OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.11.2007 - 18 E 124/07 - asyl.net: M12155
https://www.asyl.net/rsdb/M12155
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Beurteilungszeitpunkt, Entscheidungszeitpunkt, Aufenthaltserlaubnis, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Umzug, Fortführung des Verfahrens, Zustimmung, Zweckmäßigkeit, Ermessen
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; OBG § 4 Abs. 1; VwVfG § 3 Abs. 3; AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.

Das gilt zunächst, wenn man mit der wohl überwiegenden Auffassung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Entscheidung über das Gegebensein hinreichender Erfolgsaussichten als Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe denjenigen der Entscheidungsreife zugrundelegt, also den Zeitpunkt, an dem alle Erfordernisse für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch erstmals gegeben waren und das Gericht darüber hätte entscheiden können (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. Juli 2007 - 19 E 517/07 -, vom 14. März 2003 - 16 E 151/03 und vom 29. Januar 2003 - 16 E 784/00 -; BayVGH, Beschlüsse vom 18. Juni 2007 - 19 C 06.3043 und vom 18. Juli 2006 - 24 C 06. 1531 -, jeweils juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 10. September 2003 - 4 So 81/03 -, FamRZ 2005, 464; OVG Bremen, Beschluss vom 14. Februar 2002 - 1 S 469/01 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 18. Januar 2001 - 5 BS 272/00 -, DVBl. 2001, 1228; Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2007, § 166 Rn. 14a; Neumann in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflage 2006, § 166 Rn. 77, alle mit weiteren Nachweisen; offengelassen vom BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 NVwZ 2006, 1156 (1157)).

Für die Zugrundelegung dieses Zeitpunktes könnte ausgehend von der verfassungsrechtlich verankerten Funktion der Prozesskostenhilfe sprechen, dass der unbemittelte Kläger alsbald Gewissheit darüber haben soll, ob ihm die für seine beabsichtigte Rechtsverfolgung erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden oder nicht, und ihm aus einer verzögerten Behandlung seines Gesuchs durch das Gericht kein Nachteil erwachsen soll.

Zu gleichen Ergebnissen dürften die Vertreter der Auffassung gelangen, die statt dessen für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung grundsätzlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und nur bei verzögerter gerichtlicher Entscheidung auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife abstellen (so BFH, Beschluss vom 17. Januar 2006 - VIII S 6/05 (PKH), juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 4. Februar 2005 - 1 O 388/04 -, NVwZRR 2006, 509).

Allerdings kann es für die Annahme der Entscheidungsreife im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht ausreichen, dass lediglich Klageschrift bzw. Prozesskostenhilfegesuch nebst Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beteiligten vorliegen (so wohl BFH, Beschluss vom 27. Juni 2005 - VII S 11/05 (PKH) -, juris).

Allein aufgrund des Vorbringens des Klägers lässt sich die Frage der Erfolgsaussichten seines Begehrens nicht beurteilen. So bestimmt bereits § 118 Abs. 1 ZPO, dass vor der Bewilligung der Prozesskostenhilfe regelmäßig dem Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Gesuch zugeben ist. Im verwaltungsgerichtlichen, vom Amtsermittlungsgrundsatz bestimmten Verfahren wird ferner nach dem Grundsatz ’audiatur et altera pars’ für die Frage, ob der Antrag entscheidungsreif ist, mindestens zu berücksichtigen sein, ob der Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 4. Februar 2005 - 1 O 388/04 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 10. September 2003 - 4 So 81/03 -; OVG Bremen, Beschluss vom 14. Februar 2002 - 1 S 469/01 -, jeweils a.a.O.).

Ausgehend hiervon war vorliegend in dem Zeitpunkt, in dem das Prozesskostenhilfegesuch entscheidungsreif war, die Klage unbegründet, weil durch den Umzug des Klägers die Zuständigkeit des Beklagten weggefallen war.

