VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 08.10.2007 - M 23 K 07.50109 u.a. - asyl.net: M12256
https://www.asyl.net/rsdb/M12256
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, Sachaufklärungspflicht, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit ungeklärt
Normen: AsylVfG § 24 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässigen Klagen sind begründet. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klagepartei in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die streitgegenständlichen Bescheide leiden vorliegend bereits an einem Verfahrensfehler, bei dem nicht auszuschließen ist, dass er gleichzeitig auf materielle Rechte der Klagepartei Auswirkungen zeitigt. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG klärt das Bundesamt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. Gegen diese verfahrensrechtliche Verpflichtung hat das Bundesamt in vorliegenden Fällen jeweils verstoßen. Das Bundesamt war in dem ursprünglichen Bescheid vom ... 1996 davon ausgegangen, dass es sich bei der Klagepartei jeweils um afghanische Staatsangehörige handelt. Mittlerweile sind ausweislich der Verfahrensakten erhebliche Verdachtsmomente dahingehend aufgetreten, dass es sich bei der Klagepartei demgegenüber tatsächlich jeweils um pakistanische Staatsangehörige handelt. In der nunmehr angefochtenen Widerrufsentscheidung geht das Bundesamt zunächst weiterhin davon aus, dass es sich bei der Klagepartei jeweils um afghanische Staatsangehörige handelt. In Bezug auf die tatsächlichen Ausführungen enthalten die streitgegenständlichen Bescheide demgegenüber allerdings jeweils den lapidaren Satz: "im Übrigen ist/sind der Ausländer/die Ausländerin/die Ausländer vermutlich pakistanische Staatsangehörige/Staatsangehöriger". Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass das Bundesamt bei den hier streitgegenständlichen Entscheidungen jeweils offen gelassen hat, ob es sich bei der Klagepartei jeweils um afghanische oder pakistanische Staatsangehörige handelt.

Dieses Vorgehen verstößt gegen § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Es mag zwar sein, dass das Bundesamt in den vorliegenden Fällen – auch aufgrund unterlassener Mitwirkungshandlungen der Klagepartei, zu denen diese verpflichtet ist (vgl. § 15 AsylVfG) – nicht in der Lage sein wird, die Staatsangehörigkeit der Klagepartei mit absoluter Gewissheit festzustellen. Nach Ansicht des Gerichts sprechen allerdings die ausweislich der Verfahrensakten vorhandenen Anzeichen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich bei der Klagepartei jeweils um pakistanische Staatsangehörige handelt. In diesem Fall ist das Bundesamt gehalten, aufgrund der überwiegenden Wahrscheinlichkeit und der unterlassenen Mitwirkungshandlungen der Klagepartei davon auszugehen, dass es sich bei der Klagepartei jeweils um pakistanische Staatsangehörige handelt.

Die Frage, ob es sich bei der Klagepartei um afghanische oder pakistanische Staatsangehörige handelt, ist für die Entscheidung über die Einleitung eines Widerrufsverfahrens und dessen Ausgang erheblich und kann nicht offen gelassen werden. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die in dem ursprünglichen Bescheid vom ... 1996 enthaltene Abschiebungsandrohung in Bezug auf Afghanistan, die möglicherweise vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Feststellung des Bestehens eines Abschiebungshindernisses in Bezug auf Afghanistan einschränkend auszulegen war, mit dem jeweiligen Widerruf der Feststellung des Abschiebungshindernisses wieder voll umfänglich auflebt, jedoch für den Fall, dass es sich bei der Klagepartei tatsächlich um pakistanische Staatsangehörige handelt, rechtswidrig ist. Zum anderen beurteilt sich die abschiebungsrelevante Lage in Bezug auf Pakistan vollkommen anders als diejenige, die für Afghanistan besteht. Da das Bundesamt nach § 24 Abs. 2 AsylVfG auch für die Entscheidung zuständig ist, ob die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, kommt es auf die Unterschiedlichkeit der abschiebungsrelevanten Lage auch aus diesem Grund an. Das Gericht ist auch nicht in der Lage, selbst Spruchreife herzustellen, da es bei der Entscheidung, ob ein Asylverfahren wieder aufgegriffen wird und wie diese Entscheidung im Ergebnis ausgeht, ein vom Gericht nicht nachprüfbarer Beurteilungsspielraum der Behörde besteht.