VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 06.11.2007 - 24 CE 07.2869 - asyl.net: M12174
https://www.asyl.net/rsdb/M12174
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Handschuhehe, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, humanitäre Gründe, Visum nach Einreise, Zumutbarkeit, Passlosigkeit, abgelehnte Asylbewerber
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 27; AufenthG § 29 Abs. 3; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; GG Art. 6; EMRK Art. 8
Auszüge:

Der Antrag der Antragsteller ist auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin gerichtet, den Aufenthalt der Antragstellerin vorläufig zu dulden.

Ein Duldungsanspruch für die Antragstellerin ergibt sich aus § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die Ausreise ist der Antragstellerin aus rechtlichen Gründen derzeit unmöglich. Es liegen humanitäre Gründe für die Duldung eines weiteren vorläufigen Aufenthalts vor.

Nach dem Vorbringen der Antragsteller sind sie miteinander verheiratet. Sie haben – soweit es an ihnen lag – alles getan, um den Sachverhalt glaubwürdig darzustellen. Die Gültigkeit der in Abwesenheit des Antragstellers im Kongo geschlossenen Ehe ("Handschuhehe") wird derzeit geprüft. Anlass zu Zweifeln am Bestehen dieser Ehe sind aus der Behördenakte nicht abzuleiten.

Bei einer im Eilverfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin einen Anspruch nach § 27, § 29 Abs. 3 AufenthG auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat und sie mit ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, über den die Antragsgegnerin noch zu entscheiden hat, Erfolg haben wird. Dem steht das an sich erforderliche Visumverfahren nicht zwingend entgegen. Von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kann nämlich abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Beide Ausnahmetatbestände kommen hier in Betracht.

Die Anspruchsvoraussetzungen der § 27, § 29 Abs. 3 AufenthG können als gegeben angesehen werden, wenn sich die Gültigkeit der Eheschließung herausstellen sollte. Der Antragsteller hat – wie den vorgelegten Akten und der Stellungnahme der Antragsgegnerin (s. Bl. 74 der Akte des Verwaltungsgerichts) zu entnehmen ist – eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 23 Abs. 1 AufenthG. Auch die Antragstellerin begehrt eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Denn humanitäre Gründe im Sinne des § 29 Abs. 3 AufenthG liegen vor allem vor, wenn die Familieneinheit auf absehbare Zeit nur im Bundesgebiet hergestellt werden kann (vgl. dazu Nr. 29.3.2 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 22. Dezember 2004).

Die Familieneinheit kann im Fall der Antragsteller für absehbare Zeit nur im Bundesgebiet hergestellt werden. Denn es ist in diesem Eilverfahren davon auszugehen, dass der Antragsteller ein humanitäres Aufenthaltsrecht nach der Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz bekommen hat, weil er nicht in den Kongo zurückkehren kann. Ein anderes Land, in dem die Antragsteller zusammen leben könnten, ist nicht ersichtlich (vgl. auch § 29 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Dazu trägt die Antragsgegnerin auch nichts vor.

Es wäre auch unzumutbar, die Antragstellerin zur Nachholung des Visumverfahrens abzuschieben, da ihre Rückkehr in die Bundesrepublik dadurch möglicherweise vereitelt oder doch erheblich erschwert und verzögert werden könnte. Das wäre mit der Schutzgarantie des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht vereinbar.

Auch die derzeitige Passlosigkeit der Antragstellerin steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht auf Dauer entgegen (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG), da die Passbeschaffung während des Verwaltungsverfahrens noch nachgeholt werden kann.

Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt wurde, zwar nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Allerdings ist das Aufenthaltsrecht nach § 29 Abs. 3 AufenthG, das im Abschnitt 6 steht, ausdrücklich auch – wie es hier in Rede steht – aus humanitären Gründen zu erteilen. Es muss einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob die Auslegung möglich ist, dass § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aus verfassungsrechtlichen Gründen auch auf diese Fallgruppe sinngemäß angewandt werden kann. Im Eilverfahren kann jedenfalls im Hinblick auf den Schutzzweck des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK diese Auslegung nicht verworfen werden.