VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 09.10.2007 - 11 L 1067/07 - asyl.net: M12246
https://www.asyl.net/rsdb/M12246
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Altfallregelung, Straftaten, Bundeszentralregister, Bundeszentralregistergesetz, Tilgung, vorzeitige Tilgung, atypischer Ausnahmefall, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 6; BZRG § 49
Auszüge:

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 VwGO ist begründet.

Die Antragsteller haben jedoch Umstände glaubhaft gemacht, wonach ihnen ein Anspruch auf Duldung ihrer vorläufigen weiteren Anwesenheit im Bundesgebiet gem. § 60 a Abs. 2 AufenthG – entgegen den Ausführungen des Antragsgegners in seinen Ordnungsverfügungen vom 11. September 2007 – zustehen kann.

Soweit es den Antragsteller zu 1. anbelangt, teilt das Gericht die Auffassung des Antragsgegners nicht, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG n.F. könne allein deshalb nicht erteilt werden, weil die im Bundeszentralregister vom 30. Januar 2007 eingetragenen Verurteilungen zwingend entgegenständen; § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG n.F. Es spricht bereits vieles dafür, dass für die Frage, ob Verurteilungen nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG n.F. entgegenstehen, nur solche Verurteilungen berücksichtigt werden dürfen, die innerhalb der Integrationsfrist des § 104 a Abs. 1 AufenthG, d.h. innerhalb der letzten (acht bei Alleinstehenden oder – wie hier –) sechs Jahre ergangen sind; denn nur dies ist der Zeitraum, auf den es für das Bleiberecht wegen erfolgter Integration ankommen soll. Innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren sind beim Antragsteller zu 1. keine Eintragungen vorhanden; die letzte bezieht sich auf einen Strafbefehl des Amtsgerichts S. vom 10. Juli 1998.

Selbst wenn man dem Antragsgegner folgen wollte, es seien auch ältere Verurteilungen zu berücksichtigen, soweit sie noch nicht aus dem Bundeszentralregister getilgt seien, wäre eine weitere Prüfung anzustellen, die der Antragsgegner bisher nicht vorgenommen hat. Nach § 49 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) besteht die Möglichkeit, dass die Registerbehörde auf Antrag oder von Amts wegen anordnen kann, dass Eintragungen entgegen den § 45, § 46 zu tilgen sind, falls die Vollstreckung erledigt ist und das öffentliche Interesse der Anordnung nicht entgegensteht. Die Registerbehörde hat abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse gegen und dem privaten Interesse des Ausländers für einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis trotz zweier eingetragener Verurteilungen; maßgeblich ist die Schwere der durch die begangenen Taten bewirkten Rechtsverletzungen und die Gefahr und das Gewicht etwaiger künftig erneut drohender Rechtsverstöße einerseits und die für den Antragsteller zu 1. – und seine Ehefrau und seine beiden jüngsten Kinder, die allein wegen der Eintragungen der Verurteilungen des Antragstellers zu 1. mit abgeschoben werden sollen – sprechenden Härtegründe andererseits. Eine vorzeitige Tilgung nach § 49 BZRG wird nur in einem Ausnahmefall möglich sein, da die Tilgungsfristen in § 45 – § 47 BZRG grundsätzlich das öffentliche Interesse definieren. Andererseits muss es solche Ausnahmefälle geben, da ansonsten die Regelung des § 49 AufenthG leerliefe. Es spricht vieles dafür, dass vorliegend ein solcher Ausnahmefall gegeben ist; dem sind die Beteiligten bisher nicht nachgegangen und dies ist nachzuholen. Es liegt ein atypischer Fall vor. Der Antragsgegner hält dem Antragsteller zu 1. zwei Eintragungen vor, nämlich Urteil des Amtsgerichts N. vom 11. April 1995 (8 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen schwerer mittelbarer Falschbeurkundung, Strafe erlassen mit Wirkung vom 15. Mai 1998) und Strafbefehl des Amtsgerichts S. vom 10. Juli 1998 (15 Tagessätze zu je 10,00 DM Geldstrafe wegen Diebstahls geringwertiger Sachen – 10 Kugelschreiberminen im Gesamtwert von 10,00 DM –). Wäre zu der ersten Eintragung nicht die zweite Eintragung hinzugekommen – die für sich genommen (15 Tagessätze) nicht beachtlich im Sinne des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG und § 30 BZRG (mindestens 90 Tagessätze) ist –, wäre die erste Eintragung nach Ablauf von 10 Jahren getilgt worden (§ 45 Abs. 3 Satz 2 b BZRG), also gegenwärtig nicht mehr vorhanden. Wäre im Zeitpunkt der zweiten Eintragung die erste nicht vorhanden gewesen, wäre die zweite Eintragung nach Ablauf von 5 Jahren getilgt worden (§ 45 Abs. 3 Satz 1 a BZRG), also gegenwärtig nicht mehr vorhanden; nur wegen des Vorhandenseins der ersten Eintragung verlängert sich die Tilgungsfrist der zweiten Eintragung auf 10 Jahre (§ 45 Abs. 3 Satz 2 a BZRG) mit der Folge, dass sie gegenwärtig noch nicht getilgt ist und daher auch die erste Eintragung – die nach Auffassung des Antragsgegners der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG n.F. entgegensteht – wegen § 47 BZRG gegenwärtig noch nicht getilgt ist.