Grundsätzlich hat derWegzug des Klägers aus dem örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten bei einer Verpflichtungsklage zur Folge, dass Letzterer mangels fortbestehender Passivlegitimation zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts nicht mehr verpflichtet werden kann, sich ihm gegenüber das Verpflichtungsbegehren also erledigt hat und der Kläger deshalb allenfalls zur Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Abs. 4 VwGO oder zur isolierten Anfechtungsklage übergehen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 31. März 1987 - 1 C 32.84 -, NJW 1987, 2179 und vom 10. Dezember 1996 - 1 C 19.94 -, Buchholz 402.240 § 5 AuslG 1990 Nr. 1; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Auflage 2005, § 3 Rn. 53).

Eine derartige Klageänderung hat der Kläger hier nicht vorgenommen.

Unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 3 Abs. 3 VwVfG NRW ergibt sich nichts anderes.

Die Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens gemäß § 3 Abs. 3 VwVfG NRW liegt, wie die Wendung "kann" deutlich macht, bei Vorliegen der gesetzlich normierten Voraussetzungen im Ermessen der bisher zuständigen Behörde. Dabei wird die Entscheidung über die Fortführung eines Verwaltungsverfahrens als behördliche Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO angesehen, die keinen eigenen sachlichen Regelungsgehalt hat, sondern lediglich eine zu treffende Sachentscheidung vorbereitet, so dass ihr Verwaltungsaktscharakter nicht zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1985 - 8 C 25.84 -, BVerwGE 70, 63 (72); Ziekow, a.a.O., § 3 Rn. 29).

Der Beklagte als bis Anfang Juni 2005 zuständige Behörde hat es abgelehnt, das Verfahren fortzuführen. Er ist zur Fortführung auch nicht verpflichtet. Es bedurfte schon keiner Ermessensentscheidung des Beklagten, die nur im Fall der Erfüllung der in § 3 Abs. 3 VwVfG NRW genannten Voraussetzungen zu treffen ist (vgl. Kopp/Ramsauer, a. a.O., § 3 Rdn. 50; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Auflage 2001 § 3 Rdn. 37).

Daran fehlt es hier.

Die Zustimmung der an sich nunmehr zuständigen Behörde liegt bereits nicht vor. Es bedarf hier keiner Erörterung, ob diese Zustimmung im Aufsichts- oder Gerichtsweg ersetzt werden kann (vgl. dazu Kopp/Ramsauer a.a.O Rdn. 51; Stelkens/Bonk/Sachs a.a.O. Rdn. 38), denn es fehlt an der weiteren für die Eröffnung einer Ermessenentscheidung erforderlichen Voraussetzung. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass die Fortführung des Verfahrens durch den Beklagten unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient.

Allerdings macht der Kläger – zu Recht – geltend, dass sich die insoweit zu treffende Interessenabwägung außer an den Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie, Ortsnähe und möglichen Beschleunigung des Verfahrens vor allem an den schutzwürdigen Interessen der Beteiligten auszurichten hat – vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 3 Rn. 50 mit weiteren Nachweisen; Ziekow, a.a.O., § 3 Rn. 29; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 3 Rn. 35, 37) und das Erteilungsverfahren mittlerweile bereits seit Mai 2003 dauert. Auf der anderen Seite sprachen und sprechen jedoch überwiegende vernünftige Erwägungen dafür, eine Fortführung des Verfahrens durch den Beklagten abzulehnen, soweit sich die Klage weiterhin auf die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis richtet. So ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt. Für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch, der ebenfalls im Ermessen steht, ist auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Gegen die Fortführung des Verfahrens durch die nicht mehr zuständige Ausländerbehörde sprach (und spricht) mithin, dass es erforderlich war (und ist), die maßgeblichen Umstände im Blick zu behalten, und zum Zeitpunkt Juni 2005 anzunehmen war, dass das gerichtliche Verfahren noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Dies ist durch die nun aktenführende und sachnähere Behörde besser gewährleistet.