SG Braunschweig

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Zitieren als:
SG Braunschweig, Beschluss vom 14.12.2007 - S 20 AY 70/07 ER - asyl.net: M12284
https://www.asyl.net/rsdb/M12284
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Verwaltungsakt, Dauerwirkung, Bewilligungsbescheid, Falschangaben, Täuschung, Änderung der Sachlage, Rechtsgrundlage, Rücknahme, Ermessen
Normen: SGG § 86b Abs. 1 Nr. 2; AsylbLG § 2 Abs. 1; SGB X § 48; SGB X § 45
Auszüge:

Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist begründet.

Rechtsgrundlage für die begehrte Entscheidung auf Aufhebung des angeordneten Sofortvollzuges ist § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Den Antragstellern sind mit letztem bestandskräftigen Bescheid vom 26. September 2007 Leistungen nach § 2 AsylbLG ohne zeitliche Befristung gewährt worden. Es handelt sich mithin um einen unbefristeten Dauerverwaltungsakt.

Denn der Verwaltungsakt vom 02. Oktober 2007 ist nach summarischer Prüfung erkennbar rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid beruht auf § 48 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), als Ermächtigungsgrundlage für die Vorenthaltung der erhöhten Leistungen ab 01. November 2007. Zur Begründung führt die Antragsgegnerin insbesondere im Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2007 aus, die Antragstellerin zu 2) habe zum Zwecke der Aufenthaltsverlängerung jahrelang und wiederholt über ihre Identität getäuscht und damit den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Auch dem Antragsteller zu 1) sei zumindest in der Vergangenheit ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen.

Der übergreifende Aufhebungstatbestand aus § 48 Abs. 1 SGB X erfordert, dass sich tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse, die bei Erlass des Verwaltungsaktes vorlagen, nachträglich wesentlich geändert haben. Unerheblich bleibt dabei, welche Auffassung die entscheidende Verwaltung von der jeweiligen Sach- oder Rechtslage hat bzw. vertrat. Das Tatbestandselement der tatsächlichen Änderung erfordert also eine effektive Veränderung der Sach- oder Rechtslage, die zur Regelung des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (hier: die ursprünglichen Bewilligungsbescheide) geführt hatte, nach dem Erlass dieser Entscheidung. In Verkennung dieser Rechtslage ist die Antragsgegnerin auch mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2007 der Auffassung, eine Änderung der tatsächlichen Umstände sei in ihrer späteren Kenntnisnahme der Falschaussage der Antragstellerin zu 2) über ihre Identität zu sehen. Ferner sei erst im Laufe der Ermittlungen festgestellt worden, dass die Antragsteller nicht oder nicht in ausreichendem Maße an der Identitätsklärung mitwirkten. Bei dieser späten Erkenntnis der Antragsgegnerin handelt es sich jedoch nicht um eine effektive Veränderung der Sach- oder Rechtslage, sondern um eine Neubewertung der unverändert bereits seit Beginn der Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG fortbestehenden Sachlage. Wenn die Antragsgegnerin aufgrund dieser Neueinschätzung (der unveränderten Sachlage) zu der Auffassung gekommen ist, die Antragsteller hätten lediglich Anspruch auf Leistungen nach §§ 3 bis 7 AsylbLG, so muss dies folgerichtig für den gesamten Zeitraum gelten. Damit wäre aber der Regelungsbereich des § 45 SGB X über die Rücknahme eines anfänglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes eröffnet. Sollten dessen einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen nach den Absätzen 2 bis 4 eine Rücknahme nicht ausschließen, hätte die Antragsgegnerin über die Korrektur der vermeintlich rechtswidrigen Leistungsgewährung eine Ermessensentscheidung zu treffen.