OLG Brandenburg

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Zitieren als:
OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.11.2007 - 11 Wx 55/07 - asyl.net: M12158
https://www.asyl.net/rsdb/M12158
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Verlängerung, Begründung, Begründungsmangel, Vertretenmüssen, Abschiebungshindernis, Passlosigkeit, Passersatzbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Sachaufklärungspflicht
Normen: FGG § 25; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 4; FGG § 12
Auszüge:

In der Sache hat die sofortige weitere Beschwerde keinen Erfolg.

Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Betroffenen:

Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts, bei der Gründe überhaupt oder zu den für die Entscheidung wesentlichen Punkten vollständig fehlen, beruht auf einer Verletzung des Gesetzes und unterliegt der Aufhebung nach § 27 Abs. 1 S. 2 FGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO; es muss in diesem Fall grundsätzlich eine Zurückverweisung erfolgen (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler Sternal, FGG, 15. Aufl., § 25 Rn. 30; § 27 Rn. 40).

Bei der gebotenen Gesamtwürdigung kann der Senat vorliegend jedoch keinen Verstoß gegen den von § 25 FGG normierten Begründungszwang feststellen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist im Ergebnis nicht von zwei selbständigen Beschlüssen auszugehen. Vielmehr handelt es sich um einen einheitlichen Beschluss, dessen Tenor zunächst vorab von den beteiligten Richtern unterzeichnet wurde. Dabei bedarf es keiner Klärung durch den Senat, weshalb diese Verfahrensweise im Fall einer nicht erfolgreichen sofortigen Beschwerde von der Kammer gewählt wurde.

Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch im Übrigen als rechtsfehlerfrei.

Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Haftgrund des § 62 Abs. 2 S.1 Nr. 1, Nr. 5 AufenthG bejaht.

Ferner erweist sich die Annahme des Landgerichts, dass § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG der Haftverlängerung nicht entgegenstehe, da der Betroffene die Verzögerung seiner Abschiebung zu vertreten habe und sich vorausschauend nicht feststellen lasse, dass die Abschiebung innerhalb des gesamten Haftzeitraums nicht möglich sein werde, als frei von Rechtsfehlern.

Im Sinne des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG hat der Betroffene alle Umstände zu vertreten, die von ihm zurechenbar veranlasst sind und dazu geführt haben, dass ein Abschiebehindernis eingetreten ist. Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 11.07.1996, Az.: V ZB 14/96, NJW 1996, 2796) zu der gleichlautenden Vorgängerregelung in § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG muss bei der Anwendung der Vorschrift deren Zweck Rechnung getragen werden, dass im Regelfall die Dauer von drei Monaten Haft nicht überschritten werden soll und eine Haftdauer von sechs Monaten nicht ohne weiteres als verhältnismäßig angesehen werden darf. Daraus ist zu folgern, dass auch die Verlängerung einer Haftanordnung über drei Monate des insgesamt angeordneten Haftzeitraumes hinaus unzulässig ist, wenn die Abschiebung während der ersten drei Monate aus Gründen unterblieben ist, die von dem Ausländer nicht zu vertreten sind. Dementsprechend darf die Haft für einen Zeitraum von insgesamt sechs Monaten nur verlängert werden, wenn die Verzögerung der Abschiebung von dem Betroffenen im Sinne des § 62 Abs.2 S. 4 AufenthG zu vertreten ist. Es handelt sich um eine Frage der Zurechnung, die nicht generell-abstrakt beantwortet werden kann, sondern unter Würdigung der gesamten Umstände zu entscheiden ist (BGH NJW a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2007, Az.: 15 W 22/06).

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob bereits der Umstand allein, dass der Betroffene sich ohne Nationalpass im Bundesgebiet aufgehalten hat, als Zurechnungsgrund in diesem Sinne ausreicht (so OLG Hamm, Beschluss vom 25.11.1996, Az.: 15W465/96). Teilweise wird insoweit bezogen auf die Verhältnisse abgelehnter Asylbewerber die Auffassung vertreten, nur wenn festgestellt werden könne, dass der Betroffene seinen vorhandenen Nationalpass bei seiner Einreise schuldhaft (etwa an einen Schlepper) weggegeben habe, liege ein zurechenbares Verhalten vor (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.11.2003, Az.: I3 Wx 275/03; OLG Köln, Beschl. v. 13.10.2004, Az.: 16 Wx 194/04). Auch nach dieser einschränkenden Auffassung hat der Betroffene die Verzögerung infolge der Notwendigkeit der Passersatzbeschaffung jedoch zu vertreten, da er, wie das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, eben dies nach seinen eigenen Angaben getan hat.

Das Vertretenmüssen im Sinne des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG erstreckt sich auf die Verzögerung der Abschiebung, die dadurch entsteht, dass die Behörden des Heimatstaates des Betroffenen um die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen. In den dem Betroffenen zuzurechnenden und von ihm daher hinzunehmenden Zeitraum fällt deshalb in den Grenzen der gesetzlichen Vorschrift auch das Prüfungsverfahren, das die Heimatbehörden des Betroffenen bis zur positiven Bescheidung des Antrags auf Erteilung eines Passersatzpapiers für sich in Anspruch nehmen (OLG Hamm a.a.O.).

Nicht zu beanstanden ist danach zunächst, dass das Landgericht davon abgesehen hat – wie von dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen für erforderlich gehalten – zu ermitteln, ob in den vergangenen Monaten Inder in ihr Heimatland hätten abgeschoben werden können, die nicht über Nationalpässe oder andere Identitätspapiere verfügten. Der Senat folgt der vom Oberlandesgericht Hamm in der bereits zitierten Entscheidung vertretenen Auffassung, dass die Kammer sich insoweit nicht etwa eine Gesamtstatistik von der Antragstellerin vorlegen lassen musste. Auch war das Landgericht nicht gehalten, Informationen von Haftanstalten einzuholen.

Der Tatrichter kann seine Überzeugung, die Undurchführbarkeit der Abschiebung (Zurückschiebung) innerhalb des maßgebenden Zeitraums könne nicht festgestellt werden, rechtsfehlerfrei darauf stützen, dass in Einzelfällen eine solche Abschiebung hat durchgeführt werden können. Diese Sichtweise entspricht der insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelung, nach der die Haftanordnung nur zu unterbleiben hat, wenn feststeht, dass die Abschiebung nicht möglich sein wird (so auch OLG Hamm a.a.O.).

Auch der Umstand, dass die Kammer – wie sich aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses ergibt – die Auskünfte der Mitarbeiter der Antragstellerin ohne weitere Ermittlungen als glaubhaft erachtet hat, begründet keinen Verstoß gegen § 12 FGG. Es besteht Einigkeit in der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass bei der Prüfung, innerhalb welchen Zeitraums eine Abschiebung möglich erscheint, zuvörderst auf die Erfahrungen der (zentralen) Ausländerbehörden zurückzugreifen ist (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.06.2002, Az.: 3 Wx 152/02; OLG Köln, Beschluss vom 23.11.2001, Az.: 16 Wx 253/01). Dabei teilt auch der Senat allerdings die Auffassung, dass der Haftrichter den Angaben einer antragstellenden Behörde nicht blind vertrauen darf, sondern diese aus gegebenem Anlass auch überprüfen muss. Ein solcher Anlass bestand vorliegend bei der gebotenen Gesamtwürdigung jedoch nicht.