FG Düsseldorf

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Zitieren als:
FG Düsseldorf, Urteil vom 09.11.2007 - 18 K 1580/06 Kg - asyl.net: M12331
https://www.asyl.net/rsdb/M12331
Leitsatz:

§ 62 Abs. 2 EStG (Kindergeld) ist verfassungsmäßig.

 

Schlagwörter: D (A), Kindergeld, Aufenthaltserlaubnis, Erwerbstätigkeit, Verfassungsmäßigkeit, Gleichheitsgrundsatz, Schutz von Ehe und Familie
Normen: EStG § 62 Abs. 2; AufenthG § 25 Abs. 5; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

§ 62 Abs. 2 EStG (Kindergeld) ist verfassungsmäßig.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist unbegründet.

1. Die Familienkasse hat der Klägerin die Kindergeldgewährung ab Dezember 2005 zu Recht versagt, weil hierfür keine Rechtsgrundlage besteht, weder nach der ab 2005 geltenden Fassung des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes –im folgenden: EStG a. F. noch auf der Grundlage des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2915) – im folgenden: EStG; in dieser Fassung ist die Vorschrift in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kindergeld wie im Streitfall noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG).

§ 62 Abs. 2 EStG a. F. und § 62 Abs. 2 EStG knüpfen zur Beurteilung der Kindergeldgewährung bei einem nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer an den Aufenthaltstitel an, den der Betroffene "besitzt", d. h. tatsächlich in Händen hält (sog. Tatbestandswirkung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 1998 VI B 221/98, BFHE 187, 562, BStBl II 1999, 140; vom 20. Februar 1998 VI B 205/97/ BFH/NV 1998, 963; vom 1. Dezember 1997 VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696 und vom 14. August 1997 VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169 – eine Ausnahme gilt nur für die Zeit zwischen Ablauf einer Aufenthaltserlaubnis und seiner erneuten Erteilung vgl. FG Münster, Urteile vom 15. März 2002 11 K 4607/01 Kg, EFG 2002, 927 und vom 14. Januar 2005 11 K 3588/04 Kg, EFG 2005, 626). Der bloße Anspruch auf Erteilung einer anderen Art der Aufenthaltserlaubnis begründet demgegenüber noch keinen Kindergeldanspruch. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit eindeutig; das ausdrückliche Zubilligen des Aufenthaltsrechts durch Verwaltungsakt ist Voraussetzung für den Kindergeldanspruch.

Die Anknüpfung des Kindergeldrechts an getroffene Entscheidungen der Ausländerbehörde (die Tatbestandswirkung ausländerrechtlicher Verwaltungsakte für das Kindergeldrecht) ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; hierfür bestehen vernünftige Gründe. Es ist weder sinnvoll noch praktikabel noch der Familienkasse zuzumuten, wenn diese zu prüfen hätte, ob die Ausländerbehörde einen bestimmten Aufenthaltstitel zu Unrecht erteilt hat, bzw. ob die Ausländerbehörde den Titel früher (ggf. wie viele Monate früher) hätte erteilen können und sollen oder ob der Betroffene eingetretene Verzögerungen bei der Erteilung eines Titels selbst zu vertreten hat. Abgesehen davon hätte die Familienkassen weder die personelle Ausstattung noch besäßen sie regelmäßig die Qualifikation, ausländerrechtliche Sachverhalte besser beurteilen zu können als die Ausländerbehörden.

Nach § 62 Abs. 2 EStG hängt der Kindergeldbezug im Falle einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG von den weiteren Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG ab, u. a. davon, dass die betroffene Person im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (Buchst. b). Die Klägerin hat diese Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG nicht erfüllt. Sie war weder erwerbstätig, noch hat sie laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, d. h. bestimmte Lohnersatzleistungen (vgl. ausführlich FG Münster Urteil vom 24. April 2007 15 K 3830/04 Kg, EFG 2007, 1700) bezogen, noch hat sie Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz – BEEG (BGBl I 2006, 2748) in Anspruch genommen, d. h. ein bestehendes Arbeitsverhältnis gemäß § 15 ff. BEEG unterbrochen.

Ein Anspruch auf Kindergeld ergibt sich auch nicht nach Art. 28 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Sozialabkommens (i. d. F. vom 30. September 1974, BGBl. II 1975, 390), weil die Klägerin nicht als Arbeitnehmerin tätig war (BFH-Urteile vom 15. März 2007 III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234 und III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298).

2. Dieses Ergebnis ist nicht verfassungswidrig. Die Klägerin hat im Streitzeitraum den Lebensunterhalt ihrer Familie mit staatlichen Sozialleistungen insbesondere Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. § 23 SGB XII) bestritten. Hierdurch hat der Staat die wirtschaftlichen Mindestvoraussetzungen der Hilfeempfängerin und ihrer haushaltsangehörigen Familienmitglieder garantiert. Ein eventueller Kindergeldbezug würde als Einkommen bedarfsdeckend angerechnet und die anderen Sozialleistungen würden in entsprechendem Umfang gemindert. Auf diese Weise fänden lediglich innerhalb des staatlichen Sektors Umschichtungen statt: für den Sozialhilfeträger ergäbe sich eine Entlastung, für den Fiskus eine entsprechende Belastung. Für den Sozialleistungsempfänger dagegen ist mit einer Kindergeldgewährung kein wirtschaftlicher Vorteil, insbesondere keine zusätzliche Förderung der Familie verbunden (vgl. bereits FG Düsseldorf Urteil vom 13. November 2001 18 K 1922/01 Kg, EFG 2002, 475); auch eine nachträgliche Kindergeldfestsetzung würde gemäß § 74 Abs. 2 EStG, §§ 107, 114 SGB X nur der Sozialbehörde zugute kommen. Die dahinter stehende Erwägung des Gesetzgebers ist nachvollziehbar und nicht zu beanstanden: Der Staat sichert über die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts den gesamten Lebensunterhalt; mehr ist nicht geboten. Soweit durch andere Leistungen wie Kindergeld ein Teilbetrag aufgebracht würde, bräuchte die Sozialleistung zur Deckung des Lebensunterhalts nur den Restbetrag abzudecken.

Bei einem Empfänger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts kann die Versagung des Kindergelds demgemäß nicht zu einer Grundrechtsverletzung führen.

Hiernach scheidet nicht nur ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG aus; mit dieser Erwägung ist letztlich auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu verneinen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich nämlich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfG Beschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, HFR 2004, 1139, BFH/NV Beilage 2005, 33, unter C. II. 1.). Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt; im vorliegenden Fall liefert bereits die oben dargelegte Erwägung einen einleuchtenden Differenzierungsgrund. Weiterhin ist der allgemeine Gleichheitssatz dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 110, 412, a.a.O. m.w.N.). Dafür kommt es wesentlich auch darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 110, 412 a.a.O. m.w.N.). Wenn sich eine Ungleichbehandlung wie im Streitfall wirtschaftlich nicht nachteilig auswirkt, dürften Praktikabilität und Einfachheit der Rechtsanwendung bereits hinreichende Rechtfertigungsgründe darstellen.