SG Aachen

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Zitieren als:
SG Aachen, Beschluss vom 28.12.2007 - S 19 AY 10/07 ER - asyl.net: M12292
https://www.asyl.net/rsdb/M12292
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, freiwillige Ausreise, Zumutbarkeit, Integration, in Deutschland geborene Kinder, Eltern, Schutz von Ehe und Familie, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2; GG Art. 6
Auszüge:

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 2 Abs. 1 und Abs. 3 AsylbLG.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners haben die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthaltes auch nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Vorliegend fehlt es an einer rechtsmissbräuchlichen Selbstbeeinflussung der Dauer des Aufenthalts jedoch deswegen, weil es den Antragstellern nicht zumutbar ist, auszureisen. Zu Recht haben die Antragsteller insoweit auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 08.02.2007 hingewiesen. Danach ist als weiterer Grund für die Unzumutbarkeit einer Ausreise insbesondere auch eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland anzusehen. Das Bundessozialgericht hat ausgeführt, dass Ausländern ihre Nichtausreise leistungsrechtlich dann nicht vorwerfbar ist und sich der weitere geduldete Aufenthalt in Deutschland deshalb nicht als rechtsmissbräuchlich im Sinne des AsylbLG darstellt, wenn sich Ausländer während ihrer langen Zeit des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland derart in die deutsche Gesellschaft und die hiesigen Lebensverhältnisse integriert haben, dass ihre Ausreise in das Herkunftsland etwa einer Auswanderung nahekäme. Das Bundessozialgericht hat darauf hingewiesen, dass auf derartige Umstände zwar das Aufenthaltsrecht keine Rücksicht nehmen möge, diese jedoch im Rahmen der leistungsrechtlichen Beurteilung nach dem AsylbLG trotzdem von entscheidender Bedeutung sein können (BSG a.a.O.). Unzutreffend ist danach die vom Antragsgegner geäußerte Auffassung, wonach die Prüfung entsprechender Zumutbarkeitskriterien nach dem Ausländerrecht und nach dem Leistungsrecht deckungsgleich ist und die Ausländerbehörden eine entsprechende Prüfung abschließend vorzunehmen haben.

Im vorliegenden Falle käme die Ausreise der Antragsteller zu 1) bis 3) einer Auswanderung nahe. Die Antragstellerin zu 2) ist bereits in der Bundesrepublik Deutschland geboren und hat ihr gesamtes bisheriges Leben hier verbracht. Gleiches gilt für den im Jahre 2000 ebenfalls im Bundesgebiet geborenen Antragsteller zu 3). Den Antragstellern zu 2) und 3) sind die Verhältnisse in ihrem Heimatland völlig unbekannt. Die Antragsteller zu 2) und 3) sind bislang nur in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen und ausschließlich durch die hiesigen Lebensverhältnisse geprägt.

Ob dies auch für die Antragstellerin zu 1) gelten würde, braucht nicht abschließend entschieden zu werden. Zwar hält sich auch die Antragstellerin zu 1) bereits seit mehr als 15 Jahren durchgängig im Bundesgebiet auf und hat sich ausweislich der vorliegenden Unterlagen ebenfalls in die hiesigen Verhältnisse integriert. Allerdings hat die Antragstellerin zu 1) vor ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland mehr als 30 Jahre im Kongo gelebt, so dass nicht unbedingt davon auszugehen ist, dass sie im Falle einer Übersiedlung in den Kongo mit ihr völlig fremden Lebensumständen konfrontiert würde, die den Umständen einer Auswanderung nahe kämen. Unabhängig davon ist der Antragstellerin zu 1) eine Ausreise aber ebenfalls unzumutbar, weil sie bei einer eigenen Ausreise entweder ihre minderjährigen Kinder in Deutschland zurücklassen müsste oder diese zu einem diesen unzumutbaren dauerhaften Aufenthaltswechsel in den Kongo veranlassen müsste. Auch wenn nach der Konzeption das Ausländerrechtes das Aufenthaltsrecht der Kinder bis zum 16. Lebensjahr grundsätzlich dem der Eltern nachfolgt (§ 35 Abs. 1, 80 Abs. 1 AufenthG) gelten im Leistungsrecht hiervon abweichende Maßstäbe. Hier kann bereits die Integration der Kinder zu einer Unzumutbarkeit der Ausreise für die Eltern führen (vgl. BSG a.a.O.).