VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 17.10.2007 - 24 CE 07.357 - asyl.net: M12214
https://www.asyl.net/rsdb/M12214
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, Suizidgefahr, Glaubhaftmachung, fachärztliche Stellungnahme, Amtsarzt, Glaubwürdigkeit, Beweiswürdigung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht das Bestehen eines Anordnungsanspruchs verneint. Der Antragsteller hat in dem im Verfahren nach § 123 VwGO erforderlichen, aber auch ausreichenden Umfang glaubhaft gemacht, dass seine Abschiebung derzeit aus rechtlichen Gründen unmöglich ist (§ 60 a Abs. 2 AufenthG).

Der Senat sieht im Gegensatz zur Ausländerbehörde und zum Verwaltungsgericht derzeit eine Reiseunfähigkeit des Antragstellers als glaubhaft gemacht an.

Das Verwaltungsgericht führt zu Recht aus, dass der Grundsatz, dass amtsärztlichen Gutachten grundsätzlich ein höherer Beweiswert zuzuschreiben ist als Privatgutachten, das Gericht nicht davon entbinde, "weitere Erkenntnisse – etwa eine privatärztliche Begutachtung – in seine Entscheidung einzubeziehen, auch die amtsärztliche Begutachtung sachgerecht zu würdigen und aus der Gesamtschau dieser Umstände zu einem Ergebnis zu kommen". Die vom Verwaltungsgericht danach getroffene Bewertung teilt der Senat allerdings im Ergebnis nicht. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der Landgerichtsarzt hat in den von ihm gefertigten gutachtlichen Stellungnahmen vom 6. Juli 2006 und 8. Dezember 2007 jeweils verneint, dass beim Antragsteller eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine anderweitige gravierende psychische Krankheit vorliegt. Seiner Ansicht nach bestehen beim Antragsteller lediglich leichtgradige depressive Zustände, die die Bewältigung des täglichen Lebens nicht bedeutsam beeinträchtigen. Insbesondere seien diese Zustände nicht mit Suizidalität verbunden. Die dahingehenden Stellungnahmen, die der zweifelsohne erfahrene Landgerichtsarzt aufgrund einer – zumindest in seiner Erstbegutachtung – persönlichen Untersuchung des Antragstellers durchaus gründlich und in sich schlüssig abgegeben hat, stehen allerdings im Widerspruch nicht nur zu den Gutachten des ZKG, sondern auch zum vorläufigen Arztbrief des Bezirkskrankenhauses Haar. In beiden Fällen sind die Stellungnahmen von ebenfalls qualifizierten Ärzten abgegeben worden. Der Senat geht davon aus, dass sowohl beim ZKG als auch im Bezirkskrankenhaus die dort tätigen Ärzte eine besondere Kenntnis insbesondere mit traumatisierten Personen besitzen und deshalb ebenfalls qualifizierte Stellungnahmen abgeben können. Insbesondere die Gutachten des ZKG zeichnen sich durch eine tiefgehende Befunderhebung sowie eine Analyse der Glaubwürdigkeit des Antragstellers als auch eine ausführliche Diagnoseerstellung aus. In den Gutachten des ZKG wird nachvollziehbar dargelegt, dass beim Antragsteller wegen seiner Suizidalität und der Gefahr einer wesentlichen oder sogar lebensbedrohenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes eine Reisefähigkeit derzeit nicht vorliegt. Untermauert wird dieses Gutachten von der Äußerung des Bezirkskrankenhauses, das entgegen der Meinung des Landgerichtsarztes ebenfalls vom Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie weiteren psychischen Störungen ausgeht. Weiter ist der Landgerichtsarzt der Auffassung, dass vom Antragsteller geäußerte Suizidgedanken rein demonstrativ seien. Dies war aber offensichtlich gerade nicht der Fall, denn ansonsten wäre keine Aufnahme in das Bezirkskrankenhaus Haar erfolgt und das Bezirkskrankenhaus hätte den Antragsteller auch nicht vom 24. August bis zum 13. September 2006, also immerhin drei Wochen lang stationär behandelt. Der Senat geht davon aus, dass die Ärzte des Bezirkskrankenhauses durchaus feststellen können, ob ein Patient tatsächlich suizidal ist oder lediglich simuliert oder aber "Suizidgedanken rein demonstrativ" sind.

Ergeben sich danach insbesondere im Hinblick auf den Arztbrief des Bezirkskrankenhauses Haar und die tatsächliche damalige Suizidalität des Antragstellers Zweifel an der Begutachtung durch den Landgerichtsarzt, so ist den privatärztlichen Gutachten des ZKG eine höhere Bedeutung beizumessen, als dies ansonsten privatärztlichen Gutachten zukommt. Insbesondere kann dem Bezirkskrankenhaus Haar nicht wie einem privaten Arzt der Vorwurf gemacht werden, es sei parteiisch. Vielmehr lässt die unterschiedliche Diagnose des Bezirkskrankenhauses gegenüber der Diagnose des Landgerichtsarztes darauf schließen, dass womöglich die Beurteilung des ZKG durchaus berechtigt ist.

Angesichts der durch den Antragsteller derzeit hinreichend glaubhaft gemachten Reiseunfähigkeit ist der Antragsteller vorläufig zu dulden, zumindest bis sein tatsächlicher Gesundheitszustand geklärt ist.