SG Dessau-Roßlau

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Zitieren als:
SG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 19.12.2007 - S 10 AY 19/07 ER - asyl.net: M12283
https://www.asyl.net/rsdb/M12283
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Grundsicherung für Erwerbsunfähige, Behinderte, Eingliederungshilfe
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGB IX § 2; SGB XII § 53
Auszüge:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsanspruch. Dieser folgt aus § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 53 SGB XII.

Bei summarischer Prüfung der Sachlage geht das Gericht davon aus, dass der Antragsteller an einer Behinderung leidet, da seine Motorik, also seine körperliche Funktion nach Einschätzung aller Ärzte erheblich von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abweicht. Das gleiche dürfte für seine geistige Fähigkeit der Sprachentwicklung gelten. Auch wenn nicht gesichert ist, wie groß dieser Rückstand ist, besteht er doch nach Einschätzung aller Ärzte.

Es kann dahinstehen bleiben, ob der Antragsteller durch diese Behinderung bereits zum derzeitigen Zeitpunkt wesentlich darin beeinträchtigt ist an der Gesellschaft teilzuhaben, denn eine derartige wesentliche Beeinträchtigung droht nach derzeitiger Erkenntnis. Die vom Antragsteller begehrten Leistungen der Frühförderung in Form von Ergotherapie und Physiotherapie sind auch geeignet, die drohende Teilhabeeinschränkungen des Antragstellers zumindest zu mildern.

Die begehrte Leistung ist entgegen der Ansicht des Antragsgegners auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil noch nicht feststeht, ob der Antragsteller dauerhaft an der bundesrepublikanischen Gesellschaft teilhaben wird. Der Zweck der Eingliederungshilfe besteht gem. § 53 Abs. 3 SGB XII darin, eine bestehende oder drohende Behinderung zu beseitigen bzw. zu vermeiden oder zu mildem und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Mit dieser Aufgabenstellung soll nach Ansicht des erkennenden Gerichtes nicht primär den Interessen der Gesellschaft an einem "funktionierenden Gesellschaftsmitglied" Rechnung getragen werden, sondern vielmehr das Leben des Betroffenen mit seinen Einschränkungen erleichtert werden. Diese gesetzgeberische Wertung ist zum einen daran ersichtlich, dass Leistungen der Eingliederungshilfe bereits dann zu gewähren sind, wenn nur die Aussicht besteht, dass diese ihren Zweck erfüllen kann. Eine Interessenabwägung hinsichtlich der Nutzen und Kosten für die Gesellschaft ist mithin gerade nicht vorgesehen, sondern es wird vielmehr allein auf das Interesse des Behinderten an einer Erleichterung seiner Lebenssituation abgestellt. Zum anderen ist diese Wertung auch an § 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII zu erkennen, der davon spricht, dass den behinderten Menschen eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht werden soll. Auch an dieser Formulierung ist ersichtlich, dass das Ziel der Eingliederungshilfe darin besteht, dem Behinderten ein Leben zu ermöglichen, dass dem Leben von Nichtbehinderten möglichst nahe kommt. Dieser Zweck kann auch bei Personen erfüllt werden, die ihren dauerhaften Aufenthalt nicht im Bundesgebiet haben.

Ein anderes Ergebnis ergäbe sich selbst dann nicht, wenn man dem Antragsgegner dahingehend folgen wollte, dass Zweck der hier begehrten Leistungen die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft ist. Leistungen nach § 53 SGB XII sind bereits dann zu erbringen, wenn nur die Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Angesichts der Herkunft des Antragstellers kann nicht ausgeschlossen werden, dass er dauerhaft in der deutschen Gesellschaft bleiben wird. Die Aussicht, dass die gewährte Frühförderung daher auch den von dem Antragsgegner angenommen Zweck erfüllt, besteht mithin. Die § 53ff. SGB XII können ihren Sinn und Zweck daher auch im Anwendungsbereich des § 2 AsylbLG entfalten.