkennung der Staatsangehörigkeit während dieser Zeit von den genannten Staaten verweigert. Jedenfalls dürften die meisten von ihnen nie entsprechende Staatsangehörigkeitsdokumente erhalten haben. Der Nachweis einer dieser Staatsangehörigkeiten dürfte daher kaum möglich sein (so Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17.03.2006).

Bei dieser Sachlage kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass kein anderer Staat, insbesondere nicht die Türkei oder der Irak, den Kläger als Staatsangehörigen akzeptieren wird und mithin weitere Bemühungen zur Erlangung von Ausweispapieren solcher Drittstaaten von vornherein aussichtslos sind. Anders liegt der Fall nur, wenn aufgrund des Vortrages des Betroffenen oder sonstiger Umstände ausnahmsweise konkrete Anhaltspunkte für eine abweichende Betrachtung vorliegen (so auch VG Oldenburg, Urteil vom 20.11.2006, 11 A 2234/05, zitiert nach Juris).

Dies ist hier aber nicht der Fall.

Im vorliegenden Fall ist die Abschiebung des Klägers länger als 18 Monate ausgesetzt. Ein absolutes Erteilungsverbot nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist nicht einschlägig. Da auch ein atypischer Ausnahmefall nicht angenommen werden kann, hat der Kläger einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

2. Gemäß Art. 28 Satz 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.09.1954 (Gesetz vom 12.04.1976, BGBl. 11 473), in Kraft getreten am 24.01.1977 (Bek. vom 10.02.1977, BGBl. II 235), stellen die Vertragsstaaten den Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen außerhalb dieses Hoheitsgebietes gestatten, es sei denn, dass zwingende Gründe der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Staatenlos ist gemäß Art. 1 Abs. 1 StlÜbk eine Person, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörigen ansieht.

Vorliegend ergibt sich aus vorstehenden Ausführungen, dass der Kläger staatenlos im Sinne Art. 1 Abs. 1 StlÜbk ist. Er hält sich auch rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, einem Vertragsstaat, auf, wenn der Beklagte ihm zunächst - quasi eine juristische Sekunde vorher - in Erfüllung der dargelegten Rechtspflicht eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt. Da auch zwingende Gründe der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung ersichtlich nicht entgegenstehen, kann der Kläger die Ausstellung eines Reiseausweises vom Beklagten verlangen.