VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 28.09.2007 - AN 2 K 04.32649 - asyl.net: M12267
https://www.asyl.net/rsdb/M12267
Leitsatz:
Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Situation bei Rückkehr, Mitgabe von Medikamenten, Überbrückungsgeld, Ausländerbehörde
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Insoweit nur, wie sich dies aus Ziffern 1 und 2 des Urteilstenors ergibt, ist der Klage deshalb stattzugeben, weil beim Kläger im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich des Heimatstaates des Klägers – der Demokratischen Republik Kongo – vorliegt; dies beinhaltet zugleich die Aufhebung der Androhung der Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo im angegriffenen Bundesamtsbescheid.

Unter Heranziehung der vorliegenden ärztlichen Atteste, insbesondere des aktuell erst vor gut drei Wochen am Universitätsklinikum München erstellten nervenärztlichen Attestes vom 6. September 2007, und der ins Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen zur Situation in der Demokratischen Republik Kongo ist im Fall des Klägers von einer extremen Gefahrenlage im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 AufenthG/§ 53 Abs. 6 AuslG (vgl. grundlegend BVerwG vom 17.10.1995 Az. 9 C 9.95 sowie vom 15.4.1997 Az. 9 C 38.96) auszugehen.

Wegen der allgemeinen, wirtschaftlich nach wie vor schlechten Lage leben viele Kongolesen am oder unter dem Existenzminimum; auch innerhalb der Großfamilie gelingt es nicht immer, Härten durch wechselseitige Unterstützung aufzufangen. Zwar ist die Bevölkerung in Kinshasa – bei schwieriger Versorgung mit Lebensmitteln – in der Lage, mit städtischer Kleinstlandwirtschaft und Kleinviehhaltung die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern, so dass keine akute Unterversorgung herrscht. Für Rückkehrer kann aber die Sicherung einer Existenzgrundlage ohne familiäre Bindung oder sonstige Unterstützung schwierig sein. Zugleich ist das Gesundheitswesen nach wie vor in sehr schlechtem Zustand. Staatliche Krankenhäuser waren schon vor der Rebellion und den Plünderungen 1998 heruntergewirtschaftet bzw. geplündert. Der Großteil der Bevölkerung kann nicht hinreichend medizinisch versorgt werden. Ein funktionierendes Krankenversicherungssystem existiert nicht, in der Regel zahlen Arbeitgeber die Behandlungskosten ihrer Beschäftigten. Die Behandlungskosten Arbeitsloser werden unter erheblichen Anstrengungen von der Großfamilie aufgebracht. Nur wenn – im seltenen Fall – die Geldmittel zur Verfügung stehen, können die meisten in der Demokratischen Republik Kongo vorkommenden Krankheiten diagnostiziert und mit Einschränkungen fachgerecht behandelt werden; für zahlungskräftige Patienten stehen hinreichend ausgestattete private Krankenhäuser und fachkundige Ärzte sowie ein Pharmagroßhandel zur Verfügung. Nach Auskunft des Universitätskrankenhauses Kinshasa sowie der psychiatrischen Abteilung einer Klinik in Kinshasa können Psychosen jeglicher Art zwar grundsätzlich behandelt werden und die dafür benötigten Medikamente sind in der Demokratischen Republik Kongo auch erhältlich, allerdings für weite Teile der Bevölkerung unerschwinglich. Langzeittherapien finden daher kaum statt.

Des Weiteren lässt die allgemeinkundige Massenmedienberichterstattung über die Demokratische Republik Kongo keineswegs auf eine Entspannung der allgemeinen Lebenssituation der Bevölkerung in Kinshasa schließen. Die Etablierung einer allgemein akzeptierten Regierung, die nicht nur die Posten verteilt, sondern auch die Missstände wirkungsvoll angeht, zeichnet sich noch nicht ab. Die letzten größeren Wirren in der Hauptstadt Kinshasa mit bewaffneten Auseinandersetzungen bei ca. 600 Toten (vgl. z. B. FAZ vom 25.7.2007) haben erst vor sechs Monaten stattgefunden, und der Grundkonflikt ist nicht bereinigt.

Vor diesem Hintergrund ist im hier zu entscheidenden Fall zu konstatieren, dass der Kläger in Anbetracht des bei ihm vorherrschenden Gesundheitszustandes, wie er klar und nachvollziehbar zuletzt im nervenärztlichen Attest des Universitätsklinikums vom 6. September 2007 beschrieben worden ist (vgl. schon oben), zum einen keine adäquate Behandlung seiner – wie attestiert – behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung erlangen würde und dass er zum anderen in Anbetracht seines psychopathologischen Zustandes dabei vor allem im "Überlebenskampf", wie er im Kongo auch in der Hauptstadt Kinshasa zu bestehen ist, alsbald auf der Strecke bleiben würde. Wie der jüngste Rückfall bestätigt, ist der an einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion leidende Kläger, der in diesem Zusammenhang noch vor gut drei Monaten unter weitreichende Betreuung gestellt war, vorerst nicht in der Lage, Stresssituationen ohne psychiatrisch-medizinische Behandlung durchzustehen. Es liegt dabei auf der Hand, dass der einschneidende Eingriff und die radikale Umstellung durch Rückführung des langjährig im Ausland gewesenen Klägers sowie der fortwährende Prozess der Existenzsicherung unter den in Kinshasa herrschenden Verhältnissen Belastungssituationen höchsten Grades mit sich bringen, die für den Kläger allenfalls bei gesicherter Behandlung – laut Attest zumindest dauerhafte, ärztlich kontrollierte Medikation – bestehbar sind. Die Frage etwaiger psychischer Überforderung mit Anstrengungen zur Erlangung der erforderlichen medizinischen Behandlung noch dahingestellt, muss hier zugleich davon ausgegangen werden, dass der Kläger, der in der Bundesrepublik Deutschland ersichtlich keine finanziellen Rücklagen bilden konnte, sich die erforderliche Therapie schon aus monetären Gründen wird nicht verschaffen können. Daran vermag auch die im Raume stehende Bereitschaft der Ausländerbehörde, für medizinische Betreuung anlässlich der Rückführung zu sorgen und dabei Kosten – lediglich – bis zur Höhe von 100,– EUR zu übernehmen, nichts zu ändern. Es bliebe zu erwarten, dass der depressive, psychisch wie in den Attesten beschrieben instabile Kläger in den nächsten Monaten zu Grunde gehen würde.