OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 06.11.2007 - 8 LA 67/07 - asyl.net: M12118
https://www.asyl.net/rsdb/M12118
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Widerruf, Niederlassungserlaubnis, Konventionsflüchtlinge, Ermessen, Integration, Lebensunterhalt, Straftaten, UN-Kinderrechtskonvention, Vorbehaltserklärung, Europäische Menschenrechtskonvention, Privatleben, Sprachkenntnisse, in Deutschland geborene Kinder, Situation bei Rückkehr
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; AufenthG § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; UN-Kinderkonvention Art. 3 Abs. 1; EMRK Art. 8
Auszüge:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil aus den von den Klägern dargelegten Gründen keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen.

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil ausgeführt, dass die Beklagte das ihr nach dem bestandskräftigen Widerruf der Asylanerkennungen der Kläger gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG eröffnete Ermessen, auch die den Klägern aufgrund ihrer vormaligen Asylanerkennung erteilten Niederlassungserlaubnisse zu widerrufen, ordnungsgemäß ausgeübt habe.

Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass den Klägern in wirtschaftlicher Hinsicht eine Integration nicht gelungen ist. Die klägerische Familie ist deshalb seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 1992 durchgängig zumindest auf ergänzende öffentliche Mittel zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts angewiesen gewesen.

Der Senat hat in seinem bereits zuvor angeführten Urteil vom 12. September 2007 weiterhin ausgeführt, dass das in § 52 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eingeräumte Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt wird, wenn aufgrund zahlreicher im Bundesgebiet begangener Straftaten von einer ersichtlich fehlgeschlagenen Integration des Betroffenen in die gesellschaftlichen Verhältnisse ausgegangen wird. Dies gilt auch im vorliegenden Fall.

Entgegen der Annahme der Kläger sind auch keine Ermessensfehler hinsichtlich der in den Jahren 1994, 1995 und 1997 jeweils im Bundesgebiet geborenen Kläger zu 2) bis 5) gegeben. Die Beklagte hat erkannt, dass diese Kläger im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen sind und zur Schule gehen. Sie hat dies "im Rahmen der Integration in deutsche Lebensverhältnisse positiv" bewertet. Nachvollziehbar hat sie ergänzend festgestellt, dass sich der Integrationsprozess der Kläger zu 2) bis 5) noch im Anfangsstadium befindet, da Kinder in diesem Alter noch stark durch ihre Eltern beeinflusst werden. Weiterhin ist nicht zu bemängeln, dass eine zweisprachige, also zumindest auch muttersprachliche Erziehung der Kinder in Rechnung gestellt worden ist. Das Verwaltungsgericht ist bei dieser Sachlage unter Bezugnahme auf die Senatsrechtsprechung (vgl. Beschl. v. 1.9.2006 - 8 LA 101/06 -) zutreffend davon ausgegangen, dass den Klägern zu 2) bis 5) mit Unterstützung ihrer Eltern, die mit den Lebensverhältnissen in ihrem Heimatland vertraut sind, trotz der sicherlich zu erwartenden Eingewöhnungsschwierigkeiten eine Integration in die dortigen Lebensverhältnisse noch zugemutet werden kann.

Diese Ermessensentscheidung verstößt nicht gegen den von den Klägern angeführten Artikel 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 5. Dezember 1989 (BGBl. 1992 II S. 121, 990) - "Übereinkommen". Das vorgenannte Übereinkommen enthält nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. zuletzt Beschl. des OVG Münster v. 22.8.2006 - 18 B 1209/06, 18 E 717/06 -, InfAuslR 2006, 495, m. w. N.; Nds. OVG, Beschl. v. 6.9.2000 - 11 M 2715/00 -, juris) aufgrund der Erklärungen, die von der Bundesrepublik Deutschland bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde abgegeben worden sind, nur zwischenstaatliche Verpflichtungen und begründet schon deshalb keine (ausländerrechtlichen) Individualrechte (vgl. ergänzend GK-AufenthG, vor §§ 53 ff., Rn. 923; BT-Drucks. 15/1819, S. 3, jeweils m.w.N.). Eine andere Beurteilung ergibt sich für die Anwendung des Ausländerrechts im Übrigen selbst dann nicht, wenn man - wie die Kläger geltend machen - die von der Bundesregierung bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde im Jahr 1992 abgegebene Erklärung für unwirksam hält. Die entsprechende Erklärung hat nämlich jedenfalls im hier maßgeblichen Zusammenhang nur klarstellende, nicht aber konstitutive Bedeutung (vgl. nochmals BT-Drucks. 15/1819, S. 2, sowie ergänzend BT-Drucks. 16/6076, S. 3 ff.). Insbesondere kann aus dem von den Klägern für sich in Anspruch genommenen Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens kein ausländerrechtliches Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet abgeleitet werden. Dies ergibt sich bereits aus der Systematik des Übereinkommens selbst. Wenn der in Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens enthaltene Grundsatz, dass das Wohl des Kindes bei allen das Kind betreffenden Maßnahmen ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist, auch bei einer Entscheidung über das Aufenthaltrecht dieses Kindes in einen fremden Staat Entscheidungsmaßstab wäre, dann stünde dieser Grundsatz im Widerspruch zu den spezielleren Regelungen über die Trennung von Kindern von ihren Eltern unter anderem im Falle der Abschiebung gemäß Art. 9 Abs. 4, über die Familienzusammenführung gemäß Art. 10 und über Rechte von Kindern als Flüchtlinge nach Art. 22 des Übereinkommens. Schließlich besteht insoweit auch kein Widerspruch zu der von den Klägern für ihre Auffassung vorgelegten Stellungnahme von Prof. C. Denn auch darin wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die von der Bundesregierung bei der Hinterlegung der Ratifikation abgegebene Erklärung insoweit, als sie sich lediglich auf Fragen der Einreise und des Aufenthalts bezieht, unbedenklich ist; ausländische Kinder haben insoweit unbezweifelbar einen anderen Rechtsstatus als deutsche Kinder.

Der Widerruf der Niederlassungserlaubnisse steht schließlich auch im Einklang mit dem gemäß Art. 8 EMRK geschützten Privatleben der Kläger.

Danach ist dem Kläger zu 1) aus den bereits zuvor dargelegten Gründen eine Integration in die hiesigen Verhältnisse bis heute nicht gelungen. Für die Kläger zu 2) bis 5) hat das Verwaltungsgericht die Vereinbarkeit des angegriffenen Widerrufs mit Art. 8 EMRK im Ergebnis ebenfalls zu Recht bejaht. Für die Integration von in Deutschland geborenen Kindern im Alter der Kläger zu 2) bis 4) kommt es im Wesentlichen auf ihre schulische Entwicklung sowie darauf an, ob sie im Übrigen über das Elternhaus noch dem Kulturkreis der Eltern verbunden sind oder sich von diesem losgelöst und vollständig an die hiesigen Lebensverhältnisse angepasst haben. Eine solche, gleichsam unumkehrbare Integration der Kläger zu 2) bis 5) kann nicht festgestellt werden.

Zusammen genommen ergibt sich aus der vorbezeichneten Entwicklung der Kläger zu 2) bis 5) für keinen von ihnen eine gleichsam unumkehrbare Integration in die hiesigen Verhältnisse. Dafür fehlt es schon an den jeweils altersbedingt zu erwartenden Kenntnissen der deutschen Sprache. Dass die aufgezeigten Defizite allein anlagebedingt sind und deshalb unberücksichtigt zu bleiben hätten, ergibt sich aus den Zeugnissen nicht und wird von den Klägern auch selbst nicht geltend gemacht.