OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 30.11.2007 - 22 W 53/07 - asyl.net: M12110
https://www.asyl.net/rsdb/M12110
Leitsatz:

Haben sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht einen Ausländer bei der Verhängung von Abschiebungshaft nicht ordnungsgemäß angehört, hat das Oberlandesgericht die Abschiebungshaft aufzuheben und darf die Sache nicht an das Landgericht zurückzuverweisen, da dadurch die rechtswidrige Abschiebungshaft fortgesetzt würde.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Strafhaft, Untersuchungshaft, Überhaft, Beschleunigungsgebot, Anhörung, Landgericht, Beschwerde, Oberlandesgericht, sofortige weitere Beschwerde, Zurückverweisung, Prozessbevollmächtigte, Verteidiger
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 4; FGG § 12; FreihEntzG § 5; GG Art. 103 Abs. 1; FreihEntzG § 7 Abs. 5
Auszüge:

Haben sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht einen Ausländer bei der Verhängung von Abschiebungshaft nicht ordnungsgemäß angehört, hat das Oberlandesgericht die Abschiebungshaft aufzuheben und darf die Sache nicht an das Landgericht zurückzuverweisen, da dadurch die rechtswidrige Abschiebungshaft fortgesetzt würde.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Haftbefehls und zur Verpflichtung des Beteiligten, die Haft zumindest auf der Grundlage der angefochtenen Entscheidungen nicht fortdauern zu lassen.

2. Das Landgericht ist indes hinsichtlich der weiteren Haftvoraussetzungen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 12 FGG nicht hinreichend nachgekommen. Zwar geht die sofortige Beschwerde fehl in der Annahme, dass eine Überhaftanordnung im Abschiebungshaftverfahren unzulässig sei. Mit weiterer oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung geht auch der Senat von der rechtlichen Zulässigkeit und dem Bedürfnis von Abschiebungsüberhaft grundsätzlich aus (vgl. Beschluss vom 27. Mai 2005, 22 W 21/05; OLG Düsseldorf, FGPrax 2001, 130; OLG Köln JMBl NW 2007,236; OLG Köln vom 24. Mai 2002, 16 Wx 91/02, BeckRS 2002 30261525). Allerdings beginnt die Frist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht erst mit dem Vollzug der Abschiebungshaft, sondern mit der Anordnung selbst. Denn die Sicherungshaft darf nicht dazu dienen, es der Ausländerbehörde zu ermöglichen, den Ausgang eines längeren Ermittlungs- oder Strafverfahrens abzuwarten (OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.). Danach bestanden hier Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung nicht innerhalb von drei Monaten nach Erlass des Haftbefehls am 18. September 2007 erfolgen konnte.

3. Die getroffenen Feststellungen reichen auch nicht aus, um die Einhaltung des Beschleunigungsgebots durch den Senat nachprüfbar werden zu lassen. Spätestens mit der Übergabe des Betroffenen an die deutschen Behörden am 30. März 2006 war der Beteiligte gehalten, die Abschiebung des Betroffenen voran zu treiben. Zu diesen Maßnahmen ist die Ausländerbehörde auch während bestehender Strafhaft verpflichtet, um möglichst ohne Anordnung von Abschiebungshaft die Abschiebung durchzuführen (vgl. BayObLGZ 2000, 203; Senat vom 20. Januar 2005, 22 W 3/05; Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG Rn. 24 m.w.N.; vgl. auch § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG). Welche Maßnahmen der Beteiligte in der Zeit vom 30. März 2006 bis zum 9. Februar 2007 ergriffen hat, ist den Gründen des angefochtenen Beschlusses indes nicht zu entnehmen.

4. Die bis hierher aufgezeigten Rechtsfehler allein hätten zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückweisung der Sache an die Kammer zu neuer Entscheidung über die sofortige Beschwerde geführt. Indes beinhaltet das bisherige gerichtliche Verfahren einen solch gravierenden Rechtsverstoß, der nur durch sofortige Beendigung der Abschiebungshaft beseitigt werden konnte. Denn zu Recht rügt der Betroffene, dass bislang eine Anhörung im Sinne des § 5 FreihEntzG in rechtsstaatlicher Weise nicht stattgefunden hat. Weder das Amtsgericht noch die Kammer haben dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch des Betroffenen aus Art. 103 Abs. 1 GG Genüge getan. Das Amtsgericht hat zwar dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben, sich am 18. September 2007 mündlich zu der beabsichtigten Haftanordnung zu äußern. In dieser hat der Betroffene allerdings deutlich gemacht, ohne seinen Verteidiger, der ihn in einer anhängigen Strafsache unterstützt hat, nichts aussagen zu wollen. Eine Information seines Verteidigers ist ausgeblieben und war dem Betroffenen wegen des kurzfristig angesetzten Termins auch nicht möglich. Trotz Kenntnis dieser Umstände hat das Amtsgericht daraufhin am 18. September 2007 einen Sicherungshaftbefehl erlassen, ohne dem Betroffenen die Möglichkeit zu gewähren, in Anwesenheit seines Verteidigers mündlich Stellung zu nehmen. Dies steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des ehemals für Abschiebungssachen hier zuständigen Senats, der sich auch der 22. Zivilsenat anschließt (vgl. OLG Celle, InfAuslR 1999, 462; Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., § 5 FreihEntzG Rn. 5). Auch die Kammer hat von der Anhörung unter Hinweis auf die Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts abgesehen. Die Pflicht zur mündlichen Anhörung gilt indes auch im Beschwerdeverfahren, es sei denn, es sind gegenüber der Anhörung durch das Amtsgericht offensichtlich keine neuen Erkenntnisse für die Sachaufklärung zu erwarten (vgl. Marschner/Volckart, § 5 FreihEntzG Rn. 4). Da die Anhörung durch das Amtsgericht jedoch nicht in rechtsstaatlicher Weise erfolgt ist, konnte die Kammer von der eigens durchzuführenden Anhörung auch nicht absehen.

Eine Zurückweisung der Sache an die Kammer kam bei dieser Konstellation nicht in Betracht. Die mündliche Anhörung des Betroffenen stellt einen elementaren Rechtssatz dar, dessen Nichtbeachtung selbst bei Nachholung für die Vergangenheit keine Heilung ermöglicht (vgl. OLG Celle vom 26. Juli 2007, 22 W 32/07). Die Zurückweisung hätte also zur Folge, dass sich ein rechtswidriger Zustand weiter perpetuiert und erst mit nachgeholter Anhörung durch die Kammer nur für die Zukunft die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung erreicht werden könnte. Auf den Zeitpunkt der Anhörung hat der Senat indes keinen Einfluss, weshalb er sich bei Aufrechterhaltung der Haftanordnung an der Verfestigung des rechtswidrigen Zustandes beteiligen würde. Die Möglichkeit der Anhörung nach § 7 Abs. 5 FreihEntzG schafft insoweit keine Abhilfe, weil die mündliche Anhörung in einem auf die Rechtskontrolle beschränkten Verfahren nicht die gleichen Wirkungen entfalten kann wie in der Tatsacheninstanz, bei der auch die zu treffenden Feststellungen von dem Ergebnis der mündlichen Anhörung beeinflusst werden können.