OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 10.12.2007 - 2 LA 441/07 - asyl.net: M12117
https://www.asyl.net/rsdb/M12117
Leitsatz:

1. Unter Staatenlosen i. S. d. Art. 1 Abs. 1 StlÜbk sind nur die de jure-Staatenlosen, nicht aber die lediglich de facto-Staatenlosen zu verstehen.

2. Zur Frage der Mitwirkungsobliegenheiten eines Kurden aus Syrien mit de jure türkischer Staatsangehörigkeit.

 

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Staatenlose, Staatenlosenübereinkommen, Reiseausweis, Beweislast, Türkei, Staatsangehörigkeit, Mitwirkungspflichten, Berufungszulassungsantrag, ernstliche Zweifel
Normen: StlÜbk Art. 28 S. 1; StlÜbk Art. 1 Abs. 1; VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

1. Unter Staatenlosen i. S. d. Art. 1 Abs. 1 StlÜbk sind nur die de jure-Staatenlosen, nicht aber die lediglich de facto-Staatenlosen zu verstehen.

2. Zur Frage der Mitwirkungsobliegenheiten eines Kurden aus Syrien mit de jure türkischer Staatsangehörigkeit.

(Amtliche Leitsätze)

 

Der Antrag des Klägers, eines im Jahre 1986 in Syrien geborenen Kurden, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. März 2007 zuzulassen, mit dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger einen Reiseausweis für Staatenlose gemäß Art. 28 StlÜbk zu erteilen, bleibt ohne Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO liegen dann vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels (mindestens) ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.8.2005 - 2 LA 1286/04 -, NVwZ-RR 2006, 43; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Februar 2007, § 124 Rdnrn. 26 a und b m. w. N.; Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, § 124 Rdnr. 7). Hierbei reicht es aus, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NdsVBl. 2000, 244, 245 = NVwZ 2000, 1163).

Rechtsgrundlage für die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose ist Art. 28 StlÜbK. Bei beiden genannten Alternativen ist aber Voraussetzung, dass der Antragsteller Staatenloser ist. Nach der Legaldefinition des Art. 1 Abs. 1 StlÜbk ist eine Person staatenlos, die kein Staat auf Grund seines Rechts als Staatsangehörigen ansieht. Hierunter sind nur die so genannten de jure-Staatenlosen, nicht aber die lediglich de facto-Staatenlosen zu verstehen (BVerwG, Urt. v. 16.10.1990 - 1 C 15.88 -, BVerwGE 87, 11 = NVwZ 1991, 787; OVG Berlin, Urt. v. 5.12.1989 - 4 B 110.86 -, InfAuslR 1990, 76, jeweils m. w. N.; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, 5. Teil Rdnr. 59). Zu der ersten Kategorie gehören Personen, die nach den rechtlichen Regelungen der in Betracht kommenden Staaten keine Staatsangehörigkeit besitzen, während de facto staatenlos solche Personen sind, die zwar formell noch eine Staatsangehörigkeit haben, deren Heimatstaat aber nicht bereit oder nicht in der Lage ist, ihnen die Rechte eines Staatsangehörigen zuzugestehen, insbesondere sie diplomatisch zu schützen. Der Nachweis der negativen Tatsache der de jure-Staatenlosigkeit obliegt grundsätzlich dem Betroffenen. Er muss die von ihm behauptete Staatenlosigkeit darlegen und beweisen. Hinreichend nachgewiesen ist die Staatenlosigkeit, wenn kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass die Staaten, als deren Angehöriger der Betroffene überhaupt in Betracht kommt, ihn nicht als Staatsangehörigen ansehen. An diesen Nachweis dürfen aber aufgrund der mitunter gegebenen Beweisnot des Betroffenen keine überspannten Anforderungen gestellt werden.

An diesen Grundsätzen gemessen kann zurzeit nicht von der de jure-Staatenlosigkeit des Klägers ausgegangen werden. Der Kläger ist den Nachweis seiner Staatenlosigkeit letztlich schuldig geblieben. Vielmehr spricht Überwiegendes dafür, dass er de jure türkischer Staatsangehöriger ist. Sein Großvater väterlicherseits und sein Vater sind unstreitig türkische Staatsangehörige. Demgemäß sind sie und auch die Geschwister des Vaters des Klägers unstreitig im Personenstandsregister der Türkischen Republik eingetragen. Es ist nicht ersichtlich, dass sein Vater seine türkische Staatsangehörigkeit vor der Geburt des Klägers im Jahre 1986 oder später verloren hat.

Auf einen "Anspruch auf Verleihung der türkischen Staatsangehörigkeit" kommt es dabei nicht an. Vielmehr geht es in diesem Zusammenhang um die Mitwirkungsobliegenheit des Klägers und insbesondere um die Frage, wie er sein bestehendes Statusrecht gegenüber den türkischen Behörden durchsetzen kann.

Dieser Weg ist weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich. Auf die von dem Kläger angeführten Schwierigkeiten und Strafandrohungen, denen sein Vater bei einer Reise in die Türkei ausgesetzt wäre, kommt es daher nicht entscheidungserheblich an. Dass sein Vater sich unabhängig von diesen Gründen grundsätzlich - etwa "aus Prinzip" - weigert, die erforderlichen Schritte zu unternehmen, ist zum einen nicht vorgetragen und wäre zum anderen auch deshalb unerheblich, weil eine derartige grundlose Weigerung seines Vaters in den Verantwortungsbereich des Klägers fiele und dieser sich diese Weigerung im Rahmen seiner Mitwirkungsobliegenheit zurechnen lassen müsste.

Ohne Erfolg weist der Kläger in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juli 1996 - 1 C 30.93 - (BVerwGE 101, 295 = NVwZ 1998, 180) hin. Denn anders als in dem von dem Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall geht es vorliegend um die Frage, ob der Kläger de jure staatenlos ist und nicht um die von dem Bundesverwaltungsgericht unter anderem erörterten Fragen, ob es auf die Art des Entstehens des Status der Staatenlosigkeit ankommt und ob den Staatenlosen eine Obliegenheit trifft, seine Staatenlosigkeit in zumutbarer Weise zu beseitigen. Auch in Ansehung dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bestehen mithin an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgericht keine ernstlichen Zweifel.