VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 07.11.2007 - 11 A 147/06 - asyl.net: M12122
https://www.asyl.net/rsdb/M12122
Leitsatz:

Einfache Kenntnisse der deutschen Sprache sind auch dann für den Ehegattennachzug erforderlich, wenn der Antrag bereits vor dem 28.8.2007 gestellt worden ist.

 

Schlagwörter: D (A), Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Sprachkenntnisse, Altfälle, Rückwirkung, Verfassungsmäßigkeit, Vertrauensschutz, Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Schutz von Ehe und Familie
Normen: AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 25 Abs. 5; GG Art. 6; EMRK Art. 8
Auszüge:

Einfache Kenntnisse der deutschen Sprache sind auch dann für den Ehegattennachzug erforderlich, wenn der Antrag bereits vor dem 28.8.2007 gestellt worden ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen steht jedenfalls § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in der seit dem 28. August 2007 auf Grund des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) geltenden Fassung entgegen.

Die in der mündlichen Verhandlung gegen die Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geltend gemachten verfassungsrechtlichen Einwände greifen nicht durch. Insbesondere verstößt es nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes, dass die Vorschrift ohne Übergangsregelung auch bei bereits vor ihrem Inkrafttreten begonnenen Verfahren zur Anwendung kommt.

Hierdurch wird nicht in bereits abgeschlossene Tatbestände eingegriffen, so dass ein Fall der grds. mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbaren sog. echten Rückwirkung nicht vorliegt. Vielmehr kommt § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erst seit Inkrafttreten des oben genannten Änderungsgesetzes zur Anwendung. Ein solche sog. unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich zulässig, sofern eine Abwägung der mit der Vorschrift verfolgten öffentlichen Interessen mit dem enttäuschten Vertrauen des Betroffenen ergibt, dass das Wohl der Allgemeinheit überwiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 24.06 - NVwZ 2007, 1201 <1204>).

Mit dem Erfordernis einfacher Sprachkenntnisse soll dem Ehegatten eines in Deutschland lebenden Ausländers u.a. die Integration in das Bundesgebiet erleichtert werden. Ihm wird hierdurch die Teilnahme am hiesigen Sozialleben eröffnet (vgl. BR-Drs. 224/07, S. 298 f.). Mithin wird das zentrale gesetzgeberische (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) und auch gesellschaftlich als dringend anerkannte Anliegen gefördert, die in Deutschland ansässigen Ausländern an die hiesigen Lebensverhältnisse heranzuführen. Damit kann der nicht mehr akzeptablen Bildung von abgeschotteten sog. Parallelgesellschaften erheblich entgegengewirkt werden.

Der Fall des Klägers beleuchtet den gegenwärtigen unbefriedigenden Zustand der Ausländerintegration plastisch. Er ist auch 3 ½ Jahre nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage, sich in deutscher Sprache verständlich zu machen, und damit vom hiesigen gesellschaftlichen Leben praktisch ausgeschlossen.

Der Kläger hat im Hinblick auf seine Eheschließung auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

Rechtlich unmöglich kann eine Ausreise etwa dann sein, wenn sich dies aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 GG oder Völkervertragsrecht (hier: Art. 8 EMRK) ergibt (vgl. grds. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 - InfAuslR 2007, 4 <6>). Hierbei ist eine Abwägung zwischen diesen Belangen und den für eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Gesichtspunkten vorzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 - 1 C 9.95 - BVerwGE 105, 35 <43 f.>; OVG Lüneburg, Urteil vom 29. November 2005 - 10 LB 84/05 - juris <Rn. 40>).

Hier ist ein Überwiegen des Interesses des Klägers und seiner Ehefrau an einem Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland nicht festzustellen. Es ist davon auszugehen, dass es ihnen als abgelehnten Asylbewerbern zumutbar ist, die Ehe auch im Heimatland zu führen. Es bestehen auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass hinsichtlich der Ehefrau des Klägers wegen ihrer Erkrankungen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht, für deren Beurteilung die Beklagte allerdings hier gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AsylVfG zuständig ist.