Psychische Erkrankungen jedenfalls bei mittellosen Patienten in Aserbaidschan nicht ausreichend behandelbar.
Psychische Erkrankungen jedenfalls bei mittellosen Patienten in Aserbaidschan nicht ausreichend behandelbar.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Klage ist zulässig und begründet.
Wiederaufnahmegrund nach § 51 Abs. 1 VwVfG ist das psychiatrische Gutachten von Refugio, Kontaktstelle für traumatisierte Flüchtlinge e.V., Villingen-Schwenningen, vom 26.08.2007. Dieses Gutachten stellt ein neues Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG dar und wurde von der Klägerin unverzüglich auch im vorliegenden Verfahren geltend gemacht, so dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG für eine Wiederaufnahme vorliegen.
Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Feststellung eine Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Bereits seit Jahren wird bei der Klägerin eine schwere psychische Erkrankungen diagnostiziert. Zwar dürfte es sich dabei nicht - jedenfalls nicht mehr - um eine posttraumatische Belastungsstörung handeln, wie dies zunächst von dem die Klägerin behandelnden Arzt ... diagnostiziert wurde. Bei ihr besteht aber jedenfalls eine gravierende psychische Erkrankung. Nach der überzeugend und nachvollziehbar begründeten ärztlichen Stellungnahme von ... leidet sie an einer "mittelgradigen länger anhaltenden depressiven Episode mit vorwiegend ängstlich-depressiver Symptomatik und einer narzisstischen Störung auf dem Boden multipler seelischer Belastungen, narzisstischer Verletzung und traumatischer Gewalterlebnisse im Krieg und im persönlichen Umfeld". Die Klägerin, die seit November 2006 regelmäßig zu therapeutischen Gesprächen komme, bedürfe mit Sicherheit weiterer psychotherapeutischer Behandlung. Eine medikamentöse Therapie könne unterstützend, aber nicht heilend wirken.
Das Gericht ist außerdem zur Überzeugung gelangt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands zu erwarten hätte. Zunächst ist den aktuellen Erkenntnismitteln zu entnehmen, dass eine erfolgversprechende Behandlung ihrer Krankheit in Aserbaidschan bereits allein aufgrund der - jedenfalls für Mittellose - schlechten Versorgungslage kaum möglich sein dürfte. Das Auswärtige Amt weist in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 07.05.2007 darauf hin, dass sich das Gesundheitssystem in einem schlechten Zustand befinde. Krankenhäuser befänden sich in erster Linie in Baku. Dies gelte ebenfalls für Spezialkliniken wie Kinderkrankenhäuser und psychiatrische Einrichtungen. Die gesundheitliche Versorgung außerhalb der größeren Städte beschränke sich in der Regel auf eine ambulante Versorgung. Es existiere kein funktionierendes staatliches Krankenversicherungssystem; eine kostenlose medizinische Versorgung bestehe nur noch formell. Mittellose Patienten würden minimal versorgt, dann aber nach einigen Tagen "auf eigenen Wunsch entlassen", wenn sie die Behandlungskosten nicht aufbringen könnten. Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bilde sich derzeit ein privater medizinischer Sektor heraus, der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Stand anbiete. Der größte Teil der Bevölkerung könne sich jedoch einen solche medizinische Versorgung nicht leisten. Die Probleme im Gesundheitssektor werden in einem Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 08.06.2006 noch dramatischer geschildert. Selbst wenn man trotzdem davon ausginge, dass die Klägerin - die bei einer Rückkehr auf sich allein gestellt wäre - auch im Hinblick auf ihre psychische Erkrankung ärztlich versorgt würde, spricht alles dafür, dass es sich allenfalls um eine "Grundversorgung", etwa mit Medikamenten handeln würde. Vor allem ist nach den überzeugenden Ausführungen in der ärztlichen Stellungnahme vom 26.08.2007 davon auszugehen, dass sich die gesundheitliche Situation der Klägerin bei einer Rückkehr Aserbaidschan ohnehin gravierend verschlechtern würde. Eine zwangsweise Rückkehr nach Aserbeidschan würde danach ihre Ängste und Befürchtungen, die sie zur Flucht gezwungen hätten, wieder "reaktualisieren". Damit kämen zu der jetzt schon erheblichen Vulnerabilität zusätzliche psychische Belastungen hinzu, die sie aus medizinisch-therapeutischer Sicht psychisch überfordern würden. Unter diesen und den anderen gegebenen Voraussetzungen könne eine erfolgreiche Behandlung im Herkunftsland kaum begonnen und durchgeführt werden. Bei ihren jetzigen psychischen Voraussetzungen und Vorschädigungen würde sie kaum in der Lage sein, ohne Fremdhilfe ihren Alltag zu bewältigen. Ihr psychisches Leiden würde sich verstärken, die alte mögliche traumatische Symptomatik würde wieder aktualisiert werden. Es bestünde die Gefahr eine schweren psychischen Krise. Eine solche Verschlechterung könne sie in eine Situation bringen, in der sie keinen Ausweg mehr sähe. Es wäre zu befürchten, dass dann die Suizidgedanken zunehmen und eine reale Gefahr für eine solche Handlung bestehen könnte. Selbst wenn dieses Szenario nicht eintreten würde, könnte sich der vorhandene psychische Prozess verselbstständigen und einer schwere irreversiblen Persönlichkeitsveränderung den Weg ebnen.
Vor diesem Hintergrund ist den Fragen, ob die Klägerin sich in Berg-Karabach mit Erfolg psychiatrisch behandeln lassen könnte (vgl. dazu aber Botschaft der BRD Eriwan an VG Düsseldorf vom 14.03.2007, wonach eine angemessene Behandlung nicht immer und bei suizidalen Tendenzen wegen nicht ausreichender Betreuung nicht möglich sei) - wovon im Asylerstverfahren ausgegangen worden ist - und ob ihr als aserbaidschanische Staatsangehörige, deren Vater ebenfalls aserbaidschanischer Staatsangehöriger war, eine Rückkehr dorthin überhaupt möglich (vgl. dazu Bayer. VGH, Beschluss vom 21.02.2007, AuAS 2007, 138, Urteil vom 20.02.2006 - 9 B 02.31748 - und nachfolgend BVerwG, Beschluss vom 22.03.2007 - 1 B 97/06 -, juris) und unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Erlebnisse zumutbar wäre, nicht weiter nachzugehen. Denn es leuchtet ein, dass eine Rückkehr nach Berg-Karabach in Anbetracht der der Klägerin dort widerfahrenen, für sie besonders traumatischen Kriegserlebnisse, wie sie in der ärztlichen Stellungnahme vom 26.08.2007 anschaulich und glaubhaft wiedergegeben werden, für diese subjektiv nicht in Betracht kommt und abgesehen davon aller Voraussicht nach erst recht zu einer gravierenden Verschlimmerung ihrer psychischen Krankheit führen würde.