VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 06.09.2007 - 5 K 2889/06.A - asyl.net: M12098
https://www.asyl.net/rsdb/M12098
Leitsatz:
Schlagwörter: China, Tibet, Tibeter, Buddhisten, Demonstrationen, religiös motivierte Verfolgung, Oppositionelle, Verfolgungssicherheit, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Nachfluchtgründe, exilpolitische Betätigung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem Kläger in seinem Heimatland politische Verfolgung durch chinesische Sicherheitskräfte unmittelbar gedroht hat und er hierdurch zur Ausreise aus China veranlasst worden ist.

Namentlich hat der Kläger nachvollziehbar dargestellt, wie sich eine größere Gruppe von Tibetern an dem Kloster Sotsang versammelt hat, um einer Aufforderung des Dalai Lama nachzukommen, die Felle von getöteten Tieren zu verbrennen. Dass der Kläger bei der Vielzahl der dort anwesenden Personen und aufgrund seines Hervortretens durch das Halten einer kleineren Rede in das Visier der chinesischen Sicherheitsbehörden geraten ist, erscheint ohne weiteres nachvollziehbar.

Nach alledem kommt dem Kläger der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugute mit der Folge, dass ihm Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren ist, da eine erneute Verfolgung bei einer Rückkehr des Klägers nach China nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann. Die Volksrepublik China versteht sich als sozialistischer Staat mit alleinigem Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei (KP). Alles, was diesen Anspruch zu gefährden droht, wird von der Führung bekämpft. Personen, die in Opposition zur gegenwärtigen Regierung und herrschenden Ideologie stehen, setzen sich der Gefahr von Repressionen durch staatliche Stellen aus, wenn sie öffentlich Aktivitäten unternehmen, die sich aus Sicht der Regierung gegen sie, die KP, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas richten. Aus Sicht der chinesischen Regierung kommt es dabei vor allem auf die Gefährlichkeit oder Unbequemlichkeit der einzelnen Person für die Regierung bzw. die KP an. Dabei unterliegen politische und religiöse Aktivitäten in Tibet weiterhin einer strikten Kontrolle durch die Zentralregierung mit dem Ziel, den Einfluss des tibetischen Buddhismus zurückzudrängen und jegliche Form von tibetischen Autonomiebestrebungen zu unterdrücken. Die Flucht des Karmapa Lama im Dezember 1999 hat zu weiteren, schärferen Kontrollen von Mönchen und Nonnen geführt. Außerdem gibt es Berichte über die Anwendung von Folter in allen Haftanstalten Tibets (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China (Stand: Oktober 2006) vom 30. November 2006).

Diese Einschätzung wird auch von amnesty international (ai) geteilt, wonach die Gefahr, Opfer von Folter und Misshandlung zu werden, vor allem für Personen besteht, denen unterstellt wird, sich für die Unabhängigkeit Tibets einzusetzen und Kontakt mit der tibetischen Exilregierung aufgenommen zu haben (vgl. ai, Auskunft an das Verwaltungsgericht (VG) Bayreuth vom 4. März 1997).

Vor diesem Hintergrund ist nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in die Volksrepublik China erneut Verfolgung droht. Hiernach bedarf es auch keiner abschließenden Entscheidung, ob dem Kläger zusätzlich ein Nachfluchttatbestand zur Seite steht, aus dem ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung bei einer Rückkehr nach China droht (vgl. hierzu: BVerfG, Beschlüsse vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 174/80 u.a. - BVerfGE 54, 341 und vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502 u.a.; a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 931).

Für das Vorliegen eines solchen beachtlichen Nachfluchttatbestandes, der zur Bejahung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 1 AufenthG führen könnte, dürften die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers, die er durch eine Vielzahl von Fotografien, Mitgliedsbescheinigungen und Zeitungsausschnitten belegt hat, grundsätzlich geeignet sein. Nach der Auskunftslage können exilpolitische separatistische Aktivitäten von Angehörigen der Minderheitenvolksgruppen, die der chinesischen Regierung bekannt werden, mit der Gefahr verbünden sein, bei einer Rückkehr nach China politisch verfolgt zu werden (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China (Stand: Oktober 2006) vom 30. November 2006).

Indessen kann eine Verfolgungsgefahr bei Rückkehr nur dann eintreten, wenn der Kläger den chinesischen Behörden tatsächlich namentlich und damit als Person identifizierbar bekannt geworden ist. Hierfür indessen hat der Kläger konkrete Nachweise nicht beibringen können.