VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 05.10.2007 - M 16 K 07.50714 - asyl.net: M12257
https://www.asyl.net/rsdb/M12257
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Ermessen, Rückwirkung, Altfälle, Zuwanderungsgesetz, Anwendungszeitpunkt, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Abschiebungsstopp, Erlasslage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 2a; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der angefochtene Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) bezüglich des Klägers für den Herkunftsstaat Irak vorliegen, ist rechtmäßig.

Aufgrund der inzwischen eingetretenen grundlegenden Änderung der Verhältnisse ist das Gericht davon überzeugt, dass weder zum gegenwärtigen Zeitpunkt, noch in absehbarer Zukunft mangels abschiebungsrelevanter Rückkehrgefährdung ein Anspruch des Klägers auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG besteht.

Die Beklagte hat auch zu Recht keine Ermessensentscheidung getroffen, sondern ist von einer gebunden Entscheidung ausgegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht (v. 20.3.2007 Az.: 1 C 21/06) hat nunmehr klargestellt, dass § 73 Abs. 2a AsylVfG grundsätzlich auch für einen nach dem 1. Januar 2005 ausgesprochenen Widerruf einer Anerkennung, die vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, gilt. Bei Anwendung des § 73 Abs. 2a AsylVfG auf Altfälle ist die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck allerdings dahingehend auszulegen, dass die Drei-Jahres-Frist erst mit dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Januar 2005 beginnt. Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung des Bundesamts in vorliegendem Fall nicht erfüllt, weil es an der erforderlichen vorherigen Prüfung und Verneinung der Widerrufsvoraussetzungen durch das Bundesamt fehlt. Eine solche Negativentscheidung ist auch nicht etwa pflichtwidrig unterblieben, denn die ab 1. Januar 2005 laufende Drei-Jahres-Frist war zum Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht abgelaufen. Das Bundesamt hat deshalb zu Recht eine reine Rechtsentscheidung getroffen.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Nach der geltenden Erlasslage ist die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger ausgesetzt. Das hat das Bayerische Staatsministerium des Innern mit Rundschreiben vom 18. Dezember 2003 verfügt und angeordnet, dass auslaufende Duldungen bis auf weiteres um sechs Monate verlängert werden. Die Konferenz der Länderinnenminister hat wiederholt die Einschätzung des Bundes geteilt, dass ein Beginn von zwangsweisen Rückführungen in den Irak nicht möglich ist. Dafür, dass eine grundlegende Änderung dieser Einschätzung erfolgt ist, liegen derzeit keine Anhaltspunkte vor (vgl. hierzu auch BayVGH v. 20.6.2007 - Az.: 13 a B 06.30870). Demzufolge ist davon auszugehen, dass die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger weiterhin grundsätzlich ausgesetzt bleibt. Damit liegt eine Erlasslage im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 3, § 60 a AufenthG vor, welche den betroffenen Ausländer derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. Der Kläger bedarf somit nicht zusätzlich des Schutzes vor der Durchführung der Abschiebung etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.