VG Dessau-Roßlau

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Zitieren als:
VG Dessau-Roßlau, Urteil vom 27.11.2007 - 3 A 271/06 DE - asyl.net: M12302
https://www.asyl.net/rsdb/M12302
Leitsatz:

Die Abschiebung eines abgelehnten Asylantragstellers in einen anderen Staat als in der Abschiebungsandrohung bezeichnet setzt voraus, dass das Bundesamt zuvor die Zielstaatsbezeichnung ergänzt; zur Zulässigkeit der Feststellungsklage gegen die vollzogene Abschiebung.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Feststellungsklage, Feststellungsinteresse, Abschiebung, Wirkungen der Abschiebung, Sperrwirkung, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, abgelehnte Asylbewerber, Bundesamt, Prüfungskompetenz, Zuständigkeit
Normen: VwGO § 43 Abs. 1; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2; VwGO § 43 Abs. 2; AufenthG § 59 Abs. 1; AufenthG § 59 Abs. 2; AsylVfG § 34 Abs. 1; AsylVfG § 24 Abs. 2
Auszüge:

Die Abschiebung eines abgelehnten Asylantragstellers in einen anderen Staat als in der Abschiebungsandrohung bezeichnet setzt voraus, dass das Bundesamt zuvor die Zielstaatsbezeichnung ergänzt; zur Zulässigkeit der Feststellungsklage gegen die vollzogene Abschiebung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Soweit der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Abschiebung begehrt, ist die Klage als allgemeine Feststellungsklage zulässig.

Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Klägers handelt es sich bei der Abschiebung als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung - jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art - nicht um einen Verwaltungs-, sondern um einen Realakt (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: September 2007, § 58 Rz. 5). Aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten über die Rechtmäßigkeit der Abschiebung besteht zwischen ihnen eine Rechtsbeziehung, die ein konkretes und streitiges, mithin feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bildet. Gegenstand der Feststellungsklage kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris). Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zu Recht beruft sich der Kläger jedoch auf fortdauernde Abschiebungswirkungen unter anderem im Hinblick auf die Verbote des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG, wonach ein abgeschobener Ausländer nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf und ihm auch bei Vorliegen des Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs kein Aufenthaltstitel erteilt wird.

Auch das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht die Vorschrift des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach ihrem Zweck der Feststellungsklage nicht entgegen, wo eine Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und Vorverfahren nicht droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1997 - 1 C 2/95 -, NJW 1997, 2534, 2535). Eine derartige Umgehung ist hier nicht ersichtlich. Dass der Kläger gegen seine bevorstehende Abschiebung mittels einer allgemeinen Unterlassungsklage hätte vorgehen können (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 58 Rz. 54), kann ihm nicht entgegengehalten werden, weil die Abschiebung zum Zeitpunkt der Klageerhebung schon vollzogen war und eine allgemeine Unterlassungsklage (Leistungsklage) weder ein Widerspruchsverfahren voraussetzt noch eine Klagefrist kennt. Über den Antrag des Klägers auf Befristung der Abschiebungswirkungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG hat der Beklagte bislang nicht entschieden.

Die Klage ist auch begründet, denn die am 18. Juli 2006 erfolgte Abschiebung des Klägers war rechtswidrig, weil es hinsichtlich des Staates Guinea, in den der Kläger abgeschoben wurde, an einer wirksamen Abschiebungsandrohung fehlte.

Wird der Ausländer nach Durchführung eines Asylverfahrens nicht als Asylberechtigter anerkannt und besitzt er keinen Aufenthaltstitel, wird die Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vom Bundesamt erlassen. Ist diese Androhung als solche zwar rechtlich nicht zu beanstanden, so lässt sie doch für sich genommen - ohne nachträgliche Konkretisierung - eine Abschiebung in den nicht in ihr bezeichneten Staat Guinea nicht zu (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 30. Mai 2007 - 2 M 153/07 -, BA S. 3 f.). Nach § 24 Abs. 2 AsylVfG obliegt nämlich dem Bundesamt nach Stellung eines Asylantrags auch die Entscheidung, ob die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Der Schutzzweck des § 24 Abs. 2 AsylVfG kann aber nur dann erreicht werden, wenn eine solche Prüfung gerade hinsichtlich des Staates erfolgt, in den der Ausländer tatsächlich abgeschoben werden soll. Hat das Bundesamt jedoch - wie hier in seinem Bescheid vom 15. Februar 2000 - eine solche Prüfung lediglich hinsichtlich des in der Androhung bezeichneten Zielstaats durchgeführt, würde der Schutzzweck des § 24 Abs. 2 AsylVfG unterlaufen, wenn der Ausländer ohne weiteres und allein wegen des erfolgten Hinweises nach § 59 Abs. 2 AufenthG auch in jeden anderen Staat abgeschoben werden könnte. Voraussetzung für eine solche Abschiebung ist vielmehr, dass das insoweit nach wie vor zuständige Bundesamt auch hinsichtlich dieses Zielstaats die Prüfung nach § 24 Abs. 2 AsylVfG i.V. mit § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vornimmt und dem Ausländer der neue Zielstaat in einer Abschiebungsanordnung benannt wird (vgl. OVG LSA, a.a.O., BA S. 4; VGH Mannheim, Beschluss vom 13. September 2007 - 11 S 1684/07 -, juris). Da im Fall des Klägers eine unter Zugrundelegung dieser Anforderungen ordnungsgemäße Zielstaatsbezeichnung durch Bescheid des Bundesamts nicht ergangen ist, durfte er nicht nach Guinea abgeschoben werden.